Skip to content
Publicly Available Published by De Gruyter Oldenbourg February 8, 2016

Bin ich meines Glückes Schmied?

Kausalattribution des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität zwischen früher und später Lebensmitte

  • Heiner Meulemann

    Heiner Meulemann, geb. 1944. Studium der Soziologie in München und Frankfurt. 1971 Promotion in Frankfurt. 1983 Habilitation in Frankfurt. 1971–1986 wissenschaftlicher Assistent und Professor in Frankfurt, Köln, Duisburg und Princeton (USA). Seit 1986 Professor für Soziologie in Eichstätt, Düsseldorf und Köln.

    Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Soziologie, empirische Sozialforschung, Lebenslaufforschung.

    Wichtigste Publikationen: Nach der Säkularisierung. Religiosität in Deutschland 1980–2012. Wiesbaden 2015. – Soziologie von Anfang an. Eine Einführung in Themen, Ergebnisse und Literatur. 3., überarb. Aufl. Wiesbaden 2013; Ankunft im Erwachsenenleben (mit Klaus Birkelbach, Opladen 2001; Information and Entertainment in European Mass Media Systems: Preferences for and Uses of Television and Newspapers. European Sociological Review 28, 2012: 186–202; Die psychischen Kosten von Freizeitaktivitäten und die Entfaltungschancen des Fernsehangebots. Medien und Kommunikationswissenschaft 60, 2012: 240–261. Zuletzt in dieser Zeitschrift: Studium, Beruf und der Lohn von Ausbildungszeiten. Der Einfluß von Bildungsinvestitionen und privater Bindungen auf den Berufseintritt und den Berufserfolg in einer Kohorte ehemaliger Gymnasiasten zwischen 1970 und 1985, 1990: 248–264.

    EMAIL logo

Zusammenfassung:

Gemäß der These der Selbstwertdienlichkeit internaler Attributionen wird untersucht, ob der persönliche Berufserfolg und die soziale Mobilität mit dem Anstieg des Berufserfolgs stärker der Person und weniger den externen Umständen zugeschrieben werden. Datenbasis ist eine Wiederbefragung von im 16. Lebensjahr erstmals befragten Gymnasiasten im 30., 43. und 56. Lebensjahr. Der Berufserfolg wird als Prestigegewinn, Einkommenssteigerung und Einschätzung des aktuellen beruflichen Erfolgs im Vergleich zum Berufsbeginn erhoben. Die Hypothesen werden mit Strukturgleichungsmodellen getestet, die unbeobachtete Heterogenität durch einen Faktor für jede Person kontrollieren. Zu keinem Zeitpunkt trifft zu, dass der Berufserfolg zugleich seine internale Attribution steigert und seine externale Attribution senkt; dasselbe gilt für die Attribution der Mobilität. Aber die Attributionen sind stabil und beeinflussen einander negativ; und beides wird im Lebenslauf stärker.

Summary:

According to the thesis of the self-favoring function of internal attribution, this contribution examines whether – with increasing personal success – occupational success and societal mobility are attributed to the person rather than to the situation. The data used are taken from a panel survey of former German 16 year old high school students who were re-interviewed at ages 30, 43, and 56. Occupational success is measured as prestige gain, income increase, and the assessment of current success relative to the career start. Hypotheses are tested with structural equation models with a latent factor for every subject to control for unobserved heterogeneity. At no time point does occupational success simultaneously increase its internal and decrease its external attribution; and the same holds for the attribution of social mobility. Yet internal and external attributions are stable and affect each other negatively – and do so increasingly over the life course.

„Jeder ist seines Glückes Schmied“ – dieses Sprichwort hat eine vordergründige und eine hintergründige Bedeutung. Vordergründig spricht es aus, was das Leben vielen lehrt: Man selbst ist verantwortlich für das, was man geworden ist. Hintergründig enthält es eine Forderung: Man sollte sich selber als Ursache für das sehen, was man geworden ist, selbst wenn es so aussieht, dass Zufall, Umstände oder andere Leute die Ursache sind. Das „Glück“ wird zwei Mal „geschmiedet“: im Leben, in dem ich mehr oder weniger viel Erfolg habe und mehr oder minder genau weiß, wie er errungen wurde, und im Rückblick auf mein Leben, in dem ich und andere meine Erfolge als mein Werk ansehen oder nicht; oder, anders formuliert: vom Ich als Agenten und als Erzähler (McAdams & Cox 2010). Man macht sein Glück, indem man sein Leben lebt und indem man seinen Lebenserfolg verstehen will.

