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BY 4.0 license Open Access Veröffentlicht von De Gruyter Oldenbourg 19. September 2023

Kaufleute als Konsuln – Zu den Anfängen deutscher Handelsdiplomatie in Ostasien im 19. Jahrhundert

Merchants as consuls – On the beginnings of German trade diplomacy in East Asia in the 19th century
  • Friederike Sattler EMAIL logo

Abstract

From the 1840s onwards, German merchants increasingly settled in China, Japan and other countries in East Asia and at the same time took on consular duties for their home cities and countries. They remained primarily independent entrepreneurs, but also acted as state representatives, which could lead to considerable tensions. The article explores for whom the activities of merchant consuls in the two spheres of business and politics proved especially useful, what typical conflicts they encountered, and how these conflicts were resolved. The aim is to give a general overview of the activities of German merchant consuls in East Asia before the founding of the German Empire and at the same time to stimulate increased interest in the merchants of the 19th century from the perspective of modern business history.

Von deutscher Handelsdiplomatie in Ostasien kann man eigentlich erst seit den 1860er Jahren sprechen, nachdem es dem von Preußen entsandten Diplomaten Friedrich Graf zu Eulenburg (1815–1881) gelungen war, im Zuge einer mehrjährigen Ostasienexpedition so genannte «Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträge» nach dem Vorbild der Verträge europäischer Großmächte mit Japan, China und Siam abzuschließen.[1] Denn durch diese 1861 und 1862 zustande kommenden «ungleichen Verträge», die Preußen – wie den anderen Europäern zuvor – weitgehende Rechte einräumten, diese im Gegenzug aber nicht auch den Vertragspartnern im eigenen Land gewährten, wurden erstmals formelle diplomatische Beziehungen zwischen Ländern in Ostasien und dem machtpolitisch aufstrebenden Preußen geknüpft. Kaufleute, die zugleich als deutsche Konsuln in Ostasien auftraten, gab es allerdings schon sehr viel länger, nämlich seit den 1780er Jahren. Ursprünglich entstanden in den italienischen Handels- und Seestädten, setzte sich das Konsulatswesen mit der Ausweitung des Fernhandels, vor allem der Spanier, Portugiesen, Holländer und Engländer seit dem 16. Jahrhundert, in fast allen Weltregionen durch. Auch in die Handelsbeziehungen der deutschen Hansestädte fand es im 17. und 18. Jahrhundert vermehrten Eingang, freilich vorerst ohne Ostasien zu berühren.[2] Das von selbstständigen Kaufleuten getragene Konsulatswesen in fremden Handels- und Hafenstädten diente dazu, den Kontakt zu anderen Kaufleuten sowie zu Herrschern, Regierungsvertretern und Behörden zu pflegen, den Handel und die Schifffahrt zu fördern, die Interessen und Bedürfnisse von Landsleuten zu wahren und gegebenenfalls Konflikte zu schlichten. Daneben besaß die Informationsbeschaffung und -vermittlung einen hohen Stellenwert: über die politische und wirtschaftliche Lage in den betreffenden Städten und Ländern, über gesetzliche Bestimmungen, insbesondere zur Handels- und Zollpolitik, über die vor Ort umgeschlagenen Waren und ihre Preise, über die Handelsrouten zu Land und See, größere Infrastrukturprojekte und vieles mehr. An diesen Informationen waren die entsendenden Heimatstädte und -länder in hohem Maße interessiert. Da die betreffenden Kaufmannskonsuln in erster Linie Kaufleute blieben und nur zeitlich befristet zusätzliche konsularische Aufgaben für ihre Heimatstädte und -länder übernahmen, wofür ihnen bestimmte Auslagen erstattet wurden und sie gewisse Gebühren erheben konnten, aber nicht besoldet wurden, vollzogen sie keinen «Seitenwechsel» zwischen Wirtschaft und Politik im Sinne eines grundlegenden beruflichen Wechsels, wie er in modernen Gesellschaften immer wieder kritisch diskutiert wurde und wird; vielmehr wirkten sie jeweils für eine begrenzte Zeit zugleich in beiden Sphären.[3] Dabei nahmen sie, wenn man so will, fortlaufend wechselnde Perspektiven oder Rollen ein, zum einen die des selbständigen Unternehmers, zum anderen die des staatlichen Repräsentanten, was mit erheblichen Spannungen verbunden sein konnte. So gerieten Kaufmannskonsuln beispielsweise häufig in den Verdacht, ihr zusätzlich übernommenes Amt übermäßig, d. h. zum Nachteil anderer Kaufleute, für eigene geschäftliche Zwecke auszunutzen. Nicht wenige von ihnen übten ihr Ehrenamt als Konsul allerdings auch so engagiert aus, dass sie in das Gebiet der politischen Diplomatie vordrangen, etwa wenn sie eigenständig Verhandlungen mit anderen Ländern über den Abschluss von Handelsverträgen in Gang setzten und vorantrieben, was keineswegs immer auf einer Linie mit den politischen Zielen der sie entsendenden Regierungen lag; eine klare Trennlinie zwischen dem Wirken ehrenamtlicher Kaufmannskonsuln einerseits und besoldeter Berufskonsuln und Diplomaten andererseits kann folglich nur schwer gezogen werden.[4]

Ausgehend von diesen generellen Befunden der bisherigen Forschung geht der vorliegende Beitrag der unternehmenshistorisch relevanten Frage nach, für wen sich das Wirken der Kaufmannskonsuln in den beiden Sphären der Wirtschaft und der Politik unter den Bedingungen eines noch kaum entfalteten deutschen Handels mit Ostasien im 19. Jahrhundert vor der deutschen Reichsgründung als nützlich erwies, in welche typischen Konflikte sie dabei gerieten und wie diese Konflikte gelöst wurden. Welche Vorteile versprachen sich die Kaufleute von der Übernahme eines Konsulats? Konzentrierten sie sich auf die Förderung des Handels und der Schifffahrt? Wie weit reichte ihr politisch-diplomatischer Einfluss? Ziel des Beitrags ist es, einen allgemeinen Überblick über das Wirken der deutschen Kaufmannskonsuln in Ostasien zu bieten und dadurch zugleich das unternehmenshistorische Interesse an den Kaufleuten des 19. Jahrhunderts in dieser Weltregion zu wecken, die zwar von der älteren wirtschaftshistorischen Forschung durchaus behandelt wurden, bisher aber nur selten Gegenstand moderner, quellenbasierter und theoretisch reflektierter Unternehmensgeschichtsschreibung geworden sind.[5] Ein erster Abschnitt beleuchtet zunächst, wann und wo es überhaupt zur Berufung der ersten deutschen Kaufmannskonsuln in Ostasien kam. Die Darstellung konzentriert sich dabei auf China und Japan, bezieht aber auch andere wichtige Handelsplätze in den kolonialen Einflusssphären der Briten, Niederländer, Spanier und Franzosen in Ostasien mit ein.[6] Eine bedeutende Zäsur für die Tätigkeit der Kaufmannskonsuln stellte zweifellos der Erste Opiumkrieg (1839–1842) dar, denn nun belebte sich der deutsche Ostasienhandel merklich und erste deutsche Firmen eröffneten, wie im zweiten Abschnitt beschrieben wird, in China selbst ihr Geschäft, um von den neuen Möglichkeiten zu profitieren, die den militärisch unterlegenen Chinesen von den Briten abgerungen worden waren. Unter den beteiligten Kaufleuten und den deutschen Staaten entbrannte rasch ein Streit darüber, ob ein gemeinsamer deutscher Konsul in Kanton (Guangzhou), dem wichtigsten Niederlassungsort, berufen werden sollte. Da dies nicht gelang und die deutschen Staaten vorerst auch keine eigenen Handelsverträge mit China oder anderen Ländern in Ostasien abschlossen, bewegten sich die deutschen Kaufmannskonsuln in den folgenden Jahren stark im britischen Fahrwasser. Was dies für die praktische Ausübung ihres Amtes bedeutete, welche Konflikte sie zu bewältigen hatten und ob die gefundenen Lösungen etwas über ihre stärkere Verankerung in der wirtschaftlichen oder der politischen Sphäre aussagen, steht im Mittelpunkt des dritten Abschnitts. Erst die im Zusammenhang mit dem Zweiten Opiumkrieg (1856–1860) auf den Weg gebrachte preußische Ostasienexpedition führte dann zum Abschluss von Handelsverträgen mit Japan, China und Siam, die nun erstmals auch die Entsendung von Berufsdiplomaten vorsahen. Wie sich der Wechsel von den ehrenamtlichen Kaufmannskonsuln zu den besoldeten Konsuln und Diplomaten vollzog, welches Image die Kaufmannskonsuln erworben hatten, wird deshalb im vierten Abschnitt diskutiert. Das abschließende Fazit fasst die wichtigsten Befunde zusammen und zieht Schlussfolgerungen für die künftige Forschung.

