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Licensed Unlicensed Requires Authentication Published by De Gruyter Oldenbourg February 29, 2012

Der deutsche Importboom während des Zweiten Weltkriegs. Neue Ergebnisse zur Struktur der Ausbeutung des besetzten Europas auf der Grundlage einer Neuschätzung der deutschen Handelsbilanz

The German Import Boom during World war II. New Results about the Financial Exploitation of Occupied Europe by the Nazi War Economy
  • Jonas Scherner
From the journal

Zusammenfassung

Bis heute sind die vom Statistischen Reichsamt veröffentlichten Daten zur deutschen Handelsbilanz Grundlage für Aussagen über den Außenhandel Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Danach war die Handelsbilanz des Reiches in den betreffenden Jahren fast ausgeglichen und das Außenhandelsdefizit mit den besetzten Ländern erstaunlich gering. Daher kann nur ein Bruchteil der Mittel, die Deutschland aus dem besetzten Europa in Form von Besatzungskosten und faktisch erzwungenen ausländischen Krediten zuflossen, und über deren genaue Verwendung man bis heute nichts weiß, zur Finanzierung von Importüberschüssen gedient haben. Gestützt auf bisher weitgehend noch nicht berücksichtigte Quellen lässt sich allerdings zeigen, dass die offiziellen Daten für die Kriegszeit vollkommen irreführend sind, was den Reichsbehörden auch bekannt war. Tatsächlich kam es zu einem spektakulären Importboom und wurde fast die Hälfte der finanziellen Ausbeutung zur Bezahlung von Einfuhrüberschüssen verwendet. Zudem kann — anders als etwa Vertreter der Blitzkriegshypothese suggerieren — keine Rede davon sein, dass die Einbindung des besetzten Europa in die deutsche Kriegswirtschaft, was die Handelsströme anbelangt, erst “richtig” nach 1941 erfolgt sei. Ursächlich für die Verzerrung der Einfuhrstatistik waren dabei nicht eine bewusste Manipulation des Statistischen Reichsamts, sondern Änderungen der Erhebungsverfahren und Probleme bei ihrer Umsetzung. Dem NS-Regime kam allerdings in seiner Außendarstellung die Veröffentlichung der irreführenden Handelsbilanzstatistik zupass, hoffte man doch so in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken zu können, Deutschland beute das beherrschte Europa nicht aus.

Abstract

The trade balance figures published by the Statistische Reichsamt are still today used as evidence for Germany„s foreign trade during World War II. Apparently Germany„s trade was almost balanced, and the deficit with occupied counties was surprisingly small. Consequently Germany can only have employed a small fraction of the money she received from occupied Europe — so called occupation costs and loans from foreign states the exact use of which is unknown — for financing trade deficits. Based on widely ignored sources so far this article shows that the official trade data are highly distorted, and that the authorities were aware of this. Revised data suggest firstly a spectacular import boom, and secondly that almost the half of the financial exploitation from occupied Europe served to finance huge German trade deficits. In addition, occupied Europe played already an important role before 1942 for the German war economy, at least with regard to trade flows — in contrast to claims of the proponents of the Blitzkriegs-Hypothesis. The distortion of official import data, however, was not the result of a deliberate manipulation of the Statistische Reichsamt; rather modifications of the survey method and problems to enforce them during the war were responsible. Yet, the Nazi regime considered the publication of the distorted data as useful, since they seemed to suggest that Germany did not exploit occupied Europe.

Published Online: 2012-02-29
Published in Print: 2012-02

© by Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Mannheim, Germany

Downloaded on 24.3.2023 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1524/hzhz.2012.0004/html
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