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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter October 11, 2022

Alexander Werth. 2021. Morphosyntax und Pragmatik in Konkurrenz. Der Definitartikel bei Personennamen in den regionalen und historischen Varietäten des Deutschen (Studia Linguistica Germanica 136). Berlin, Boston: De Gruyter. 465 S.

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Rezensierte Publikation:

Alexander Werth. 2021. Morphosyntax und Pragmatik in Konkurrenz. Der Definitartikel bei Personennamen in den regionalen und historischen Varietäten des Deutschen (Studia Linguistica Germanica 136). Berlin, Boston: de Gruyter. 465 S.


Der Gebrauch des Definitartikels bei Personennamen (der Peter, die Anna) gehört zu den Themen, die sowohl in der Wissenschaft als auch in laienlinguistischen Diskussionen auf großes Interesse stoßen. Mit dieser Monographie, die auf seine Habilitationsschrift zurückgeht, leistet Alexan­der Werth einen gewichtigen Beitrag zur Erforschung dieses Themen­komplexes. Die Untersuchung ist breit angelegt, sowohl inhaltlich als auch methodisch: Inhaltlich werden morphologische, (morpho)syntaktische und pragmatische Eigenschaften des Artikelgebrauchs bei Personennamen sowie das Argumentlinking bei (di)transitiven Sätzen mit Personennamen betrachtet (S. 12–13); methodisch stützt sich Werth auf die Analyse mehrerer Korpora sowie auf eigens erhobene Akzeptabilitätsdaten.

Die Monographie umfasst neun Kapitel, deren erstes eine recht ausführliche Einleitung ist, in der die Forschungsfragen und Ziele der Arbeit dargestellt werden. Kapitel 2 skizziert den theoretischen Rahmen der Arbeit, für den vor allem zwei Perspektiven prägend sind. Zum einen ist dies die Grammatikalisierungstheorie, insbesondere Himmelmanns (1997) Konzept von Grammatikalisierung als Kontextausweitung, die für Werth insbesondere deshalb zentral ist, weil er u. a. zeigen möchte, dass „die Zunahme an Gebrauchsfrequenz für den PersN-Artikel zuvorderst als eine Ausweitung seiner syntaktischen und semantisch-pragmatischen Verwendungsweisen zu begreifen ist“ (S. 16). Zum anderen ist die Arbeit in den Theorierahmen der Konstruktionsgrammatik eingebettet, wobei der Verfasser dafür plädiert, die Verbindung aus Artikel und Personen­name als polysemes Konstruktionsschema zu fassen, das über Verer­bungsbeziehungen mit anderen NP-Strukturen verknüpft ist.

Kapitel 3 widmet sich dem Definitartikel im Deutschen, wobei zunächst eine genauere grammatische Bestimmung erfolgt und anschlie­ßend die Funktionen des Definitartikels herausgearbeitet werden. Dabei wird besonderes Augenmerk auf Abgrenzungsprobleme zwischen Definit­artikel und Demonstrativum gerade in einigen Dialekten gelegt.

Kapitel 4 diskutiert den linguistischen Status von Personennamen, wobei sowohl (referenz-)semantische als auch morphosyntaktische und syntak­tische Eigenschaften in den Blick genommen werden. Hinsichtlich der Semantik von Eigennamen greift Werth unter anderem auf die Accessab­ility Hierarchy von Ariel (z. B. 1988) zurück und argumentiert, dass sich unterschiedliche Typen von Personennamen in ihrer Position auf der Akzessibilitätsskala unterscheiden. Während die Kombination aus Gesamtname und Modifizierer einen Marker für geringe Akzessibilität darstellt (d. h., die Sprecherin geht von einem geringen Grad an kognitiver Repräsentation beim Hörer aus), stehen Ruf- und insbesondere Spitzname weiter oben in der Akzessibilitätsskala.