Erste deutsche Konsuln in Ostasien

Der im 16. Jahrhundert zunächst von Spaniern und Portugiesen, im 17. und 18. Jahrhundert dann von den staatlich privilegierten Handelskompanien der Holländer und Engländer dominierte europäische Ostasienhandel war für deutsche Kaufleute lange Zeit kaum zugänglich gewesen. Nur indirekt, über Lissabon, hatten deutsche Kaufleute aus Augsburg und Nürnberg bereits im 16. Jahrhundert erste Geschäftskontakte nach Indien anbahnen können.[7] Um zunehmend begehrte Waren wie Porzellan, Tee und Seide nicht mehr aus zweiter Hand in London beziehen zu müssen, war zwar schon 1750 auf Initiative Friedrichs des Großen (1712–1786) die «Königlich Preußisch-Asiatische Handlungs-Compagnie von Emden auf China» gegründet worden.[8] Doch das Ganze war ein ziemlich extravagantes politisches Prestigeprojekt, das sich wirtschaftlich nicht trug und schon bald wieder zum Erliegen kam. Erst als der Bremer Kaufmann Carl Philip Cassel (1742–1807) die Preußisch-Asiatische Handlungs-Compagnie für seine Zwecke entdeckte und gemeinsam mit anderen privaten Partenreedern drei Schiffe der Compagnie auf «Spekulationsfahrt» nach China entsandte, erlebte sie in den 1780er Jahren einen neuen, allerdings nur kurzen Aufschwung.[9]

Kanton im Delta des Perlflusses war zu dieser Zeit noch immer der einzige Hafen Chinas, der von ausländischen Schiffen sicher angelaufen werden konnte. Weder den Holländern noch den Engländern war es bis dahin gelungen, durch die Entsendung diplomatischer Missionen die eigenen Handelsaktivitäten auf eine vertraglich geregelte Basis zu stellen und damit zu verbessern. So musste auch die von dem britischen Diplomaten George Macartney (1737–1806) geleitete Mission, die von George III. (1738–1820) zum 83. Geburtstag des chinesischen Qianlong-Kaisers (1711–1799) entsandt wurde und sich von 1792 bis 1794 in Peking (Beijing) aufhielt, unverrichteter Dinge wieder abziehen.[10] Denn China pflegte überhaupt keine diplomatischen Beziehungen, wie sie die europäischen Staaten zu knüpfen bestrebt waren. Der chinesische Kaiser verstand sich vielmehr als alleiniger Vertreter der kosmischen Ordnung der Welt und unterhielt ein System von bilateralen Tributbeziehungen zu anderen Ländern, deren oberste Repräsentanten ihm mit Demut zu begegnen hatten.[11] Mit den Gesandten seltsamer kleiner Völker, die in abseitigen Weltgegenden fern vom Reich der Mitte und seiner Hochkultur lebten, musste er sich nach eigenem Verständnis eigentlich nicht weiter abgeben. Weil die Europäer seit Mitte des 18. Jahrhunderts jedoch in immer größerer Zahl mit ihren Schiffen vor der chinesischen Küste aufkreuzten, wurde es ihnen 1757 gestattet, sich vor den Toren Kantons niederzulassen und mit den 13 chinesischen Kaufleuten der «Cohong-Gilde» streng kontrollierte Außenhandelsgeschäfte abzuwickeln.[12] Neben den Portugiesen, die sich bereits 200 Jahre zuvor in Macao (Aomen), ebenfalls im Delta des Perlflusses, einen Handelsstützpunkt gesichert hatten, waren es vor allem Spanier, Holländer, Dänen, Schweden, Briten und auch Amerikaner, die sich im ausgehenden 18. Jahrhundert auf der Insel Shamian vor Kanton ansiedelten, um hier ihre Faktoreien, Warenlager und Konsulate einzurichten.[13] Die vor diesen Konsulaten aufgestellten und weithin sichtbaren Fahnenmasten waren allerdings nur geduldete Demonstrationen der Ausländer, die bestrebt waren, den Besatzungen der einlaufenden Schiffe zu zeigen, an wen sie sich wenden konnten. Für die chinesischen Behörden lag es weiterhin außerhalb ihrer Vorstellung, die Vertretung einer fremden Macht innerhalb Chinas offiziell anzuerkennen.[14]

Auch Preußen entschloss sich 1787, einen eigenen Konsul in Kanton zu berufen.[15] Doch die Aufgabe übernahm kein deutscher Kaufmann, sondern der Brite Daniel Beale (1759–1842), der zuvor für die East India Company tätig gewesen war.[16] Er hatte sich um das Amt beworben, weil das Patent als Konsul einer anderen Nation hilfreich war, um sich neben der staatlich privilegierten East India Company, die in Kanton seit den 1760er Jahren den Ton angab, als privater Kaufmann zu etablieren. Genau diesen Plan verfolgte Beale, der sich mit verschiedenen anderen Kaufleuten verband, was schließlich zur Gründung von Jardine, Matheson & Co. führte, dem wohl bedeutendsten britischen Opiumhandelshaus.[17] Für Preußen wiederum schien es nützlich, einen Kaufmann mit Ortskenntnissen und Erfahrungen sowie vor allem guten Verbindungen zu den im Handel mit China dominierenden Briten als Konsul zu berufen, auch wenn dieser nicht von den Chinesen anerkannt wurde. Das etablierte Verfahren zur Bestallung von Kaufmannskonsuln blieb also unvollendet: Beale erhielt zwar ein Patent, aber kein Exequatur durch die chinesische Regierung.[18] Er hatte versprochen, regelmäßig Berichte über politische und kommerzielle Fragen nach Berlin zu übermitteln und Geschäftsmöglichkeiten für preußische Kaufleute zu erkunden.[19] Beale übte das Amt von 1787 bis 1798 aus, seit 1794 unterstützt durch seinen jüngeren Bruder Thomas Beale als Vizekonsul, der 1799 auch sein Nachfolger wurde, nun seinerseits unterstützt durch Charles Magniac als Vizekonsul, ebenfalls ein britischer Kaufmann; 1808 wurde er Thomas Beales Nachfolger und gab das Amt des preußischen Konsuls später an andere Teilhaber von Beale, Magniac & Co. bzw. deren Nachfolgefirmen weiter.[20] Die Verbindung der Regierungsstellen in Berlin zu diesen ersten preußischen Kaufmannskonsuln britischer Nationalität in Kanton war infolge der langen Schiffspassagen jedoch ausgesprochen schlecht, zeitweise bestand sogar Unklarheit, ob sie überhaupt noch am Leben waren und ihr Amt versahen.[21] Was man sich von ihrer Berufung erhofft hatte, nämlich bessere politische und kommerzielle Informationen aus erster Hand zu erhalten, trat also nicht ein.

Mit der Etablierung des Napoleonischen Kontinentalsystems ließen die Handelsaktivitäten der Europäer in Ostasien erheblich nach, sodass die von ihnen errichteten Konsulate in Kanton regelrecht verfielen; nur das britische blieb erhalten. Nach dem Wiener Kongress versuchte Preußen, sich in den nun wiederauflebenden kontinentaleuropäischen Ostasienhandel einzuschalten, in erster Linie, um den Absatz rheinischer und schlesischer Tuche zu fördern, der nun auf dem Landweg über Russland infolge einer veränderten Zollpolitik des Zarenreichs kaum noch möglich war.[22] Es ging Preußen aber auch darum, sein Ansehen als eine auf See präsente Handelsnation zu mehren. Eine großangelegte Expedition, wie sie Johann Jakob Aders (1768–1825), ein ebenso umtriebiger Bankier wie umsichtiger Bürgermeister und Sozialreformer aus Elberfeld, vorgeschlagen hatte, lehnte man im preußischen Finanzministerium aus Kostengründen allerdings ab.[23] Die stattdessen vorgenommenen Erkundungen der Preußischen Seehandlung, die zwischen 1822 und 1842 vier ihrer Schiffe auf sechs Fahrten nach Ostasien entsandte, fielen wirtschaftlich kaum ins Gewicht.[24] Die Anbahnung und Abwicklung der erhofften Handelsgeschäfte hatte Wilhelm Oswald (1798–1859) übernommen, der gerade einmal 24-jährige Sohn des Buchhalters der preußischen Seehandlung.[25] Schon nach der Rückkehr von seiner zweiten Asienreise ließ sich Oswald in Hamburg nieder und gründete hier zum 1. Januar 1831 eine eigene Firma. Er nannte sie William O’Swald & Co. – offenbar in der Erwartung, eine Anglifizierung seines Namens werde die Anbahnung von neuen Geschäftskontakten in Großbritannien und Übersee erheblich erleichtern. Damit hatte er nicht unrecht, denn den drei Hansestädten Lübeck, Bremen und Hamburg war es 1825 gelungen, einen Handels- und Schifffahrtsvertrag mit Großbritannien abzuschließen, der ihren Kaufleuten und Schiffen prinzipiell gleiche Rechte zubilligte wie britischen Kaufleuten und Schiffen, auch wenn sie vorerst weiterhin nur eigene Produkte in die britischen Kolonien einführen durften.[26] Den Geschäften O’Swalds zuträglich war außerdem, dass er sich mit dem Amt des preußischen Generalkonsuls in Hamburg betrauen ließ und weiterhin als Agent für die Preußische Seehandlung arbeitete. Das Beispiel des Kaufmanns Wilhelm Oswald alias William O’Swald zeigt, wie eng sich staatlich-politische Ambitionen und privat-wirtschaftliche Interessen verquicken konnten, wobei auch deutsche Kaufleute – ähnlich wie 20 Jahre zuvor Daniel Beale in Kanton – zunehmend eigenwillig zu handeln begannen. Sie ließen sich nicht mehr so ohne weiteres für staatlich-politische Zielsetzungen merkantilistischer Prägung einspannen, sondern pflegten geschäftliche Eigeninteressen; nicht selten wussten sie, dafür politische Ämter zu instrumentalisieren.

In Kanton waren die Hansestädte gestützt auf ihren Handelsvertrag mit Großbritannien bald mit sehr viel mehr Schiffen als Preußen präsent.[27] Das galt insbesondere für die Stadt Hamburg, die deshalb 1829 mit John MacVicar ebenfalls einen britischen Kaufmann zu ihrem Konsul in Kanton berief.[28] MacVicar stammte aus Manchester und war an zwei Firmen in Bombay (MacVicar, Burn & Co.) und Kanton (MacVicar & Co.) beteiligt, besaß also zahlreiche nützliche Verbindungen. MacVicar ließ sich allerdings schon seit 1831 durch Alexander Matheson vertreten, einen der Mitbegründer der britischen Opiumhandelsfirma von Jardine, Matheson & Co., der schließlich auch sein Nachfolger wurde.[29] Doch weder MacVicar noch Matheson setzten sich übermäßig für die Handelsinteressen Hamburgs ein; sie übermittelten nur selten Berichte und sie trugen offenkundig auch nicht viel dazu bei, die notorischen Streitigkeiten zwischen Kapitänen und Schiffsmannschaften oder mit den chinesischen Behörden beizulegen. Umfangreiche Korrespondenzen mit dem Hamburger Senat, der an Informationen aus erster Hand über die Verhältnisse vor Ort brennend interessiert war, sind jedenfalls nicht überliefert. Ähnlich wie Preußen ließ Hamburg sein Konsulat in Kanton in den 1830er Jahren mehr und mehr verwaisen. Die auf Kaufmannskonsuln britischer Nationalität gestützten Anfänge deutscher Handelsdiplomatie in Ostasien, wenn man davon überhaupt schon sprechen mag, waren also nicht gerade ermutigend.

