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Publicly Available Published by De Gruyter December 14, 2017

Richard Connolly, Towards a Dual Fleet? The Maritime Doctrine of the Russian Federation and the Modernisation of Russian Naval Capabilities. 2017.

  • Sebastian Feyock

In seiner Studie betrachtet Connolly die überarbeitete maritime Doktrin der Russischen Föderation von 2015 und analysiert, inwiefern die russische Marine über die Fähigkeiten verfügt, um die in der Doktrin identifizierten Ziele zu erreichen. Zu diesem Zweck ist die Studie in drei Abschnitte unterteilt. Zuerst vergleicht Connolly die Doktrin von 2015 mit ihrer vorherigen Version von 2001, bevor er den russischen Ambitionen vorhandene Fähigkeiten und Beschränkungen gegenüberstellt. Abschließend analysiert der Autor den Wandel der russischen Marinestreitkräfte und Probleme, die sich daraus für die NATO ergeben.

Bei der Doktrin von 2001 habe es sich um ein Dokument gehandelt, so Connolly, das nur lose mit anderen Strategiedokumenten in Verbindung gestanden habe und bei dem es sich mehr um eine Ansammlung von abstrakten Wunschvorstellungen und weniger um realistisch zu erreichende Ziele gehandelt habe. Darüber hinaus sei sie vor dem Hintergrund einer schwachen Marine entstanden, die nicht in der Lage gewesen sei, nötige Neubeschaffungen und Modernisierungen umzusetzen.

Die aktualisierte Marinestrategie von 2015 habe die in der Zwischenzeit stattgefundene wirtschaftliche und außenpolitische Entwicklung Russlands berücksichtigt und in ein mit anderen Strategiedokumenten abgestimmtes Ergebnis überführt, so Connolly. Das Wirtschaftswachstum der frühen 2000er Jahre habe ein ambitioniertes Aufrüstungsprogramm ermöglicht. Gleichzeitig sei das Bedürfnis nach strategischer Planung in weiten Bereichen der russischen Politik gestiegen, was zur Verknüpfung der Doktrin mit der nationalen Sicherheitsstrategie aus dem selben Jahr geführt habe. Nicht zuletzt die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die daraus resultierenden internationalen Sanktionen hätten die Marinedoktrin von 2015 geprägt.

Während die Definition funktionaler Aufgaben russischer maritimer Politik in der aktuellen Doktrin unverändert bleibe, identifiziert Connolly einige signifikante Anpassungen. So unterstrichen die Autoren der aktualisierten Doktrin den exklusiven Anspruch auf die Ausbeutung unterseeischer Ressourcen auf dem Kontinentalschelf vor Russland sowie die Notwendigkeit, die Fischerei- und Handelsflotte inklusive der notwendigen Infrastruktur zu entwickeln. Auch der Ausbau von Kapazitäten im Bereich der maritimen Forschung werde genannt. Obwohl es sich dabei primär um zivile Politikfeldern handele, werde die russische Marine als zentrales außenpolitisches Instrument zur Absicherung dieser Ansprüche genannt. Laut Connolly komme der Flotte die duale Aufgabe zu, einerseits die territoriale Unversehrtheit Russlands abzusichern und gleichzeitig die russische Präsenz auf den Weltmeeren zu gewährleisten.

Neben den funktionalen Fragen beschreibe die Doktrin auch die geografischen maritimen Interessen der russischen Politik. Auf den ersten Blick seien diese laut Connolly zwar umfassend, sie als überambitioniert zu beschreiben, sei allerdings eine Fehlinterpretation in der englischsprachigen Literatur. Obwohl neben der Arktis, dem Atlantik und dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer auch der Indische und Pazifische Ozean sowie die Antarktis und das Kaspische Meer genannt würden, sei eine klare Priorisierung erkennbar. Besonders der atlantische Raum (zu dem die Autoren der Doktrin auch die Ostsee sowie das Schwarze Meer und das Mittelmeer zählten) und die Arktis gehörten laut Connolly zu den wichtigsten Seegebieten aus russischer Perspektive. In diesen Regionen, nah der russischen Küste, werde russische Politik stark beeinflusst durch das als inakzeptabel bezeichnete Verhalten der NATO und durch aus russischer Sicht rechtlich mangelhafte Sicherheitsinstitutionen. Daran orientierten sich auch die gesteckten Ziele, die laut Connolly vor allem darin bestünden, im Schwarzen Meer die russischen militärischen Fähigkeiten auszubauen. Für das Mittelmeer strebe die Doktrin „militärisch-politische Stabilität“ und den Aufbau einer permanenten russischen Marinepräsenz an.

