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Publicly Available Published by De Gruyter Saur March 6, 2014

Cloudbasierte Infrastruktur für Bibliotheksdaten – Kernelemente und aktueller Entwicklungsstand

  • Uwe Risch

    Dr. Uwe Risch

    Leiter der HeBIS Verbundzentrale

    EMAIL logo
From the journal Bibliotheksdienst

Zusammenfassung:

Das Projekt „Cloudbasierte Infrastruktur für Bibliotheksdaten“ (CIB) der deutschen Bibliotheksverbünde HeBIS, BVB und KOBV zielt auf eine Reform der hergebrachten Arbeitsteilung von lokalem Bibliotheksmanagementsystem und regionalem Verbundsystem. An ihre Stelle tritt die weitgehende Verlagerung von Katalogisierung und Lokalsystemfunktionen in internationale Plattformen. Der Aufsatz stellt die Kernelemente dieses Vorhabens dar und beschreibt den aktuellen Entwicklungsstand des Projektes.

Abstract:

The project “Cloud-based infrastructure for library data” (CIB) run by the German library consortia of Hesse (HeBIS), Bavaria (BVB), and Berlin-Brandenburg (KOBV) aims at a reform of the traditional division of tasks between local library systems and union catalogue systems. As a result cataloguing as well as local system functions will largely be transferred to international platforms. The article points out the central points of the project and describes its actual state of affairs.

1 Das Projekt

Gleichsam als Abschluss einer langjährigen Diskussion über Aufgaben und Funktionen der deutschen Bibliotheksverbünde hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Januar 2012 eine Ausschreibung zur „Neuausrichtung überregionaler Informationsservices“ veröffentlicht. Im Ausschreibungsthemenfeld „Bibliotheksdateninfrastruktur und Lokale Systeme“ überzeugte als einziger Antrag das vom Hessischen Bibliotheksinformationssystem (HeBIS) als Konsortialführer sowie dem Bibliotheksverbund Bayern (BVB) und dem Kooperativen Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg (KOBV) getragene Projekt „Cloudbasierte Infrastruktur für Bibliotheksdaten“ (CIB). Für dieses Vorhaben wurde eine Förderung von zunächst drei Jahren gewährt. Das Projekt startete am 1. September 2013 und fußt im Wesentlichen auf drei Überzeugungen:

Erstens: Die Katalogisierung findet zukünftig nicht mehr in regionalen Verbunddatenbanken statt, sondern in einer international ausgerichteten Umgebung nach internationalem Regelwerk. Die Arbeit in dieser neuen Infrastruktur wird die herkömmlichen regionalen Verbunddatenbanken mittelfristig entbehrlich machen. Internationale Katalogisierungsplattformen existieren heute bereits, auch wenn sie zurzeit noch nicht das gesamte Spektrum an benötigten Funktionen abdecken können. Eine Eigenentwicklung kann so vermieden, entsprechende Risiken hinsichtlich Entwicklungsaufwand, institutioneller Verankerung und dauerhafter Pflege eines solchen Systems umgangen werden.

Zweitens: Die heute in Form von „Lokalsystemen“ erbrachten Funktionen können weitgehend in cloudbasierte Systeme verlagert werden. Die Existenz etwa einer automatisierten Ausleihe ist heute kein profilbildendes Angebot einer Bibliothek mehr und kann daher ohne Verlust an Wettbewerbsfähigkeit standardisiert, die entsprechenden IT-Dienste zugekauft werden. Viele Bibliotheken beschreiten diesen Weg bereits.

Drittens: Ein nationales Datenfenster in Form eines von den internationalen Plattformen unabhängigen Systems muss schon aus Gründen der Datensicherung aufgebaut werden. Das nationale Datenfenster wird aus den Plattformen heraus laufend aktualisiert und enthält die dort erfassten Daten aller deutschen Bibliotheken. Es kann zugleich die Basis für jene Dienste bieten, die zumindest noch mittelfristig ausschließlich auf deutschen Datenbeständen operieren, z.B. die Fernleihe.