Geschäftseröffnungen in China und der Streit um die Berufung eines gemeinsamen Konsuls in Kanton

Der Erste Opiumkrieg und der 1842 unterzeichnete Vertrag von Nanjing, mit dem Großbritannien das chinesische Kaiserreich zur Öffnung von insgesamt fünf Häfen für den internationalen Handel zwang, veränderten die Lage dann grundlegend. Neben Kanton sollten künftig auch Xiamen, Fuzhou, Ningbo und Shanghai von den Schiffen fremder Länder angesteuert werden können. Die Nachricht vom Vertrag von Nanjing verbreitete sich in Europa wie ein Lauffeuer. Auch wenn zunächst unklar blieb, welche Handelsbedingungen die Briten genau durchgesetzt hatten und für wen sie gelten sollten, zog es nun zahlreiche Handelshäuser und Reedereien nach China, um die neuen Geschäftsmöglichkeiten für sich zu erkunden. Gleichzeitig begannen andere Handelsnationen darauf zu dringen, nach dem Muster des Vertrags von Nanjing ebenfalls Verträge mit China abzuschließen. Sowohl Frankreich als auch den USA gelang dies schon 1844.[30] Die deutschen Staaten blieben in dieser Hinsicht jedoch zurückhaltend.

Die preußische Regierung beispielsweise lehnte den Vorschlag der Handelskammer Köln zur alsbaldigen Entsendung einer großen Handelskommission ab, weil sie auf Grundlage der Erfahrungen der Preußischen Seehandlung keine großen Absatzchancen für deutsche Industriewaren in China sah.[31] Sie entschloss sich im Frühjahr 1843, lediglich den Düsseldorfer Kommerzienrat Friedrich Wilhelm Grube (1795–1845) auf eine weitere Erkundungsreise nach Ostasien zu schicken.[32] Grube sollte mit Hilfe von mitgeführten Warenproben das Interesse an deutschen Industriewaren genauer ergründen, sich über die Zollbestimmungen und Schifffahrtsverhältnisse in den neu zugänglichen chinesischen Häfen informieren und zudem klären, ob überhaupt Verhandlungen über einen eigenen Handelsvertrag mit China notwendig waren. Denn hierüber bestand Unklarheit: Soweit in Preußen bekannt geworden war, enthielt der zwischen China und Großbritannien geschlossene Vertrag von Nanjing keine Bestimmungen hinsichtlich der Handelsrechte anderer Länder, ließ aber hoffen, dass sie gleichbehandelt werden würden.[33] Dafür sprach nicht nur der von den Briten zu dieser Zeit verstärkt propagierte Freihandelsgedanke, sondern auch das im chinesischen Denken verankerte Prinzip des gleichen Umgangs mit Fremden.[34] Grube besuchte alle geöffneten Häfen in China, darüber hinaus auch die Philippinen und Niederländisch-Indien, konnte aber keinen abschließenden Bericht mehr vorlegen, weil er auf der 1845 angetretenen Rückreise verstarb. Die Zusammenstellung seiner Teilberichte ergab jedoch ein eindeutiges Bild: Preußen und die anderen deutschen Staaten verfügten nach seinen Feststellungen nur über wenige Produkte, die tatsächlich für den Export nach Ostasien geeignet schienen, darunter kleine Eisen-, Stahl- und andere Metallwaren sowie sächsische Strumpfwaren.[35] Einen eigenen preußischen Handelsvertrag mit China hielt Grube weder für erforderlich noch für sinnvoll. Aber nicht nur Preußen, auch die Hansestadt Hamburg wollte die neuen Möglichkeiten ausloten und versuchte zunächst einmal zu klären, ob deutsche Schiffe in China nun tatsächlich genauso gut wie britische Schiffe behandelt wurden.[36] Dies hatte John MacVicar, offiziell noch immer hamburgischer Konsul in Kanton, in seinem letzten Bericht vom Januar 1843, in dem er die Perspektiven des deutschen Handels in China eher zurückhaltend beurteilte, hervorgehoben.[37] Die Hamburger Commerz-Deputation wollte sich darauf allein aber nicht verlassen und holte verschiedene Berichte von Kaufleuten ein, die bereits vor Ort waren. Von Theodor Johns, der sich schon länger in Macao aufhielt und Ende 1845 einen ausführlichen Bericht nach Hamburg übermittelte, erfuhr sie, dass ein eigener Vertrag nicht zwingend notwendig sei; Johns schätzte die Chancen für den deutschen Handel mit China allerdings auch nicht sehr viel besser ein als MacVicar.[38]

Zu den deutschen Kaufleuten, die sich in den frühen 1840er Jahren entschlossen, auch ohne den Abschluss von Handelsverträgen in China tätig zu werden und dort sogar eigene Firmen zu etablieren, zählten Wilhelm von Pustau (1820–1879), Richard von Carlowitz (1817–1886) und Georg Theodor Siemssen (1816–1886).[39] Sie alle drei agierten nicht allein, sondern mit Unterstützung etablierter Handelshäuser und Bankiers in der Heimat, für die sie teils zuvor schon Expeditionsreisen nach Ostasien unternommen hatten. Alle drei entschieden sich für Kanton als Sitz ihrer Firma, wo in der ersten Hälfte der 1840er Jahre bereits rund 330 Ausländer lebten, von denen zwei Drittel aus Europa und Amerika stammten, die anderen überwiegend aus Indien und Persien.[40] Die meisten dieser Ausländer waren in den rund 55 «Hongs» tätig, die von den fremden Händlern in Kanton eingerichtet worden waren, darunter die drei deutschen Neugründungen. Sie hofften von den hier bereits etablierten Einrichtungen für die ausländischen Kaufleute und ihren Gepflogenheiten im Umgang mit den chinesischen Amts- und Würdenträgern zu profitieren.

Der aus Schleswig-Holstein stammende Wilhelm von Pustau, der als Sohn eines Rittmeisters in dänischen Diensten und späteren Zollbeamten zunächst eine Lehre in der Reederei von Conrad Hinrich Donner in Altona absolviert hatte, bevor er sich im Jahr 1843 zur Fahrt nach Ostasien entschloss, eröffnete zum 1. Januar 1845 das erste deutsche Handelsgeschäft in China überhaupt: die Firma Wilhelm Pustau & Co.[41] Finanzielle Unterstützung dafür bekam er u. a. von dem Hamburger Bankier Salomon Heine (1767–1844). Über den Auf- und Ausbau seines Geschäfts in Kanton liegen allerdings kaum Quellen vor. Richard von Carlowitz, der die Handelsschule in Leipzig besucht hatte, bevor er in der Messestadt für Carl & Gustav Harkort tätig geworden war und beim Handelshaus Napier in New York internationale Erfahrung gesammelt hatte, war ebenfalls schon im November 1843 gemeinsam mit Bernhard Harkort auf eine ausgedehnte, von den Leipziger Handelshäusern Carl & Gustav Harkort und C. Hirzel & Comp. ausgestattete Erkundungsreise nach Ostasien entsandt worden.[42] Im Zuge dieser Reise besuchte Carlowitz nicht nur Singapur, Macao und Kanton, sondern auch die anderen neu eröffneten chinesischen Hafenstädte sowie Kalkutta in Britisch-Indien. Seine Bemühungen, die aus Sachsen mitgebrachten Tuche und Eisenwaren abzusetzen, erwiesen sich allerdings als sehr mühselig. Trotz schwieriger Anfänge verständigten sich Carlowitz und Harkort mit den beiden Leipziger Handelshäusern darauf, zum 1. Januar 1846 ein Geschäft in Kanton zu eröffnen, die Firma Carlowitz, Harkort & Co. Georg Theodor Siemssen wiederum, der dritte deutsche Firmengründer in China, hatte sogar schon 1837/38 und dann nochmals 1839 eigene Erfahrungen in Ostasien sammeln können: Von der Hamburger Firma Roß, Vidal & Co., bei der er zuvor eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, war er mit zwei Expeditionen betraut worden, die ihn bis nach Australien führten.[43] Er sollte auf diesen Reisen neue Absatzmöglichkeiten für Leinen, Musikinstrumente, Spirituosen und andere Produkte erkunden. Sein ursprünglicher Wunsch, für Roß, Vidal & Co. eine Niederlassung in Kalkutta oder Kanton aufzubauen, ließ sich nicht umsetzen; er wurde stattdessen für die geschäftlich eng verbundene Firma T. E. Vidal & Co. in Batavia auf der Insel Java in Niederländisch-Indien tätig. Erst im Sommer 1846 kam er schließlich mit Roß, Vidal & Co. überein, zum 1. Oktober 1846 ein eigenes Handelshaus in Kanton zu eröffnen, die Firma Siemssen & Co.