Die folgenden drei Kapitel bilden das Herzstück der Arbeit, da hier die empirische Analyse im Vordergrund steht. Kapitel 5 stellt das methodische Vorgehen ausführlich vor, wobei zunächst ein Überblick über die Erhebungsmethoden gegeben wird (Interview, Fragebogenstudie, Korpusanalyse) und dann die Datengrundlagen für die Korpusanalyse vorgestellt werden: ein Korpus frühneuzeitlicher Hexenverhörprotokolle, das auf der Edition von Macha et al. (2005) basiert und in den letzten Jahren verstärkt zur Bearbeitung sprachhistorischer Fragestellungen genutzt wird (vgl. Szczepaniak et al. [Hg.] 2020); die von Elspaß (2005) gesammelten Auswandererbriefe, die den Zeitraum von 1830 bis 1924 abdecken; und als gegenwartssprachliche Korpora zum einen das über die Datenbank Gesprochenes Deutsch verfügbare Zwirner-Korpus, zum anderen die Freundesgespräche aus den Erhebungen des Marburger Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas im Rahmen des Projekts regionalsprache.de (REDE). Die Auswahl der Korpora wird unter anderem damit begründet, dass den Zeitschnitten, die sie abbilden, jeweils „gesellschaftlich und sprachpolitisch relevante Veränderungen voraus­gingen, die unmittelbare Auswirkungen auf den Sprachgebrauch der jewei­ligen Zeit hatten“ (S. 106). Anschließend werden die zahlreichen Analyse­kategorien vorgestellt, die für die empirische Studie genutzt wurden. Unter anderem wurden die Korpusdaten auf der syntaktischen Ebene auf Satztyp und syntaktische Funktionen hin kodiert, auf semantischer Ebene mit Annotationen zu semantischen Rollen und Belebtheit angereichert, und auf pragmatischer Ebene wurden diverse referenzielle Sprechakte unterschieden (z. B. Selbst- vs. Fremdreferenz, Referenz auf anwesende vs. abwesende Personen). Auf lexikalischer Ebene wurden darüber hinaus unterschiedliche Namentypen (Ruf-, Familien-, Bei-, Spitzname) differen­ziert.

Kapitel 6 stellt ausführlich die Befunde zum Personennamenartikel in einfachen Nominalphrasen dar, Kapitel 7 wendet sich erweiterten Nomi­nalphrasen zu. Werth argumentiert, dass es sich bei einfachen und erwei­terten NPs mit Personennamen um unterschiedliche Konstruktionen im Sinne der Konstruktionsgrammatik handelt, zumal der Personennamen­artikel bei attributiv erweiterten NPs obligatorisch ist. Kapitel 8 diskutiert die empirischen Befunde vor dem Hintergrund der in den ersten Kapiteln erörterten theoretischen Grundlagen, wobei insbesondere die These vertreten wird, dass der Personennamenartikel „Stufen eines Grammati­kalisierungspfades beschritten hat, den er im Wesentlichen bei anderen nominalen Ausdrücken im Deutschen bereits durchlaufen hat“ (S. 383). Ähnlich wie die Herausbildung des Definitartikels aus einem Demonstra­tivum als Kontextexpansion gesehen werden kann, so hat auch der Defi­nitartikel bei Personennamen seine Verwendungsdomäne deutlich erwei­tert und sich von einem Grammem mit pragmatischer bzw. konkreter morphosyntaktischer Funktion (Objektmarkierung) zu einem Grammem mit abstrakter morphosyntaktischer Bedeutung entwickelt, wobei als zentrale morphosyntaktische Funktionen die Wortartenmarkierung und die Markierung des linken Klammerelements herausgearbeitet werden. Dabei sind jedoch deutliche areale Unterschiede festzustellen. Zwischen den Hexenverhörprotokollen und den Auswandererbriefen stellt Werth die größten quantitativen Sprünge in der Gebrauchsfrequenz des Per­sonennamenartikels fest, wobei in den Hexenverhörprotokollen insbeson­dere pejorative Kontexte und Objektfunktion das Auftreten des Artikels begünstigen, während in den Auswandererbriefen, mit Ausnahme des norddeutschen Raums, deutlich mehr Personennamen in Subjektfunktion mit Artikel auftreten und keine pragmatisch lizenzierte Verwendung des Personennamenartikels mehr festzustellen ist. Die arealen Unterschiede zeigen sich noch deutlicher in den gegenwartssprachlichen Daten. Dabei sieht Werth in der pejorativen Verwendung des Personennamenartikels in norddeutschen Varietäten, aber auch im Schriftdeutschen eine mögliche Ursache dafür, dass sich der Personennamenartikel im Deutschen nicht vollständig durchgesetzt hat.