Die Relevanz der Arktis liege aus russischer Sicht vor allem darin, dass sie den Zugang der russischen Nordflotte zu Pazifik und Atlantik gewähre und über umfangreiche unterseeische Ressourcen verfüge. Aus diesem Grund komme ihr strategische Bedeutung zu. Um den Abbau der vorhandenen Vorkommen zu sichern, müsse die technologische Basis gefördert, die Infrastruktur in der Region ausgebildet und ein verlässlicher internationaler Rechtsrahmen gefunden werden.

Auf dem Weg, die gesteckten Ziele auch tatsächlich zu erreichen, sieht Connolly allerdings zwei zentrale Hindernisse. Dies seien sowohl finanzielle als auch industrielle Beschränkungen. Einem Anstieg der Verteidigungsausgaben auf 5,5 % des BIP in 2015 würden in den kommenden Jahren Einschnitte infolge der abgeschwächten russischen Wirtschaftsleistung folgen. Dies bedeute, dass die Marine nicht über die Mittel verfügen werde, die geplanten Modernisierungen und Neuanschaffungen tatsächlich zu tätigen. Bei der Beschaffung werde der russischen zivilen und militärischen Schiffbauindustrie in der Marinedoktrin eine zentrale Rolle zugedacht. Die russischen Werften hätten jedoch große Probleme, Neuentwicklungen moderner Großwaffensysteme pünktlich und im gesteckten Budgetrahmen erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Allerdings habe die russische Industrie gezeigt, dass sie durchaus modernisierte Versionen bestehender Systeme bauen könne.

Die Einschränkungen bei finanziellen und industriellen Fähigkeiten führten zu einer sich verändernden, dualen Flottenstruktur, so Connolly. Als „blue water navy“ verfüge die russische Marine über Großwaffensysteme aus der Sowjetzeit, die modernisiert und fernab der heimischen Gewässer zur Machtdemonstration genützt würden. Parallel dazu existiere eine „Moskito“-Marine mit kleineren, moderneren Einheiten, die über Flugkörper langer Reichweite verfügten. Diese seien in der Lage, russische Interessen nahe der heimischen Gewässer, besonders in der Arktis und im Schwarzen Meer durchzusetzen.

Connolly kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass es sich bei der aktualisierten Marinedoktrin zwar um ein ambitioniertes, aber kein überambitioniertes Dokument handelt. Während die russische Marine zwar Schwierigkeiten haben werde, die ambitionierteren Ziele im Indischen Ozean oder in der Antarktis umzusetzen, sei sie in der Lage, ihre Ziele in den Kernregionen nahe der heimischen Gewässer zu erreichen. Durch kleinere leistungsfähige Einheiten könne konkurrierenden Marinen der Zugang zu und die Kontrolle über Gebiete in der Arktis, der Ostsee, dem Kaspischen Meer, dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer verwehrt werden.

Folglich verwehrt der Fokus allein auf die technologischen und finanziellen Schwierigkeiten Russlands den Blick auf den eigentlichen Herausforderungen für die NATO. Die in der russischen Doktrin als Kernregionen definierten Seegebiete grenzen an NATO-Territorium und beinhalten somit großes Konfliktpotential. Nachdem das Bündnis seit 2014 vor allem in die Rückversicherung seiner Mitglieder und die Bündnisverteidigung zu Land und in der Luft investiert hat, müssen ähnliche Anstrengungen in der maritimen Domäne folgen, um zukünftig den Zugang zu und die Kontrolle über NATO-Hoheitsgewässer und angrenzende Seegebiete sicherzustellen.

http://www.ndc.nato.int/news/news.php?icode=1061

Published Online: 2017-12-14

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2017-0096/html
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