CIB bündelt mit diesem Ansatz Entwicklungen, die zum Teil völlig unabhängig voneinander und in Teilen auch außerhalb des Bibliothekswesens entstanden sind. Im bibliothekarischen Bereich wird derzeit eine Ablösung nationaler Erschließungsstandards durch die RDA vorangetrieben. Damit verbunden ist die Perspektive, den Austausch bibliothekarischer Metadaten und damit auch die Kooperation von Bibliotheken auf einer internationalen Ebene zu erleichtern. Das deutsche Bibliothekswesen hat über die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) Einfluss auf das die RDA-Entwicklung steuernde Joint Steering Committee (JSC) und ist zudem über die European Interest Group in RDA (EURIG) mit einer weiteren Stimme am internationalen RDA-Prozess beteiligt. Dass in dieser großen internationalen Gemeinschaft Kompromisse gefunden werden müssen, liegt auf der Hand. Aus Nutzersicht ist es jedoch erfreulich, dass bibliothekarische Metadaten international vereinheitlicht und damit Suche und Präsentation von Bibliotheksbeständen erheblich erleichtert werden können. Gerade dem wissenschaftsnahen Nutzerkreis ist nicht mehr verständlich zu machen, warum in Zeiten von Google, amazon, facebook etc. bibliothekarische Dienste auf nationale oder gar regionale Daten begrenzt sind.

Im technischen Bereich ist als wesentliche Rahmenbedingung des CIB-Projektes vor allem die Entwicklung des Internets zu einer robusten Infrastruktur mit konstant hohen Übertragungsgeschwindigkeiten zu nennen. Der Aufbau einer strikt ortsnahen IT-Versorgung ist damit nicht mehr zwingend. Auf dieser technischen Grundlage entstand das Wirtschaftskonzept der „Cloud“. Heute zum modischen Schlagwort verkommen, indiziert die „Cloud“ bei Lichte betrachtet ein Geschäftsmodell der Informatik-Wirtschaft wie es zum Teil seit Jahrzehnten auch in anderen Branchen zu finden ist: Diensteanbieter offerieren eine Leistung, die sie aufgrund der absetzbaren Menge (Skaleneffekt) oder der wirtschaftlicheren Erstellung (komparative Kostenvorteile) kostengünstig anbieten können. Aus Sicht der Nachfrager ergibt sich damit die Gelegenheit, den Eigenanteil an den zu erbringenden Diensten (die „Fertigungstiefe“) zu reduzieren. Die bislang im eigenen Haus erstellte Leistung wird von externen Dienstleistern kostengünstiger erbracht und kann deshalb zugekauft werden. Entwicklung und Betrieb von IT-basierten Bibliotheksfunktionen ist nun einmal für einen Kundenkreis von 4.000 Bibliotheken erheblich kostengünstiger realisierbar als für vier oder 40 Bibliotheken und kann bei Nutzung moderner Techniken konzentriert werden auf wenige Rechenzentren (Knoten) weltweit. Von welchem Cloud-„Knoten“ der Kunde eine Leistung bezieht, ist im Prinzip nicht mehr von Interesse, da nicht das konkrete IT-System selbst, sondern die erbrachte Leistung, der „Dienst“ an sich, gekauft wird.

Es ist nicht überraschend, dass die Produktpolitik der weltweit agierenden Anbieter von Bibliothekssystemen, allen voran OCLC und Ex Libris, mittlerweile darauf ausgerichtet ist, ihre in die Jahre gekommenen Lokal- und Zentralsysteme durch cloudbasierte Lösungen zu ersetzen. Bedenkt man, dass über 80 % der wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland Systeme genau dieser Anbieter betreiben bzw. nutzen, steht schon aus diesem Grund der Übergang zu cloudbasierten Lösungen auf der Tagesordnung.