Mit den Geschäftseröffnungen deutscher Kaufleute in Kanton wurde die Frage virulent, auf welche konsularische Vertretung sie sich künftig stützen sollten. Je mehr sich ihr Handel belebte, desto dringender erschien aus ihrer Sicht ein eigener Konsul vor Ort, um die einlaufenden Schiffe, ihre Fracht und ihre Besatzungen besser schützen zu können, sowohl gegenüber den chinesischen Behörden als auch in Auseinandersetzungen mit den Kaufleuten anderer Nationen. Weiterhin auf Konsuln britischer Nationalität zu setzen, schien nicht angebracht, denn sie hatten das Informationsbedürfnis der sie beauftragenden deutschen Staaten eher schlecht bedient. Auch wollten die deutschen Kaufleute vor Ort ihrer britischen Konkurrenz nun möglichst wenig Einblick in die eigenen Geschäfte gewähren und zudem das mit dem Amt des Konsuls verbundene Prestige gern selbst nutzen.[44] Andererseits hatten sich die Briten mit dem Vertrag von Humen vom 8. Oktober 1843 von den Chinesen die juristische Exterritorialität zusichern lassen, wodurch britische Staatsangehörige der chinesischen Gerichtsbarkeit entzogen und der Konsulargerichtsbarkeit ihres eigenen Landes unterstellt wurden.[45] Für die deutschen Staaten warf dies die Frage auf, ob sie ihre eigenen Angehörigen weiterhin unter britischen Schutz stellen oder aber auf eine eigene konsularische Vertretung vor Ort setzen sollten, obwohl sie noch keinen eigenen Handelsvertrag abgeschlossen hatten.

Auf Betreiben der beiden Leipziger Handelshäuser Carl & Gustav Harkort sowie C. Hirzel & Co. hatte die sächsische Regierung der preußischen Regierung schon im Dezember 1842 vorgeschlagen, in allen fünf geöffneten chinesischen Häfen gemeinsame Zollvereins-Konsulate einzurichten, was jedoch – vor allem aus Kostengründen – auf Ablehnung gestoßen war.[46] Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Eröffnung des Geschäfts von Carlowitz, Harkort & Co. in Kanton unternahm das sächsische Innenministerium im Dezember 1845 einen erneuten Vorstoß und schlug der preußischen Regierung vor, wenigstens in Kanton und Shanghai sowohl ein sächsisches als auch ein Zollvereins-Konsulat einzurichten, drang damit allerdings nicht durch. Carlowitz selbst, der über familiäre Verbindungen zur sächsischen wie zur preußischen Regierung verfügte, griff die Idee im April 1846 wieder auf und legte der sächsischen Regierung nun nahe, in Kanton möglichst rasch ein eigenes Konsulat einzurichten, zugleich aber der preußischen Regierung nochmals vorzuschlagen, dieses sächsische Konsulat mit der Errichtung eines Zollvereins-Konsulats zu verbinden.[47] Für ihn lag zudem auf der Hand, dass nur ein praktisch erfahrener, vor Ort ansässiger deutscher Kaufmann wie er selbst in der Lage sein würde, die Aufgaben eines solchen Konsulats wahrzunehmen. In Dresden stieß dieser Vorschlag durchaus auf positive Resonanz, zerschlug sich aber an den inzwischen klarer umrissenen außenpolitischen Erwägungen Preußens, die nunmehr auf die Entsendung eines Berufsdiplomaten durch den Zollverein zielten.

Über diese Wendung der Geschichte war Carlowitz wenig erfreut, zumal die süddeutschen Zollvereins-Mitglieder keine Bereitschaft zeigten, einen solchen Vorschlag umzusetzen, denn Kaufleute aus Süddeutschland waren bisher kaum im Ostasienhandel tätig. In einem privaten Brief an seinen Bruder Victor legte Carlowitz im Mai 1846 offen dar, was er über die «Consulats-Sache» dachte: «Wenn, wie ich höre, Preussen seine Absicht, China mit einem diplomatischen Agenten zu beglücken, durchführt», so schrieb er ihm,

«so wird dies wieder eine der unpractischsten Massregeln sein, die genommen werden können […]. Ich möchte mal wissen, was ein chargé d’affaires des Zollvereins in China machen soll. Der Zollverein ist den Chinesen unbekannt […], und die andern Nationen, die alle nur durch kaufmännische Consuls vertreten sind (England ausgenommen), werden grosse Augen machen und sich wundern über weggeworfenes Geld […]. Was würde der Mann nützen? Handelsberichte geben, die nicht aus lebendigem activen Verkehr, sondern vom Hörensagen zusammengesetzt sind […], [und] die politischen Zustände des Reiches der Mitte beobachten! Wenn nun etwas vorkommt, was sich nicht mit Preuss. Politik verträgt, was dann? Von Pässen fordern ist hier nicht die Rede. Die deutschen Kaufleute beschützen! Womit? Die Kaufleute würden ihm wenig Dank wissen für seine Einmischung in rein mercantilische Sachen, und um sich etwas zu thun zu machen, würde er Regulationen für deutsche Schiffe ergehen lassen, die nur hemmend sein können, denn jetzt kommen wir besser weg mit unsern Schiffen, als die Engländer, die Consuls haben.»[48]

Carlowitz beteuerte, dass ihm nicht an der bloßen Ehre gelegen sei, als deutscher Konsul in Kanton aufzutreten. Er habe um das Amt gebeten, weil er glaube, Deutschland in erster Linie durch gute Geschäfte nützlich zu sein, die durch das Amt sicherlich zusätzlich befördert werden könnten. Gänzlich unbesoldet werde er die Stelle allerdings nicht übernehmen, auch nicht wiederholt darum bitten, ebenso wenig wie er als Konsul auch nur «ein Partikelchen» seiner kaufmännischen Unabhängigkeit aufgeben wolle. Der Sache freien Lauf lassen, wollte Carlowitz allerdings nicht. «Etwas muss in der Sache geschehen», schrieb er seinem Bruder Victor nur wenige Wochen später,

«denn wir sind hier ganz ohne Schutz; man kann uns Deutschen die Hälse abschneiden und kein Hahn kräht danach […]. Und nebenbei kann ich selbst nicht leugnen, daß ich es für viel besser halte, wenn Deutschland den Chinesen als nur Ein großes Land vorgeführt wird. Weil aber dazu wenig Aussicht besteht bei den verschiedenen Meinungen der deutschen Staaten und Städte, so sehe ich nicht ein, warum ich, wenn die Consulate doch in verschiedene Hände kommen, nicht den mir angebotenen Teil annehmen soll. […] Schön wäre es, wenn man die Consulate alle gleichzeitig bekäme, denn dann könnte man doch so ziemlich als Deutscher Consul auftreten […].»[49]

Die in Kanton und Hongkong ansässigen deutschen Kaufleute verfassten auf Initiative von Carlowitz schließlich eine gemeinsame Erklärung, mit der sie den Senaten der Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck wie der preußischen Regierung vorschlugen, einen erfahrenen Kaufmann als gemeinsamen Konsul in Kanton zu berufen, der jedoch ein festes Gehalt von Amts wegen beziehen sollte, damit er sich für die Dauer der Amtsübernahme seiner Geschäft enthalten könne.[50] Das war zwar nicht ganz im Sinne des Initiators, der seine Geschäfte eigentlich nahtlos fortsetzen wollte, sollte man ihn mit dem Amt des Konsuls betrauen. Doch um die Zustimmung Preußens zu gewinnen, schien ein solcher Kompromiss zwingend notwendig. Unter den gegebenen politischen Verhältnissen erwies sich die Berufung eines gemeinsamen und dazu noch besoldeten Kaufmannskonsuls für die Hansestädte und Preußen jedoch als nicht umsetzbar. Die preußische Regierung entschied sich 1847 vielmehr, den Kaufmann Richard von Carlowitz, der vom Königreich Sachsen bereits zum Konsul in Kanton berufen worden war, auch die Vertretung Preußens anzuvertrauen.[51] In beiden Fällen blieb er allerdings – anders als erhofft – unbesoldet, wurde aber von der chinesischen Regierung offiziell anerkannt.[52]

Während sich die Hansestädte vorerst nicht dazu durchringen konnten, ebenfalls einen gemeinsamen Konsul für Kanton zu berufen, übte Carlowitz das ihm übertragene Amt für Sachsen und Preußen in den folgenden Jahren auf geschickte Art und Weise aus, sodass die hanseatischen Kaufleute nichts dagegen einzuwenden hatten, dass er de facto auch ihre Interessen wahrnahm.[53] Erst 1851 wurde mit Wilhelm Pustau zusätzlich ein bremischer Konsul und 1852 mit Georg Theodor Siemssen ein hamburgischer Konsul in Kanton berufen.[54] Während Pustau schnell in die Kritik geriet, weil er sein Amt nach Meinung der anderen deutschen Kaufleute über Gebühr für eigene Geschäfte nutzte und gegenüber den chinesischen Behörden anmaßend als «Konsul des Deutschen Empires» auftrat,[55] genossen Siemssen und seine Nachfolger im Amt – sämtlich leitende Mitarbeiter der Firma Siemssen & Co. – hohes Ansehen.[56] Sie übernahmen deshalb in den folgenden Jahren sukzessive die Vertretung der anderen Hansestädte sowie der Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, die ebenfalls nicht dem aus Sicht der Hansestädte noch immer viel zu protektionistisch eingestellten Deutschen Zollverein angehörten.[57] Erst 1862 verständigten sich die Hansestädte schließlich darauf, in den wichtigsten Hafenstädten Chinas künftig nach Möglichkeit gemeinsame «Hanseatische Konsuln» zu berufen, damit diese bei Verhandlungen überzeugender auftreten konnten.[58] Umgesetzt wurde dieser Beschluss jedoch nur sukzessive, denn Wettbewerbsgründe sprachen aus Sicht der betroffenen Kaufleute oft dagegen: Nur in Tientsien und den nicht ganz so bedeutenden Häfen von Ningbo, Niuzhang und Shantou gab es 1866 tatsächlich gemeinsame hanseatische Konsuln.[59]

