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Licensed Unlicensed Requires Authentication Published by De Gruyter Oldenbourg November 28, 2011

Alternativpolitik und Diplomatie. Das Auswärtige Amt und Nordeuropa im Zweiten Weltkrieg

Alternative Policy and Diplomacy. The German Foreign Office and Northern Europe in World War II
  • Michael Jonas
From the journal Historische Zeitschrift

Zusammenfassung

Das Auswärtige Amt ist in jüngster Zeit wiederholt Gegenstand von Debatten zu seiner Vergangenheit im "Dritten Reich" geworden. Das Selbstverständnis der Behörde und eines Großteils ihrer Mitarbeiter kollidiert dabei nicht selten mit den Ergebnissen der einschlägigen Historiographie zur Geschichte des Auswärtigen Amtes. Dem Bild eines mal in stiller Opposition, mal in "zähem, hinhaltendem Widerstand", jedoch stets in kollektiver Verweigerung begriffenen Amtes, das sich bereits aus dem erinnerungspolitischen Diskurs der unmittelbaren Nachkriegszeit kondensieren lässt, steht in der historischen Forschung seit den 1980er Jahren die Einsicht in die "Deformation" des auswärtigen Dienstes im "Dritten Reich" gegenüber. Im Fahrwasser dieser Schwerpunktverlagerung scheint jedoch ein zentrales Moment der jüngeren Geschichte des Auswärtigen Amtes beinahe vollständig aus dem Blickfeld der Forschung geraten zu sein: das in der Regel vergebliche Bemühen einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Berufsdiplomaten, an den Konventionen und Traditionen ihrer Profession festzuhalten und sich solcherart dem Totalitätsanspruch des NS-Regimes zu entziehen. Dass sich eine Annäherung an die Geschichte des Auswärtigen Amtes aus der Perspektive von Verweigerung und Dissens als durchaus fruchtbar erweisen kann, wird in dem vorliegenden Aufsatz anhand eines konkreten Fallbeispiels illustriert: der deutschen Außen- und Besatzungspolitik gegenüber den Kleinstaaten Nordeuropas im Zweiten Weltkrieg. Den Kern der Ausführungen bilden die nordeuropapolitischen Vorstellungen des Deutschen Gesandten in Helsinki, Wipert von Blücher, und dessen anhaltendes Bemühen, Berlin zu einer alternativen, auf Kooperation und Ausgleich fußenden Politik im Hinblick auf Skandinavien und den Ostseeraum zu veranlassen. Die Analyse von Blüchers politischem Handeln gibt dabei Aufschluß über Anlässe und Inhalte, Kommunikationsformen und -wege, Motive und Ziele national-konservativer Außenpolitik und traditionsgebundener diplomatischer Praxis im "Dritten Reich". Im konkreten Falle werden zudem - nicht ohne eine gewisse "Kraft des Repräsentativen" (Reinhard Wittram) - Reichweite und Grenzen jenes Operations- und Wirkungsradius ausgelotet, der einzelnen Diplomaten selbst vor dem Hintergrund der "kumulativen Radikalisierung" von Politik und Kriegführung im Verlauf des Zweiten Weltkriegs verblieben sein konnte.

Abstract

Over the last couple of years, the German foreign office, the Auswärtiges Amt, has become the subject of a heated debate about its role in the Third Reich. In the past, the self-conception of the institution has frequently collided with the results of the existing historiography on the subject. The image of a ministry sometimes quietly opposed, sometimes in "tenacious, perpetual resistance" to National Socialism was shaped by the memory politics of the early post-war period, but has since the 1980s been juxtaposed, partly even supplanted, by research findings stressing the institutional and collective deformation of the foreign service during the Third Reich. In the wake of this change in emphasis, however, historians of the Amt and National Socialist foreign policy have almost entirely ignored one central aspect of the foreign office´s history between 1933 and 1945: the often futile efforts by a rather considerable number of professional diplomats to preserve the conventions and traditions of their profession and to thereby evade the regime´s claim to totality. By focussing on a concrete case study, the German foreign and occupation policies vis-à-vis the small states of Northern Europe during the Second World War, the article attempts to highlight the analytical fruitfulness of such an approach. At the heart of its analysis, the article engages with the foreign political conceptions of the German minister to Helsinki, Wipert von Blücher, and his persistent pressure on Berlin to adopt an alternative policy towards Northern Europe and the Baltic Sea region, based much rather on cooperation and accommodation than subjugation and exploitation. The assessment of Blücher´s political actions and initiatives thereby sheds light on the motives and aims, causes and contents, procedures and modes of national-conservative foreign policy and traditional diplomatic practice in the Third Reich. Through the prism of a case study, the article furthermore explores the limits of the operational radius that individual diplomats retained even against the backdrop of the "cumulative radicalisation" in the course of the Second World War.

Published Online: 2011-11-28
Published in Print: 2011-12

© by Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Hamburg, Germany

Downloaded on 30.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1524/hzhz.2011.0058/html
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