2 Reifegrade

Im CIB-Projekt werden keine fertigen Bestandteile neu montiert. Das Projekt greift vielmehr im Entstehen begriffene technische und bibliothekarische Entwicklungen auf und versucht diese frühzeitig für den Aufbau einer effizienten Infrastruktur zu nutzen und mitzugestalten. Mit Blick auf die in Deutschland eingesetzten Bibliothekssysteme ist davon auszugehen, dass die zwei großen Anbieter OCLC und Ex Libris mit ihren aktuellen Cloud-Entwicklungen WorldShare (OCLC) und Alma (Ex Libris) auf Anbieterseite eine maßgebliche Rolle spielen werden. Darüber hinaus können jedoch weitere Entwicklungen wie das im Entstehen begriffene Kuali OLE[1] durchaus interessante Anknüpfungspunkte bieten, sobald eine gewisse Marktreife bzgl. Technik und Organisation festzustellen ist. Als Vorteil der Angebote von OCLC und Ex Libris kann hervorgehoben werden, dass eine möglichst flexible und anpassungsfähige Struktur cloudbasierter Dienste und Funktionen realisiert werden soll. Die genannten Plattformanbieter versuchen mit einer Art „App-Gallery“ kundenspezifische Erweiterungen zu ermöglichen und über offene Schnittstellen lokale Dienste einzubinden. Standardisierungen von Geschäftsgängen und Datenstrukturen sind bei auf einen großen Markt zielenden Diensten unumgänglich. Angebote vom Charakter eine App-Gallery können dies zumindest abmildern, eine Anpassung an lokale Besonderheiten erleichtern.

In Bezug auf die Ausgestaltung der internationalen Plattformen wurden im CIB-Projektantrag bereits wichtige Ziele formuliert: Die Synchronisation der internationalen Plattformen und damit der Aufbau eines „Einheitlichen deutschen Datenraums“, die Integration der wesentlichen Katalogisierungsressourcen des deutschen Bibliothekssystems und schließlich die Verbesserung der Datenqualität in den internationalen Plattformen. Einen besonderen Stellenwert nimmt schließlich der Bereich des Datenschutzes ein.

Bereits zu Beginn des Projektes wurden zwischen dem CIB-Konsortium und den beiden großen Herstellern Ex Libris und OCLC entsprechende Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen. In diesen wird neben einer generellen Unterstützung der Projektziele von den Anbietern auch die Bereitschaft erklärt, Gemeinsame Normdatei (GND) und Zeitschriftendatenbank (ZDB) in die Katalogisierungsplattformen zu integrieren und zudem die Plattformen untereinander mit Bezug auf die Datenbestände deutscher Bibliotheken zu synchronisieren.

3 Synchronisation internationaler Plattformen

Das CIB-Projekt strebt eine offene Infrastruktur an, an der sich grundsätzlich alle Bibliotheken und Verbünde beteiligen können. Hierzu gehört auch die Synchronisierung der beteiligten Katalogisierungsplattformen, so dass der Titelbestand der teilnehmenden deutschen Bibliotheken in jeder Plattform aktuell und vollständig vorhanden ist.

Die technischen Verfahren hierzu werden derzeit mit OCLC und Ex Libris abgestimmt. Eine Einigung wurde bereits dahingehend erzielt, die OCLC Number (OCN) als einheitlichen Titel-Identifikator zu nutzen. Die Deduplizierung der Titel wird somit im OCLC WorldCat durchgeführt, was wiederum mit sich bringt, dass alle von der Plattformsynchronisation zu erfassenden Titeldaten auch in den WorldCat geladen werden müssen. Dies kann auf dem unmittelbaren Weg der Primärkatalogisierung erfolgen oder aber via Synchronisationsprozess aus einer anderen Katalogisierungsplattform (z.B. Ex Libris Alma), an welche die im WorldCat vergebene OCN dann zurückgeliefert wird. Auch die heute noch üblichen batch-Uploads in den WorldCat stehen als Lieferweg zur Verfügung. OCLC hat die grundsätzliche Bereitschaft bekundet, Titeldaten auch solcher Bibliotheken zu Synchronisationszwecken zu verarbeiten, die keine weiteren OCLC-Dienste lizenziert haben. Diese nur auf den Synchronisationsprozess bezogene Minimal-Teilnehmerschaft an OCLC wird absehbar ohne weitere Zusatzkosten oder aber mit einem sehr geringen finanziellen Aufwand möglich sein.