Im britischen Fahrwasser

Deutsche Kaufmannskonsuln wurden aber keineswegs nur in den geöffneten Häfen in China, sondern auch in zahlreichen anderen Orten in Britisch-Indien, Britisch-Burma und den Straits Settlements, ferner in Niederländisch-Indien, auf den Philippinen, bald auch in Siam und Japan sowie in Cochinchina berufen. Auf eine feste vertragliche Grundlage konnten sie sich zunächst fast nirgendwo stützen. Auch der 1825 zwischen Großbritannien und den drei Hansestädten geschlossene Handels- und Schifffahrtsvertrag enthielt keinerlei Regelungen für die Etablierung konsularischer Vertretungen in den britischen Besitzungen.[60] Da seine Bestimmungen hinsichtlich des Handels und der Schifffahrt aber bald gelockert wurden, schien die Berufung von Konsuln aus praktischen Gründen geboten. So berief der Hamburger Senat beispielsweise schon im Dezember 1843 in Kalkutta und Bombay zwei ortsansässige deutsche Kaufleute zu seinen Konsuln: zum einen den Kaufmann T. H. A. Wattenbach aus Holstein, Gründer der Firma Wattenbach & Co. in Kalkutta, zum anderen den Kaufmann August Heinrich Huschke aus Hessen, Gründer der Firma Huschke & Co. in Bombay.[61] Und noch im gleichen Jahr berief er Theodor August Behn, Mitbegründer von Behn, Meyer & Co. in Singapur, zum dortigen hamburgischen Konsul.[62]

Aber nicht nur die Briten waren angesichts des Verlusts ihrer Kolonien in Nordamerika an einer Belebung des Freihandels in Ostasien interessiert und machten deshalb Zugeständnisse. Auch die Niederländer und die Spanier, die ihren Einfluss in Westindien und Südamerika verloren hatten, erleichterten in den frühen 1840er Jahren den Schiffsverkehr mit ihren Kolonien in Ostasien, sodass die Einrichtung deutscher Konsulate auf den niederländisch kontrollierten Inseln Java und Sumatra und den spanischen Philippinen zweckmäßig erschien: In Batavia auf Java unterhielt die Hansestadt Hamburg schon seit 1839 ein eigenes Konsulat, in Manila auf den Philippinen berief sie 1844 den Kaufmann Johann Heinrich Peters zu ihrem Konsul.[63] Verglichen mit den Handelsplätzen im britischen Einflussbereich in Ostasien, sei es in Britisch-Indien, Britisch-Burma, den Straits Settlements, oder sei es in China, erwiesen sich diese ersten deutschen Konsulate im niederländischen und spanischen Einflussbereich in den folgenden Jahren jedoch als wirtschaftlich weniger wichtig. Die Verständigung mit den Briten war für deutsche Kaufmannskonsuln von ungleich größerer Bedeutung.

Ein frühes und anschauliches Beispiel dafür ergab sich aus der Tätigkeit Theodor August Behns, der im August 1844 die konsularische Vertretung der Hansestädte Hamburg und Bremen in Singapur übernommen hatte. Eine seiner wichtigsten Aufgaben bestand darin, regelmäßig an den Hamburger und Bremer Senat zu berichten, vor allem über die Zahl der ein- und auslaufenden Schiffe, über Probleme bei der Abfertigung dieser Schiffe und über die generelle Entwicklung des Handels.[64] Zu einem heftigen Konflikt mit den anderen deutschen Kaufleuten vor Ort entwickelte sich dabei die Frage, ob auch die Kapitäne hanseatischer Schiffe an eine 1833 von der britischen Regierung Bengalens erlassene Verordnung gebunden waren, derzufolge sämtliche geladenen Waren bei der Ausfuhr aus dem Hafen von Singapur vom zuständigen Konsul in einer Liste erfasst werden mussten, damit diese bei der Einfuhr in einen anderen englischen Hafen kontrolliert werden konnte.[65] Einige Hamburger Kaufleute und ihre Kapitäne meinten, diese Vorschrift ignorieren zu können, denn sie wollten weder den Briten noch ihrem geschäftlichen Konkurrenten Behn genaueren Einblick in die eigenen Warenumsätze geben. Behn wiederum nutzte die Informationen nicht nur für seine offiziellen Konsulatsberichte, sondern auch für die Erstellung von Marktberichten für seine Geschäftspartner.[66] Während Behn auf dem Standpunkt beharrte, dass die Missachtung der britischen Verordnung dazu führen könne, vom gleichberechtigten Freihandel ausgeschlossen zu werden, von dem man – sozusagen ganz im britischen Fahrwasser – ja gerade zu profitieren hoffe, schloss sich der Hamburger Senat 1847 der Meinung der anderen Kaufleute an und untergrub damit die Autorität des eigenen Konsuls.[67] Behn musste in diesem Fall nachgeben, zumal es keine klare rechtliche Basis für sein Handeln als Konsul gab. Kaufmannskonsuln konnten die Vorteile des Amtes zwar geschäftlich nutzen. Kam es vor Ort aber zum Streit über ihre Kompetenzen, so mussten sie ihre heimischen Regierungen um Anweisungen bitten, was sich unter den gegebenen Kommunikationsbedingungen unweigerlich lange hinauszögerte und zudem darauf hinauslaufen konnte, nicht die erhoffte Unterstützung zu bekommen.

Behn und seine Nachfolger im Amt traten allerdings weiterhin für die Beachtung britischer Gesetze ein, denn nur so konnten sie hoffen, den deutschen Handel zwischen Singapur und anderen Häfen in Südostasien weiter zu fördern. Wenn es um die Durchsetzung disziplinarischer Maßnahmen gegenüber den Kapitänen und Mannschaften hanseatischer Schiffe ging, konnten sich die deutschen Kaufmannskonsuln in Singapur und andernorts in den britischen Kolonien jedoch keine große Unterstützung durch die Briten erhoffen, denn diese lehnten es in der Regel ab, sich hierfür einzusetzen. Nicht nur August Carl Gumpert, der hanseatische Konsul in Bombay, führte hierüber wiederholt Klage.[68] Als besonderes Problem erwiesen sich desertierende Seeleute, denn ihnen gegenüber hatten die deutschen Kaufmannskonsuln kaum eine Handhabe; nur mit Unterstützung der örtlichen Behörden konnte man ihrer wieder habhaft werden und sodann Geld- oder Haftstrafen durchsetzen.[69] Die Hansestadt Bremen schloss 1855 mit den Niederlanden sogar eigens ein Abkommen, in dem nicht nur die Zulassung von bremischen Konsuln in Niederländisch-Indien, sondern ausdrücklich auch Hilfe der niederländischen Kolonialbehörden bei der Rückführung von desertierten deutschen Seeleuten vereinbart wurde.[70] Friedrich Wilhelm Heineken, der bereits seit Anfang 1851 als bremischer Handelsagent für die niederländischen Besitzungen in Südostasien amtierte, wurde daraufhin 1856 zum bremischen Konsul in Batavia berufen.

Auch die deutschen Kaufmannskonsuln in China mussten erfahren, wie begrenzt ihre Macht und ihr Einfluss im Gastland waren, wenn es darauf ankam. So konnte der oldenburgische Konsul Carl Brodersen in Shanghai und Hongkong im Herbst 1857 so gut wie nichts für die überlebenden Schiffbrüchigen der oldenburgischen Bark «Texas» tun. Nach dem Kentern ihres Schiffes waren sie zwar von einer chinesischen Dschunke aufgenommen, dann jedoch von deren Besatzung ausgeraubt worden; und nachdem die rettende Dschunke ebenfalls gesunken war, wurden die an Land gespülten Überlebenden dort gleich noch ein zweites Mal von chinesischen Dorfbewohnern ausgeplündert.[71] Brodersen setzte viele Hebel in Bewegung, sowohl in Oldenburg und Berlin als auch in London, um über britische diplomatische Kanäle gewissen Druck auf die chinesische Regierung aufzubauen, konnte im Endeffekt aber keine Entschädigung für die Betroffenen erreichen. Deutsche Kaufmannskonsuln, so bleibt festzuhalten, die sich nicht auf einen eigenen Handelsvertrag berufen konnten, der ihnen handfeste Rechte zusicherte, konnten im Ernstfall wenig tun, um die Interessen deutscher Seeleute gegen Piraterie und Gewalt zu schützen.

Die Forderung nach Handelsverträgen wurde deshalb in den 1850er Jahren immer häufiger erhoben, gerade auch von den Kaufmannskonsuln. Der bremische Konsul in Hongkong, Ludwig Wiese, ein Angestellter der Firma Siemssen & Co., der vor Ort auch Hamburg, Schweden und Norwegen vertrat, wandte sich im Mai 1857 beispielsweise an den Bremer Senat, um auf die sehr erfreulich steigende Bedeutung hanseatischer Schiffe in der chinesischen Küstenschifffahrt aufmerksam zu machen; dieser Erfolg wecke jedoch mehr und mehr die Missgunst der Briten, führte er dazu wenig später noch genauer aus, die Hansestädte seien dringend aufgefordert, ihre Position in Ostasien mit eigenen Handelsverträgen zu festigen.[72]