Die folgende Untersuchung fragt, wie das bis heute mehr oder minder erfolgreich geführte Leben rückblickend als Lebenserfolg verstanden wird. Sie verfolgt den nach Planung und Ausführung dritten Schritt der Selbstregulation, die Selbstreflexion, von der Jugend bis zur späten Lebensmitte und betrachtet einen besonderen Aspekt der Selbstreflexion: nicht die Einschätzung, sondern die Attribution von Erfolg und Misserfolg (McClelland et al. 2010: 516–517). Sie nutzt sozialpsychologische Konzepte, um zu prüfen, ob erlebte berufliche Erfolge dazu führen, den persönlichen Berufserfolg und die soziale Mobilität stärker dem Ich und weniger den Umständen zuzuschreiben. In Abschnitt 1 werden daher Überlegungen der experimentellen Sozialpsychologie auf den beruflichen Lebenslauf angewendet, um Hypothesen über den Einfluss des Berufserfolgs auf seine Kausalattribution zu entwickeln. In Abschnitt 2 werden Daten und Variablen der Untersuchung vorgestellt. In Abschnitt 3 wird der Einfluss des Berufserfolgs auf seine Kausalattribution analysiert.

1 Fragen, Theorien und Hypothesen

1.1 Die Selbstwertdienlichkeit internaler Attributionen

Die experimentelle Sozialpsychologie untersucht Kausalattributionen in zwei Perspektiven: Welchen Ursachen schreibt ein Beobachter die Handlungsergebnisse eines beobachteten Akteurs zu? Und welchen Ursachen schreibt ein Akteur seine Handlungsergebnisse zu?

In der Perspektive des Beobachters scheinen Akteur und Handlung eine „kausale Einheit“ (Fritz Heider, zitiert in Fischer & Wiswede 2009: 275). Weil eine Handlung nur durch einen Akteur in einer Situation zustande kommt, ist die erste Dimension der Kausalattribution die Lokation: Person oder Situation, internal oder external (Schulz-Schaeffer 2007: 270, 283–286). In beiden Fällen kann das Handlungsergebnis einer festen oder variablen Ursache zugeschrieben werden: Die internale Attribution kann sich auf Fähigkeit oder Anstrengungen, die externale auf Aufgabenschwierigkeit oder Glück beziehen (Fischer & Wiswede 2009: 258, 269; Schulz-Schaeffer 2007: 306–310). Die „kausale Einheit“ von Akteur und Handlung enthält weiterhin eine Prognose: Obwohl Zwänge der Situation erkennbar sind, neigen Beobachter dazu, Handlungsergebnisse stärker auf die Person statt auf die Situation zu attribuieren, also den „fundamentalen Attributionsfehler“ zu begehen (Blanchard-Fields 1996: S138-S140; Fischer & Wiswede 2009: 275; Schulz-Schaeffer 2007: 270, 287–292). In den Augen der anderen sollte jeder der Schmied seines Glückes sein.

In der Perspektive des Akteurs gilt die Klassifikation der Zuschreibungen in die primäre Dimension der Lokalität und die nachgeordnete Dimension der Stabilität ebenso; wenn der Akteur sich selber beobachtet, wird die „kausale Einheit“ von Akteur und Handlung nicht aufgelöst. Der Wechsel der Perspektive legt aber drei spezifische Annahmen zur Kausalattribution eigener Handlungserfolge nahe.

Erstens ist für den Akteur das Handlungsergebnis unmittelbar bedeutsam. Deshalb steigt die Tendenz zur Attribution mit der subjektiven Bedeutsamkeit des Gegenstands (Fischer & Wiswede 2009: 278). Je mehr etwas, das man bewirkt hat, einen selbst betrifft, desto mehr denkt man über die Ursachen nach.

Zweitens sind Akteure anders als Beobachter bereit, ihre Handlungsergebnisse stärker der Situation zuzuschreiben (Fischer & Wiswede 2009: 260, 279; Schulz-Schaeffer 2007: 297–300), also den „fundamentalen Attributionsfehler“ nicht zu begehen. Wer in einer Situation lebt, lernt sie besser kennen als jemand, der sie nur beobachtet.