Letztlich wird mit dem hier beschriebenen Verfahren der Plattform-Synchronisation ein „Einheitlicher deutscher Datenraum“ aufgebaut: Die Identifikator-Vergabe (OCN) garantiert die Einheitlichkeit, der Synchronisationsprozess bestimmt den Umfang der einzubeziehenden Titel (deutsche Bibliotheken) und der Begriff des „Datenraums“ zeigt schließlich an, dass hier kein physikalisches System, sondern eine Struktur gemeint ist. Der Einheitliche deutsche Datenraum meint eine Qualität der Daten in den internationalen Plattformen und nicht etwa ein nationales Katalogisierungssystem.

Für den Aufbau des Einheitlichen deutschen Datenraums ist es vorteilhaft, wenn die Komplexität der Plattformsynchronisation relativ gering und damit leicht beherrschbar bleibt. Unter dieser Prämisse lohnt sich ein nochmaliger Blick auf die derzeit verfügbaren Plattform-Angebote OCLC World Share und Ex Libris Alma. Während in der OCLC World Share-Umgebung arbeitende Bibliotheken grundsätzlich immer in der global geteilten WorldCat-Plattform katalogisieren, gestaltet sich die Situation in der ALMA-Umgebung von Ex Libris durch das Konzept der sogenannten „Network-Zone“ komplexer. Eine Network-Zone ist im Kern nichts anderes als die Bildung einer Katalogisierungsgemeinschaft grundsätzlich beliebigen Zuschnitts. Nach derzeitigem Stand ist allerdings für eine ALMA-Bibliothek die Katalogisierung immer nur in einer einzigen Network-Zone möglich, für die sich die jeweilige Bibliothek „entscheiden“ muss. Grundsätzlich ist mit diesem Modell also die Bildung mehrerer deutscher Network-Zones, bestehend aus Gruppen kooperierender ALMA-Bibliotheken, möglich und man könnte auf diesem Wege versucht sein, die zersplitterten deutschen Verbundstrukturen unverändert in die Cloud zu transportieren – alter Wein in neuen Schläuchen. Dies hätte zur Konsequenz, dass der Synchronisationsprozess sich sowohl über mehrere Network-Zones als auch auf den WorldCat erstrecken müsste und wegen der damit massiv erhöhten Komplexität nicht beherrschbar wäre. Ein Einheitlicher deutscher Datenraum mit seinem Datenbestand möglichst aller deutschen Bibliotheken käme so nicht zustande.

4 Integration von Gemeinsamer Normdatei (GND) und Zeitschriftendatenbank (ZDB)

Sowohl OCLC als auch Ex Libris haben die Integration von GND und ZDB in ihre Plattformen zugesagt. Mit Blick auf die GND ist eine Synchronisaton zwischen GND-Datenbeständen und den Plattformen vereinbart, die sich an den Datensatz-Identifikatoren der GND ausrichtet und damit auch weiterhin eine Primärerfassung von Normdaten in der GND möglich macht. Über die Katalogisierungsclients wird ein schreibender Zugriff und damit Neuerfassung oder Änderung in der GND möglich sein. Ein Wechsel der Arbeitsumgebung zur Normdatenbearbeitung kann so vermieden werden.

Mit Blick auf die ZDB wird ein Synchronisationsprozess eingerichtet, der die ZDB mit allen in den Plattformen vollzogenen Änderungen an relevanten Zeitschriftentiteln versorgt. Im Rahmen des CIB-Modells wird jedoch keine materialtypabhängige Aufteilung von Katalogisierungsvorgängen erfolgen und alle Materialien einschließlich der Zeitschriften werden innerhalb der Plattformen erfasst.