Über solche Forderungen ging die Ungeduld der Kaufmannskonsuln teils noch hinaus. Behns Geschäftspartner Arnold Otto Meyer (1825–1913), der seit 1853 als hamburgischer und bremischer Konsul in Singapur amtierte und 1855 zudem die Vertretung der Hansestadt Lübeck übernahm, erwies sich beispielsweise als die treibende Kraft hinter den Bemühungen, einen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag der Hansestädte mit dem Königreich Siam zu vereinbaren.[73] Nachdem Großbritannien 1855 bereits einen zweiten, für sich sehr vorteilhaften Handelsvertrag mit Siam hatte abschließen können, ging es Meyer darum, den Hansestädten – und damit seinem eigenen Haus – möglichst rasch die gleichen Konditionen zu sichern.[74] Denn Siam war ein wichtiger Produzent von Reis und Zucker, sodass sich die Hauptstadt Bangkok zu einem bedeutenden Handelsplatz für die in Singapur ansässigen europäischen Kaufleute und Reeder entwickelt hatte. In Bangkok bestand freilich eine starke Konkurrenz zu chinesischen Händlern und Schiffseignern, die hier seit langer Zeit vertreten waren und deren vermeintliches «Monopol» im südostasiatischen Handel die Europäer mit ihren auf dem Prinzip der Meistbegünstigung beruhenden Verträgen zu brechen suchten.[75] Meyers Vorstoß traf in Hamburg, Bremen und Lübeck auf Interesse und prinzipielle Zustimmung, doch die Senate der Hansestädte kamen lange nicht über die Formalitäten eines solchen Vertragsschlusses überein. Unterdessen sondierte Meyer das Terrain, nahm Gespräche mit siamesischen Regierungsvertretern, vermittelnden Missionaren und britischen Kaufleuten in Bangkok auf, sammelte Informationen über Sitten, Gebräuche und Vorlieben der siamesischen Würdenträger sowie die laufenden Vertragsverhandlungen anderer Staaten und gab diese Informationen an die Hansestädte weiter. Er leistete also wichtige Vorarbeiten für den schließlich offiziell ernannten Verhandlungsführer, den Hamburger Kaufmann Theodor Thies, der als Konsul für Bangkok vorgesehen war. Meyers Ratschläge zur Verhandlungstaktik erwiesen sich dabei als sehr wertvoll, denn er hatte empfohlen, nicht etwa den direkten Handel zwischen Siam und den Hansestädten, sondern den Handel Siams mit anderen Regionen in Südostasien auf hanseatischen Schiffen in den Mittelpunkt zu rücken.[76] Im Oktober 1858 konnte der erhoffte Vertrag, der ausgesprochen niedrige Ein- und Ausfuhrzölle vorsah und hanseatischen Schiffen das Recht der meistbegünstigten Nation zusicherte, tatsächlich unterzeichnet werden.[77] Meyer, der 1857 nach Hamburg zurückgekehrt war, hatte sich auch hier weiterhin als Berater für das Handelsvertragsprojekt betätigt; er konnte im Herbst 1858 auf eine erfolgreiche diplomatische Mission zugunsten der Hansestädte zurückschauen, die in Preußen nicht ohne Resonanz blieb.

Die preußische Ostasienexpedition und ihre Folgen für die Kaufmannskonsuln

Die preußische Regierung entsandte im Herbst 1859 – nur ein Jahr nach dem Abschluss des hanseatisch-siamesischen Handelsvertrages und noch vor dem Ende des Zweiten Opiumkrieges, mit dem Großbritannien und Frankreich die Öffnung weiterer chinesischer Häfen erzwangen – den Diplomaten Friedrich Graf zu Eulenburg nach Ostasien. Für den gesamten Deutschen Zollverein, die Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg sowie die beiden Herzogtümer Mecklenburg sollte er ebensolche Handelsverträge mit China und Japan sowie für Preußen und den Zollverein auch mit Siam abschließen, wie sie dem chinesischen Kaiserreich von den Briten, Franzosen, Amerikanern und Russen mit den «Verträgen von Tianjin» abgerungen worden waren.[78] Da Preußen auf der handelspolitischen wie der diplomatischen Ebene eine mit den Großmächten gleichberechtigte Stellung erreichen wollte, ging Eulenburg mit sehr detaillierten, eng an die Verträge von Tianjin angepassten Vertragsentwürfen auf die Reise.[79] Besonderen Wert hatte man in Berlin auf das Recht zur Etablierung einer preußischen Gesandtschaft am Regierungssitz des Vertragspartners und das Recht zur Ernennung von Konsularbeamten mit Jurisdiktionsbefugnis gelegt. Doch Eulenburg wurde weder in Japan, das er zuerst ansteuerte, noch in China mit offenen Armen empfangen. Nur mit enormer Hartnäckigkeit und kräftiger Unterstützung durch seinen Attaché Max von Brandt (1835–1920) gelang es ihm, die gewünschten Verträge abzuschließen, in Japan allerdings nur für Preußen.[80]

Dabei waren es vor allem Kaufleute aus den Hansestädten, die seit Mitte der 1850er Jahre Handelsbeziehungen nach Japan aufgebaut hatten und schon wiederholt für einen Handelsvertrag und die Berufung eines Konsuls eingetreten waren.[81] Der Bremer Kaufmann Everhard Grösser (1834–1916), der eine Lehre bei C. Melchers & Co. absolviert und dann eine Stellung in Holland gefunden hatte, war bereits 1853 nach Java und von hier aus noch im selben Jahr mit einem holländischen Schiff weiter nach Japan gereist, um in der niederländischen Konzession auf der Insel Dejima vor Nagasaki – dem damals noch einzigen für europäische Ausländer zugänglichen Hafen Japans, in dem neben Holländern eigentlich nur Chinesen geduldet wurden – ein eigenes Geschäft aufzubauen, was sich jedoch hinauszögerte.[82] Nachdem die Amerikaner im März 1854 ein Abkommen mit den Japanern erzielt hatten, sodass ihnen nun die Häfen von Shimoda und Hakodate zumindest zum Zweck der Versorgung mit Proviant und Brennstoff offen standen, versuchte auch Friedrich A. Lühdorf (1834–1891), der 1855 als Supercargo auf einem von der amerikanischen Regierung gecharterten Schiff der in Kanton ansässigen deutschen Firma Wilhelm Pustau & Co. nach Japan kam, Gespräche über einen Handelsvertrag der Hansestädte mit Japan anzubahnen, was ihm aber nicht gelang.[83] Als erster deutscher Kaufmann, der sich tatsächlich in Japan niederließ, gilt heute Franz Ludwig Albert (Louis) Kniffler (1827–1888), der für Bollenhagen & Co. in Hamburg sowie Pandel & Stiehaus in Batavia tätig gewesen war, bevor er sich 1858 entschloss, gemeinsam mit Martin Hermann Gildemeister (1836–1918) nach Japan zu gehen.[84] Unter dem Namen L. Kniffler & Co. etablierten Kniffler und Gildemeister im Frühjahr 1859 ihre eigene Firma in der Konzession auf Dejima, wo Japan – die militärische Niederlage der Chinesen in den beiden Opiumkriegen vor Augen – inzwischen mit der Errichtung einer modernen Werft zum Bau und zur Reparatur von dampfgetriebenen Kriegsschiffen samt Eisengießerei begonnen hatte. Kniffler und Gildemeister, die anfangs von einem rasch wachsenden japanischen Bedarf an europäischen Industrieimporten ausgingen, diese Erwartung aber bald dämpfen mussten, knüpften von Dejima aus vielfältige Geschäftskontakte, zuerst nach Hongkong sowie anderen Häfen in China, bald auch innerhalb Japans, hier vor allem nach Yokohama, dessen Hafen im Juli 1859 offiziell für amerikanische, russische, niederländische, britische und französische Schiffe geöffnet wurde.[85]

Da die japanische Regierung sich nach dem preußisch-japanischen Vertragsabschluss vom 24. Januar 1861 nicht gewillt zeigte, weitere Vertragsbeziehungen mit deutschen Kleinstaaten einzugehen, durften vorerst nur unter preußischer Flagge fahrende Schiffe die japanischen Häfen ansteuern und auch nur Preußen stand das Recht zu, in Japan Konsulate einzurichten. Zum ersten besoldeten preußischen «Konsul in Japan» wurde im Mai 1862 Eulenburgs Begleiter und Berater Max von Brandt berufen.[86] Obwohl ihm nur ein konsularischer Rang verliehen wurde, sollte er neben wirtschaftlichen Aufgaben auch politisch-diplomatische Dienste übernehmen. Das erwies sich allerdings bald als ein Problem, denn weder die japanische Regierung noch die diplomatischen Vertreter anderer Länder betrachteten von Brandt als gleichrangig, sodass er von wichtigen Verhandlungen ausgeschlossen blieb. Er gewann kaum eigenständigen politischen Einfluss, sondern schloss sich in der Regel den Verhandlungspositionen der Briten und Franzosen an. Seine Tätigkeit nahm er zunächst in Yokohama auf und verlegte seine Kanzlei mit Billigung der japanischen Regierung erst im April 1865 nach und nach in die Hauptstadt Edo, wo er im Februar 1867 zum preußischen Geschäftsträger aufstieg.[87] Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes und dem Ende des japanischen Bürgerkrieges, besiegelt mit der Thronbesteigung des Meiji-Kaisers (1852–1912), wurde von Brandt im Juli 1868 schließlich der Rang eines Generalkonsuls und Geschäftsträgers des Norddeutschen Bundes in Tokio – so der neue Name der Hauptstadt Edo – verliehen. Der preußisch-japanische Handelsvertrag vom 24. Januar 1861 fand nun auch Anwendung auf die Hansestädte, deren Interessen von Brandt mitzuvertreten hatte.[88]