Das neunte und letzte Kapitel fasst die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammen. Als zentrale Ergebnisse der Korpusstudie werden dabei hervorgehoben, dass Pragmatik und NP-Struktur den Gebrauch des Defi­nitartikels bei Personennamen steuern und dass der Personennamenartikel in norddeutschen Varietäten deutlich restriktiver eingesetzt wird, nämlich insbesondere in pejorativen Kontexten. Die Akzeptabilitätsdaten indes weisen eine hohe Übereinstimmung mit den Korpusdaten auf, wobei Werth auch deutlich auf die methodischen Grenzen der Erhebung von Akzeptabilitätsurteilen hinweist.

Insgesamt legt Alexander Werth mit dieser Monographie einen gewichtigen Forschungsbeitrag vor, der durch die Fülle an Material und durch die umfassende theoretische Einordnung der empirischen Ergeb­nisse besticht. Auf über 450 Seiten werden detailliert und differenziert die einzelnen Einflussfaktoren, die den Artikelgebrauch bei Personennamen bestimmen, herausgearbeitet. Dabei werden auf gelungene Weise gramma­tikalisierungstheoretische und konstruktionsgrammatische Ansätze mitein­ander verknüpft. Positiv hervorzuheben ist auch der Forschungsüberblick, der den Forschungsstand einerseits zum Definitartikel, andererseits zum linguistischen Status von Personennamen mustergültig zusammenfasst – einzelne Kapitel eignen sich damit auch gut für den Einsatz im Unterricht. Als kleiner methodischer Kritikpunkt lässt sich anführen, dass für die statistische Analyse der Korpusdaten z. T. der Chi-Quadrat-Test ver­wendet wird, der sich aber für Korpusdaten nur in den seltensten Fällen eignet, da er die Unabhängigkeit der Datenpunkte voraussetzt, die aller­dings nicht gegeben ist, wenn mehrere Datenpunkte von denselben Schreibern oder Sprecherinnen stammen (vgl. Winter & Grice 2021). Gleichwohl ist die Arbeit vielen anderen Arbeiten aus der germanistischen Linguistik methodisch weit überlegen, zumal neben einfachen statistischen Tests auch Regressionsmodelle verwendet werden.

Alles in allem handelt es sich um eine theoretisch und methodisch anspruchsvolle, aber gleichwohl leserfreundlich geschriebene Arbeit, die der Komplexität ihres Themas gerecht wird und die sicherlich für die kommenden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte das Referenzwerk zum Per­sonennamenartikel im Deutschen darstellen wird.

Literatur

Ariel, Mira. 1988. Referring and accessibility. In: Journal of Linguistics 24 (1), 65–87.Search in Google Scholar

Elspaß, Stephan. 2005. Sprachgeschichte von unten. Untersuchungen zum geschriebenen Alltagsdeutsch im 19. Jahrhundert (Reihe Germanistische Linguistik 263). Tübingen: Niemeyer.10.1515/9783110910568Search in Google Scholar

Himmelmann, Nikolaus P. 1997. Deiktikon, Artikel, Nominalphrase. Zur Emergenz syntaktischer Struktur (Linguistische Arbeiten 362). Tübingen: Niemeyer.10.1515/9783110929621Search in Google Scholar

Macha, Jürgen, Elvira Topalović, Iris Hille, Uta Nolting & Anja Wilke (Hg.). 2005. Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Auswahledition. Berlin, New York: De Gruyter.10.1515/9783110201567Search in Google Scholar

Szczepaniak, Renata, Lisa Dücker & Stefan Hartmann (Hg.). 2020. Hexenverhör­protokolle als sprachhistorisches Korpus. Fallstudien zur Erschließung der frühneuzeitlichen Schriftsprache. Boston, Berlin: De Gruyter. 10.1515/9783110679649Search in Google Scholar

Winter, Bodo & Martine Grice. 2021. Independence and generalizability in linguistics. In: Linguistics 59 (5), 1251–1277. Search in Google Scholar

Online erschienen: 2022-10-11
Erschienen im Druck: 2022-11-23

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 23.9.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zrs-2022-2099/html
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