5 Datenqualität

Die in internationalen Katalogen vorfindliche Datenqualität ist nicht immer vergleichbar mit dem hohen Standard, an dem sich deutsche Bibliotheken traditionell orientieren. Das CIB-Projekt greift diese Problematik auf. Seit Dezember 2013 wird in einer Facharbeitsgruppe „Datenqualität“ des CIB-Projektes untersucht, welche vor allem systematisch bedingten Mängel hier bestehen und wie diese Situation verbessert werden kann. Der OCLC WorldCat steht derzeit im Mittelpunkt der Betrachtung. OCLC selbst arbeitet seit geraumer Zeit an der Verbesserung der Datenqualität im WorldCat und hat diese Bemühungen, nicht zuletzt angeregt durch das CIB-Projekt, in jüngster Zeit intensiviert. Ein überarbeitetes Datenmodell des WorldCat ebenso wie eine intensivere Beteiligung der OCLC-Mitglieder im Feld der „Metadata Governance“ sind laut OCLC in Vorbereitung. Bei aller verständlichen Kritik an den bestehenden internationalen Bibliothekskatalogen muss aber auch darauf verwiesen werden, dass sich beim Thema Datenqualität wechselseitig Veränderungsprozesse ergeben müssen. Der Übergang zur RDA ebenso wie die Nutzung cloudbasierter Katalogisierungsplattformen bieten die Chance, die in Teilen aufwändigen und recht filigranen Erschließungsarbeiten der Vergangenheit einer Prüfung zu unterziehen. Zur Beurteilung kann dabei nicht allein die Binnenperspektive bibliothekarischer Fachlichkeit dienen. Vielmehr muss der Blick von außen, der Blick der Nutzer auf die jetzigen und erwarteten Leistungen von Bibliotheken im Vordergrund stehen. Die von manchen Kritikern vorgebrachte Einschätzung, dass komplexe Katalogisate oder Erschließungsdaten nicht in identischer Form in die aktuell angebotenen internationalen Katalogisierungsplattformen übernommen werden könnten, ist damit in mehrfacher Hinsicht Aufgabe und Herausforderung (auch) des CIB-Projektes, aber sicherlich kein Hindernisgrund, einen solchen Weg zu beschreiten.

6 Datenschutz

Schon vor einigen Jahren wurde der breiteren Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Behandlung von Fluggastdaten bewusst, dass zwischen den USA und der EU unterschiedliche Auffassungen zum Schutz personenbezogener Daten bestehen. Das damalige Unbehagen beim Blick auf die Datenschutzstandards diesseits und jenseits des Atlantiks hat sich mit der „Snowden-Affäre“ zu einer Verwerfung ausgewachsen. Ursprünglich mit Enthüllungen über Zugriffe US-amerikanischer Behörden auf große Cloud-Dienstleister wie Google oder Yahoo begonnen, stellte sich im Lauf der Zeit heraus, dass von Betriebssystemen über PC-Netze bis zur Verschlüsselungssoftware selbst (!) faktisch jeder Bestandteil der weltweiten informationstechnischen Infrastruktur im Visier interessierter Kreise war. Der entstandene Schaden ist enorm, eine den neuen Möglichkeiten (und Begehrlichkeiten) angemessene Neuregelung datenschutzrechtlicher Belange innerhalb wie außerhalb der EU[2] steht noch aus. Gemessen am Durchgriff auf Banktransaktionen, Krankenakten, Telefongespräche und Mailverkehr ist die in der bibliothekarischen Gemeinschaft diskutierte Gefahr eines möglichen Zugriffs nicht berechtigter Dritter auf Nutzerdaten oder Ausleih-Historien vielleicht kein gravierendes, existenzielles Problem. Dennoch müssen Bibliotheken darauf vertrauen können, dass die ihren Nutzern angebotene Infrastruktur datenschutzrechtlichen Erfordernissen entspricht. Zunächst muss betont werden, dass der Betrieb internationaler Katalogisierungsplattformen keine Verzeichnung personenbezogener Daten über deren Nutzer erfordert. Dieser Schritt des CIB-Projektes hin zu einer Katalogisierung in internationalen Plattformen ist weitgehend unbelastet von datenschutzrechtlichen Vorbehalten. Erst cloudbasierte Lokalsystemfunktionen sind, etwa bei der Unterstützung von Ausleihprozessen, auf die Einbindung personenbezogener Daten angewiesen. Innerhalb des CIB-Konsortiums besteht Einigkeit darüber, dass personenbezogene Daten nur dann in cloudbasierten Systemen gehalten werden können, wenn diese Systeme europäischen Datenschutzbestimmungen unterliegen und dies auch von den zuständigen Aufsichtsbehörden insofern abgenommen wurde. Nach intensiven Gesprächen mit Anbietern und den verantwortlichen Stellen in den Landesverwaltungen zeichnen sich hier erfreulicherweise Lösungen ab.