Sein Amt als «Konsul in Japan» wusste von Brandt allerdings von Anfang an für die Förderung der wirtschaftlichen Interessen deutscher Kaufleute in Japan zu nutzen, sodass diese nicht länger Schutz bei niederländischen, britischen oder französischen Konsuln suchten.[89] Er stützte sich dabei auf eine wachsende Zahl von unbesoldeten preußischen Vizekonsuln, zu denen namhafte Kaufleute ernannt wurden. Louis Kniffler, der in Wetzlar geboren und in Düsseldorf aufgewachsen, somit preußischer Staatsangehöriger war, wurde mit Unterstützung Eulenburgs beispielsweise noch im Sommer 1862 mit dem Amt eines preußischen Vizekonsuls in Nagasaki betraut, das er Anfang 1863 offiziell antrat.[90] Mit diesem Titel konnte er sein soziales Ansehen beträchtlich steigern, denn sowohl die Kaufleute anderer Länder als auch die Vertreter der japanischen Regierungsbehörden maßen einem «Konsul» größere Bedeutung, Solidität und Verlässlichkeit zu als einem einfachen Kaufmann. Kniffler hatte seiner Firma somit einen wichtigen Vorteil im Wettbewerb gesichert, den sie nicht nur im Export von Tee, Seide und anderen Naturprodukten, sondern bald auch im Import von Waffen und anderen Rüstungsgütern für die reformorientierte japanische Regierung ausspielen konnte, zumal auch andernorts Vertreter von L. Kniffler & Co. zu Kaufmannskonsuln ernannt wurden.[91] Als solche waren sie in der Regel früher als die Konkurrenz über geschäftlich relevante Neuigkeiten informiert und übten in Japan nun auch die Konsulargerichtsbarkeit über ihre Landsleute aus, wenn es zu Konflikten kam. In den Augen der japanischen Regierung war dies allerdings ein unerwünschter Zustand, nicht nur weil sie die juristischen Kompetenzen von Kaufleuten in Frage stellte, sondern weil sie die von den Europäern und Amerikanern mit den ungleichen Verträgen durchgesetzte Konsulargerichtsbarkeit generell als schweren Eingriff in die eigene Souveränität verstand. Von einzelnen Kaufmannskonsuln, wie beispielsweise Adolph Leysner in Niigata, ist bekannt, dass sie sich einverstanden erklärten, die Beilegung von Handelsstreitigkeiten zwischen Deutschen und Japanern weitgehend den japanischen Behörden zu überlassen, damit diese die betreffenden Vorfälle möglichst einvernehmlich und reibungslos regeln konnten; sie bestanden also de facto nicht auf die Durchsetzung der Konsulargerichtsbarkeit.[92] In den Augen ihrer Vorgesetzten ließ sie das allerdings schwach aussehen und brachte ihnen wachsende Kritik ein. Da Nagasaki in den folgenden Jahren erheblich an wirtschaftlicher Bedeutung verlor, während sich Yokohama und auch Hyōgo (Kōbe) lebhaft entwickelten, wurden die dortigen Konsulate nach der Gründung des Deutschen Reichs, als Max von Brandt zum Ministerresidenten in Tokio aufstieg, 1872 bzw. 1874 auch deshalb mit besoldeten Konsuln des Deutschen Reichs besetzt, die nun eine juristische Fachausbildung vorzuweisen hatten.[93] An den weniger wichtigen Handelsstandorten in Nagasaki, Hakodate und Niigata blieben jedoch weiterhin unbesoldete Kaufmannskonsuln im Amt.[94]

Auch in China hatte Eulenburg in zähen Verhandlungen seine wichtigsten Ziele erreicht.[95] Mit dem Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 2. September 1861 bekamen die deutschen Staaten im Hinblick auf den Handel die Meistbegünstigung zugesichert; ihren Kaufleuten standen nunmehr 15 chinesische Hafenstädte offen, in denen sie sich niederlassen, Häuser kaufen, Land pachten, eigene Hospitäler, Kirchen und Friedhöfe und Verwaltungsstrukturen einrichten, zwischen denen sie sich frei bewegen und neue Geschäfte anknüpfen konnten. Sämtliche deutsche Bürger, die sich in China aufhielten, wurden der Konsulargerichtsbarkeit ihres eigenen Landes unterstellt. Genau wie Großbritannien, Frankreich, Russland und die USA durfte nun auch Preußen eine Gesandtschaft in der Kaiserstadt Peking errichten, allerdings hatte Preußen zustimmen müssen, von diesem Recht erst fünf Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags Gebrauch zu machen. Vorerst sollte nur ein preußischer Generalkonsul für China mit Sitz in Shanghai ernannt werden – ein Amt, das Guido von Rehfues (1818–1894), zuvor Legationssekretär in Konstantinopel, noch 1862 antrat.[96]

Da Preußen die alleinige politische Repräsentanz der deutschen Staaten in China anstrebte, drang Rehfues alsbald darauf, die bereits bestehenden preußischen Konsulate, die bisher ausnahmslos von Kaufmannskonsuln wahrgenommen wurden, schrittweise mit Berufskonsuln zu besetzen, die eine juristische Fachausbildung vorzuweisen hatten.[97] Mangels geeigneter Kandidaten und langer Ausbildungswege ließ sich diese Forderung jedoch doch nur langsam in die Praxis umsetzen. Außerdem war Rehfues bestrebt, die Konsulate der kleineren deutschen Staaten mit den preußischen zusammenzulegen beziehungsweise sie zu schließen. Insbesondere im Falle von Hannover und Oldenburg führte das zu heftigen Konflikten.[98] Die Hansestädte hatten von vornherein auf einer Vertragsklausel bestanden, die ihnen auch weiterhin das Recht zur Berufung eigener Konsuln, Vizekonsuln oder Konsularagenten in den offenen chinesischen Häfen garantierte.[99] Als es Rehfues Ende 1865 gelang, seine Anerkennung als preußischer Gesandter für ganz China mit Sitz in Peking zwei Jahre früher als vereinbart bei der chinesischen Regierung durchzusetzen, kam es jedoch mit den Hansestädten zu Konflikten über die Ausübung der Konsulargerichtsbarkeit, die Preußen nicht länger den Kaufmannskonsuln überlassen, sondern bei seinem eigenen Gesandten konzentrieren wollte.[100]

Schon Friedrich Graf zu Eulenburg war im November 1861 zu einem außerordentlich kritischen Urteil über die Kaufmannskonsuln gekommen.[101] Sie hätten sich keinen Respekt bei den Behörden verschaffen können, weil Kaufleute sowohl in Japan als auch in China nur geringes gesellschaftliches Ansehen genießen würden, berichtete er dem preußischen Außenminister Graf Alexander von Schweinitz. Man betrachte sie in beiden Ländern als Menschen, die in erster Linie auf ihren Profit bedacht, also nicht geeignet seien, die übergeordneten Interessen ihres Landes angemessen zu vertreten und dieses würdig zu repräsentieren. Keine hochgestellte Persönlichkeit in Japan oder China pflege von sich aus Umgang mit den europäischen Kaufleuten. Die Engländer hätten daraus schon lange die Konsequenz gezogen, nur professionelle, diplomatisch geschulte und besoldete Konsuln für die Vertragshäfen in Ostasien zu berufen. Daran müsse sich auch Preußen nach den Vertragsschlüssen mit Japan und China ein Beispiel nehmen, zumal diese Verträge ihnen nun die Wahrnehmung der Konsulargerichtsbarkeit auferlege. Mit diesem Plädoyer war Eulenburg allerdings nicht durchgedrungen, weder in Japan noch in China oder gar in Siam, wo die Hansestädte mit ihren Kaufmannskonsuln durch ihren frühen Vertragsschluss eine besonders starke Position innehatten.

In Japan unterstanden die als preußische Vizekonsuln amtierenden Kaufleute zwar von Anfang an dem Berufsdiplomaten von Brandt, der zunächst als preußischer «Konsul in Japan», dann als Generalkonsul und Geschäftsträger des Norddeutschen Bundes amtierte. Doch für ihren jeweiligen regionalen Zuständigkeitsbereich lag die Verantwortung bei ihnen, auch im Hinblick auf die Konsulargerichtsbarkeit. Und dabei zeigte sich, dass sie die deutsche Rechtsposition nicht immer nachdrücklich vertraten, sondern gegenüber den japanischen Behörden zu Zugeständnissen bereit waren, um Konflikte einvernehmlich beizulegen und Reibungen zu vermeiden. Ein solches Vorgehen war für deutsche Kaufleute vor Ort sicher oft von Vorteil, für die deutsche Diplomatie gegenüber Japan jedoch eine klare Schwächung. In China, Siam und anderen Ländern Ostasiens, wo sich die Kaufmannskonsuln der Hansestädte schon viel früher eigenständig etabliert hatten, fiel es Preußen noch viel schwerer, die eigene politisch-diplomatische Hegemonie durchzusetzen. So verloren in China die Konsulate der Hansestädte mit deren Beitritt zum Norddeutschen Bund zum 1. Juli 1867 zwar an Bedeutung, bestanden aber teilweise noch Jahre lang weiter; erst nach und nach gingen sie in den Konsulaten des Norddeutschen Bundes auf, keineswegs – wie zunächst eigentlich vorgesehen – schon bis Ende 1868.[102] Zudem wurden sie weiterhin überwiegend mit unbesoldeten Kaufmannskonsuln besetzt, nicht mit Berufskonsuln. Die Kaufleute selbst beklagten sich nun allerdings vermehrt über die mit einem solchen Amt verbundenen zeitlichen und finanziellen Belastungen, die sich mit der Ausweitung und Intensivierung des deutschen Handels beträchtlich erhöhten.[103] Der geschäftliche Nutzen eines ehrenamtlichen Konsulats konnte diese wachsenden Belastungen offenkundig immer weniger aufwiegen. Dennoch blieben zahlreiche Kaufmannskonsuln weiter im Amt, auch nachdem es dem 1871 gegründeten Deutschen Reich gelungen war, eine nach einheitlichen Kriterien strukturierte konsularische und diplomatische Repräsentation in Japan, China und anderen Ländern Ostasiens aufzubauen.[104]

Diese Entwicklung entsprach zwar nicht den ursprünglichen Vorstellungen Eulenburgs oder Rehfues’, lag aber ganz auf der zunehmend pragmatischen Linie deutscher Außenpolitik: «Wir unsererseits sind von den Wahlkonsuln ausgegangen und allmählich zu den Berufskonsuln übergegangen, haben überprüft, wo ein reelles Bedürfnis für einen Berufskonsul obwaltet, und sind dann mit der Schonung der Verhältnisse und mit Mäßigung der Etatverhältnisse zu dem System gekommen, welches ein gemischtes bezeichnet werden kann», erklärte der Direktor der handelspolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Maximilian von Philipsborn (1825–1885), im Mai 1872 im Reichstag.[105] Zu dieser Zeit unterhielt das Deutsche Reich weltweit 491 Konsulate, von denen lediglich 30 mit Berufsdiplomaten besetzt waren, darunter in Ostasien das Generalkonsulat in Japan sowie drei Konsulate in China (Kanton, Shanghai und Tientsin) und ein Konsulat in Siam (Bangkok).[106] Der deutsche Konsul in Bangkok, der Berufsdiplomat Werner von Bergen (1839–1901), wurde nur wenig später – im August 1874 – zum Generalkonsul des Deutschen Reichs in Cochinchina mit Sitz in Saigon befördert und war als solcher nunmehr für das gesamte, expandierende französische Kolonialreich in Indochina verantwortlich. Mit Unterbrechung für die Dauer des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 hatte es in Saigon seit 1867 stets nur einen ehrenamtlich tätigen Kaufmannskonsul gegeben, den die Firma Behre & Co. stellte. Als Werner von Bergen im Herbst 1875 vorzeitig abberufen wurde, weil er gegenüber den französischen Regierungsstellen politisch zu eigenmächtig agiert hatte, übernahm allerdings erneut ein ehrenamtlich tätiger Kaufmann das Amt des deutschen Konsuls in Saigon.[107]

Die Trennung zwischen Kaufleuten und Regierungsbeamten im konsularischen Dienst kam in den 1870er Jahren also nur sehr langsam und außerdem – wie das Beispiel Saigon zeigt – keineswegs immer geradlinig voran, auch als sich in Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit die Stimmen mehrten, die eine solche Reform forderten.[108] Und als diese Reform Fortschritte machte, entschieden sich trotz ihrer reichen Erfahrungen angesichts der hohen Qualifikationshürden – verlangt wurde das 1. und das 2. Juristische Examen – nur wenige Kaufmannskonsuln dafür, sich für den besoldeten Dienst des Auswärtigen Amts zu bewerben.

Zusammenfassendes Fazit

Die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehenden deutschen Kaufmannskonsuln in Ostasien vollzogen in der Regel keinen Seitenwechsel zwischen Wirtschaft und Politik im Sinne eines grundlegenden beruflichen Wechsels. Nach Beendigung des Ehrenamtes als Konsul blieben sie vielmehr ganz überwiegend als selbständige Unternehmer tätig. Ihr Beispiel zeigt, dass es im Hinblick auf das 19. Jahrhundert aus unternehmenshistorischer Sicht sinnvoll ist, den Begriff des Seitenwechsels – wenn er analytisch verwendet werden soll – nicht zu eng zu fassen, sondern ihn offener anzulegen und im gegebenen Kontext als einen laufenden Perspektiv- oder Rollenwechsel zu verstehen, den die betreffenden Kaufleute als selbständige Unternehmer und staatliche Repräsentanten immer wieder vollziehen mussten.

Das von Kaufleuten getragene Konsulatswesen, das sich in den europäischen Handels- und Seestädten herausgebildet hatte, diente vor allem dazu, durch die Kontaktpflege zu Kaufleuten anderer Länder sowie zu Regierungsvertretern und Herrscherhäusern den Handel und die Schifffahrt zu fördern, die Interessen und Bedürfnisse von Landsleuten zu wahren und gegebenenfalls Konflikte zu schlichten. Einen hohen Stellenwert besaß außerdem die Informationsbeschaffung und -vermittlung über die politische und wirtschaftliche Lage in den betreffenden Städten und Ländern, über deren Handels- und Zollpolitik, über Waren und ihre Preise und vieles mehr. Kaufleute, die zusätzliche Aufgaben als Konsuln übernahmen, blieben jedoch trotz ihres laufenden Perspektiv- und Rollenwechsels in die Sphäre der Politik hinein in erster Linie Kaufleute. Die Kaufmannskonsuln selbst sowie die sie beauftragenden Städte und Staaten versprachen sich erheblichen Nutzen von diesem Wirken der Kaufleute in beiden Sphären, zum einen geschäftliche Vorteile durch das mit der Übernahme des Amts gehobene gesellschaftliche Ansehen und die zu gewinnenden Informationsvorsprünge vor der Konkurrenz, zum anderen den besseren Schutz der eigenen Landsleute und die einfachere Gewinnung von zuverlässigen Informationen über das Geschehen vor Ort.

Britische Kaufleute, die in diesem Sinne als Konsuln für Preußen und die Hansestadt Hamburg in Ostasien tätig wurden, gab es schon seit den 1780er beziehungsweise 1820er Jahren. Sie selbst zogen daraus durchaus geschäftlichen Nutzen, doch die in sie gesetzten Hoffnungen der entsendenden Staaten – bessere Informationen, Schutz von Landsleuten etc. – erfüllten sich nur sehr bedingt. Doch als sich der Ostasienhandel nach dem Ersten Opiumkrieg belebte und sich die ersten deutschen Kaufleute mit ihren Firmen im chinesischen Kanton etablierten, wurde die Frage einer angemessenen konsularischen Vertretung vor Ort virulent. Da die deutschen Staaten vorerst aber keine eigenen Handelsverträge mit China abschlossen und auch keine Einigung über die Berufung gemeinsamer deutscher Konsuln zustande kam, blieb die Position der Kaufmannskonsuln eher schwach. Und dies gilt nicht nur für China, sondern auch für den britischen, niederländischen und spanischen Einflussbereich in Ostasien. Da sich vor allem die Handelsplätze im britischen Einflussbereich als wirtschaftlich wichtig erwiesen, bewegten sich die deutschen Kaufmannskonsuln in den folgenden Jahren weitgehend im britischen Fahrwasser. In der Praxis kam es häufig zu Konflikten und Enttäuschungen, die sich zum einen aus der Vermischung von Geschäftsinteressen und amtlichen Funktionen, zum anderen aus der teils nur schwachen Unterstützung durch die eigene Regierung und dem mangelnden Durchsetzungsvermögen gegenüber den Behörden des Gastlandes ergaben. Vor diesem Hintergrund plädierten die Kaufmannskonsuln selbst vermehrt für den Abschluss von Handelsverträgen und setzten die dafür notwendigen Verhandlungen – wie das Beispiel Arnold Otto Meyers in Siam gezeigt hat – teilweise sogar selbst in Gang, betätigten sich also auf diplomatischem Terrain.

Die im Zusammenhang mit dem Zweiten Opiumkrieg auf den Weg gebrachte preußische Ostasienexpedition führte dann zum Abschluss von Handelsverträgen mit Japan, China und Siam, die erstmals auch die Entsendung von Berufsdiplomaten vorsahen. Obwohl die Kaufmannskonsuln in Politik und Öffentlichkeit zunehmend kritisch betrachtet wurden, weil sie ihre geschäftlichen nicht immer von den öffentlichen Interessen zu trennen wussten und zudem für die nun vertraglich zugesicherte Ausübung der Konsulargerichtsbarkeit keine ausreichenden Fachkenntnisse vorzuweisen hatten, vollzog sich der damit eingeleitete Wechsel von den Kaufmannskonsuln zu den Berufskonsuln aus pragmatischen Gründen nur sehr langsam. Dies gilt vor allem für die Länder und Handelsplätze, an denen sich die Kaufmannskonsuln frühzeitig etabliert und bewährt hatten. Manche von ihnen – wie zum Beispiel Adolph Leysner im japanischen Niigata – hatten hohes persönliches Ansehen und Anerkennung durch die Behörden des Gastlandes erlangt, gerade weil sie bei Konflikten zu vermitteln wussten und nicht immer auf der deutschen Rechtsposition beharrten. Nach der deutschen Reichsgründung konnte das aus politisch-diplomatischen Gründen allerdings immer weniger toleriert werden. An den besonders wichtigen Handelsplätzen mussten die Kaufmannskonsuln deshalb frühzeitig den Berufskonsuln und -diplomaten weichen, freilich auch weil ihre Arbeitsbelastung hier zunehmend unzumutbar wurde. Trotz ihrer kritischen Wahrnehmung durch Politik und Öffentlichkeit seit den 1870er Jahren bleibt aber festzuhalten, dass die Kaufmannskonsuln fast 100 Jahre lang wichtige Funktionen bei der Entfaltung des deutschen Ostasienhandels und damit des Welthandels wahrnahmen, gerade weil sie ihr Amt auch für eigene geschäftliche Interessen einzusetzen wussten, ohne auf politische Diplomatie zu verzichten, wenn es ihnen geboten schien.

Möchte man das Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Politik im europäischen Imperialismus des langen 19. Jahrhunderts weiter ausleuchten, eignen sich Kaufmannskonsuln gerade deshalb besonders gut als ein konkreter Forschungsgegenstand. So erscheint es beispielsweise vielversprechend, auf der Basis der in deutschen und zahlreichen anderen – europäischen wie außereuropäischen – Archiven verfügbaren Primärquellen den unternehmenshistorischen Hintergrund von Kaufmannskonsuln noch genauer auszuloten, wenn man die aktuell vieldiskutierte Frage klären will, ob Kaufleute eher Nutznießer oder tatsächlich Wegbereiter des deutschen Kolonialismus waren. Um zu ermessen, welchen Beitrag sie unter den jeweils vor Ort an wichtigen Handelsplätzen gegebenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zur Entfaltung von Freihandel, Imperialismus und Kolonialismus geleistet haben, sollte dabei dem Blick anderer Akteure auf die deutschen Kaufleute und ihre Konsuln besondere Aufmerksamkeit zukommen.

Online erschienen: 2023-09-19
Erschienen im Druck: 2023-09-11

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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Heruntergeladen am 29.11.2023 von https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zug-2023-0013/html?lang=de
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