7 Anbieterabhängigkeit und die „Nationale Karte“

Zu Beginn der Diskussion über das CIB-Projekt stand die Befürchtung im Raum, dass über die Kooperation mit kommerziellen Anbietern ein wie auch immer nachteiliges Abhängigkeitsverhältnis geschaffen werde. Soweit Nachteile hier konkretisiert wurden, hörte man Verweise auf mangelnde Innovationsfähigkeit in einem Monopol bzw. Oligopol, Erpressbarkeit bezüglich zukünftiger Preise und/oder Leistungen der Dienste oder aber die gefährdete Stabilität der Plattformangebote bei drohender Insolvenz der Anbieter.

Diese Kritik kann man nur mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen. Eine enge Kooperation mit den marktführenden Anbietern von Bibliothekssystemen besteht in Deutschland seit vielen Jahren. Die ganz überwiegende Mehrzahl der wissenschaftlichen Bibliotheken und allen voran die Verbundsysteme nutzen heute Systeme von OCLC oder Ex Libris. Dies sind aber nun exakt jene Systemanbieter, die auch den Markt für cloudbasierte Dienste prägen. Warum heute, im Vorfeld eines schon unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten notwendigen Technologiewechsels, die seit vielen Jahren praktizierte Kooperation mit den kommerziellen Anbietern nun eine existenzgefährdende Bedrohung darstellt, erschließt sich in keiner Weise. Hier soll nicht dem unkritischen Umgang mit kommerziellen Partnern das Wort geredet werden. Dieses Verhältnis ist nie konfliktfrei und muss stets einer kritischen Würdigung mit Blick auf die Bibliotheks- und Nutzerinteressen unterzogen werden. Jedoch sind in einer arbeitsteiligen und zunehmend globalisierten Wirtschaft Abhängigkeitsverhältnisse nicht vermeidbar. Es kommt darauf an, Abhängigkeiten zu minimieren, indem „Exit-Optionen“ geschaffen werden und ein aus welchen Gründen auch immer nötiger Wechsel von Angebot A zu Angebot B möglich bleibt.

Das CIB-Projekt hat zur Meidung von Abhängigkeiten die Einrichtung eines nationalen Datenfensters beschlossen, in dem die Daten der deutschen Bibliotheken unter nationalem Recht in einer Art Sicherungssystem gehalten werden. Es ist damit sichergestellt, dass selbst bei einem Abschalten von Diensten keine Daten verloren gehen und umgehend ein neuer Dienstleister beauftragt werden kann. Diese wichtige Exit-Option reduziert die Abhängigkeit von kommerziellen Partnern auf ein handhabbares Maß. Sicherlich keine Option ist hingegen, eine rein nationale Katalogisierungs- und Diensteplattform in Form einer Eigenentwicklung der deutschen Bibliotheksverbünde aufbauen zu wollen. Finanzierbarkeit und organisatorische Stabilität einer solchen Lösung bergen gerade mit Blick auf den Dauerbetrieb nicht beherrschbare Risiken. Das unter dem Label „Open Source“ firmierende Entwicklungsprojekt Kuali OLE mag zwar die Hoffnung nähren, nach einer sicherlich mehrjährigen Reifezeit als Bibliotheksmanagementsystem für (kleinere) Bibliotheken auch in Deutschland einsetzbar zu sein, wird aber sicherlich nicht den Kern einer deutschen Wissenschafts-Infrastruktur bilden können. Ein genauerer Blick auf Kuali OLE enthüllt zudem, dass die Kuali Foundation als Träger der Entwicklung, ebenso wie OCLC, eine Mitgliedsorganisation ist, die nur bei entsprechendem finanziellem Engagement Einfluss auf den Quellcode des Kuali-Systems gewährt. Änderungen oder Ergänzungen am Quellcode müssen zudem einen redaktionellen Prozess durchlaufen, in dem eine Aufnahme in das eigentliche Produkt nicht garantiert ist.[3] Und schließlich ist ein rein kommerzielles Unternehmen – HTC Global Services – als „Entwicklungspartner“ mit wesentlichen Teilen der Systementwicklung beauftragt.[4] Der über das Label „Open Source“ kolportierte, vorgeblich strukturelle Unterschied zur Entwicklungskooperation mit anderen kommerziellen Partnern wie etwa OCLC oder Ex Libris schmilzt also bei genauer Betrachtung sehr schnell dahin. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass schon der Besitz des Quellcodes vor Abhängigkeiten schützen möge. Eine trügerische Hoffnung. Bereits heute sind Teile der OCLC-Verbünde im Besitz des Quellcodes des PICA- (heute OCLC-)Zentralsystems CBS und werden sich dennoch hüten, an dieses System mit seinen hunderttausenden Codezeilen mehr als nur in Nebensächlichkeiten Hand anzulegen. Vielleicht gerade weil die Kritik an der vorgeblichen „Herstellerabhängigkeit“ des CIB-Projektes auf eher tönernen Füßen steht, lassen sich in der aktuellen Diskussion über eine zukünftige Infrastruktur für Bibliotheksdaten auch bedenkliche Argumentationen ausmachen, die eher in den Bereich der Ideologiebildung gehören.

Im Kontext einer recht romantischen Verklärung von regionaler Tradition und „menschlicher Wesenheit“ werden etwa bei Neubauer[5] die durchaus berechtigten Sorgen des bibliothekarischen Fachpersonals um Funktion und Qualität zukünftiger Erschließungsverfahren in die Nähe eines Kulturkampfes gerückt. Über den Begriff der „Arbeitskultur“[6] und der Betonung „sprach-“ und „kulturkreis“-abhängiger „Katalogisierungstraditionen“[7] wird das bibliothekarische Handwerkszeug selbst recht schnell zum eigenständigen Kulturgut und damit vom Mittel der globalen Wissensbeschaffung zu einem Zweck an sich. So als stünden Bibliotheken zum ersten Mal in ihrer jahrhundertelangen Existenz vor Regelwerksänderungen und der Einführung neuer technischer Systeme.

Dieser konservative Bezug auf Regionalismus und deutsches Kulturgut baut Mauern auf gegen die überfällige und letztlich doch eher nachholende Modernisierung der bibliothekarischen Infrastruktur in Deutschland. Dass wir durch die Finanzierung eines Betriebs von fünf funktional identischen Verbunddatenbanken und dem ebenso antiquierten Betrieb überalterter Lokalsysteme Mittel verschwenden, die für die Neupositionierung von Bibliotheken als Partner von Bildung, Lehre und Forschung dringend benötigt werden, ist heute weitgehend Konsens. Es wäre ein großer Erfolg, wenn dieser nunmehr unbestrittene und im CIB-Projekt aktiv angegangene Reformbedarf nicht wieder in einen deutschen Sonderweg münden, besser gesagt: enden würde.

About the author

Uwe Risch

Dr. Uwe Risch

Leiter der HeBIS Verbundzentrale

Dr. Uwe Risch:

Published Online: 2014-03-06
Published in Print: 2014-03-31

© 2014 by De Gruyter

Downloaded on 19.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2014-0030/html
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