Drittens haben Akteure anders als Beobachter ein Motiv, positive Handlungsergebnisse stärker internal als external zuzuschreiben. Die Attribution eines Handlungserfolgs auf Fähigkeiten und Bemühungen ist „selbstwertdienlicher“ (Fischer & Wiswede 2009: 269; Schulz-Schaeffer 2007: 300–302; Hosenfeld 2002: 36–38) als die Attribution auf Aufgabenschwierigkeit oder Glück. Wenn ich „mein Glück selbst geschmiedet“ habe, kann ich auf es eher stolz sein, als wenn es mir in den Schoß gefallen ist. Erfolge werden daher stärker internal, Misserfolge stärker external attribuiert (Sweeney et al. 1982).

Die Selbstwertdienlichkeit internaler Attributionen wurde fast ausschließlich in Experimenten mit künstlich induzierten Erfolgen und Misserfolgen untersucht (Sohn 1982: 349; Vispoel & Austin 1995: 380–382). Nur ein erlebter Erfolg wurde u. W. als Auslöser[1] internaler und externaler Attributionen betrachtet: Der Studienerfolg (zuletzt Sweeney et al. 1982). Die folgende Untersuchung erweitert diese naturalistische Perspektive. Sie prüft, wie der erlebte Berufserfolg einer früheren Lebensphase seine Attribution und die der sozialen Mobilität in einer späteren Lebensphase kausal beeinflusst. Sie prüft darüber hinaus langfristige psychische Folgen des Berufserfolgs im Lebenslauf – wozu u. W. nur wenige Studien vorliegen (Spurk & Abele 2014).

1.2 Attribution des persönlichen Berufserfolgs als biographische Selbstreflexion – Attribution der sozialen Mobilität als „naive“ Gesellschaftstheorie

Die Kausalattribution des persönlichen Berufserfolgs ist ein Prozess der biographischen Selbstreflexion des Akteurs in der Gesellschaft; das Ergebnis ist ein Aspekt der Identität. Als Aspekt der Identität muss der Berufserfolg bewertet werden, und die Bewertung verlangt einen „selbst-referentiellen“ (Abele et al. 2011) Vergleichsmaßstab. Daher ist Berufserfolg nicht der heutige Status an sich, sondern im Vergleich zu den Ausgangsbedingungen. Aufwärts- oder Abwärtsmobilität sind Erfolge oder Misserfolge in der Sozialbiographie (Meulemann 1985: 468). In einer funktional hoch differenzierten Gesellschaft, die soziale Unterschiede durch Leistung rechtfertigt, gewinnt ein „Mobilitätsethos“ – das Streben nach persönlicher Bewährung im sozialen Aufstieg – den Stellenwert einer säkular-religiösen Sinngebung. Was man als Auf- oder Abstieg erfahren hat, muss deshalb interpretiert und in die Identität eingefügt werden – zum Beispiel: „Ich bin aufgestiegen, weil ich das Zeug dazu hatte“, „Ich habe es nicht geschafft, weil ich nie eine Chance hatte“. Weil die Berufsstruktur jedoch nicht jedem Mobilität nach oben erlauben kann, müssen sich Immobile und Absteiger als erfolglos ansehen, während sich Aufsteiger wenigstens kurzfristig als erfolgreich verstehen können. Erfolglose aber reagieren mit Rückzug oder mit Zynismus, die sich aus der Überzeugung von der Schuld der Welt oder „der Gesellschaft“ speisen (Luckmann & Berger 1964: 339–343, Morgenroth & Schaller 2004: 192 -194). Sie attribuieren external (Doehlemann 1996: 23–24). Die sozialpsychologische Annahme der Selbstwertdienlichkeit der internalen Attribution wird so ergänzt durch eine soziologische Erklärung der Misserfolgsbewältigung durch externale Attribution (Rieger-Ladich 2013).

Die Kausalattribution des persönlichen Berufserfolgs ist weiterhin für die Sicht des Akteurs auf soziale Ungleichheit bedeutsam. Forschungen zur sozialen Ungleichheit schließen oft von der persönlichen Erfahrung auf die Neigung zur Legitimation von Ungleichheit durch Leistung: Wer aufgestiegen ist, sollte mit der bestehenden Ungleichheit einverstanden sein; wer abgestiegen ist, sollte sie kritisch sehen (Groh-Samberg & Hertel 2015). Aber diese Gleichsetzung übergeht das Zwischenglied der Kausalattribution, das einen Schluss nur bei Stimmigkeit von Erfahrung und Interpretation zulässt: Wer seinen Aufstieg sich selber zuschreibt, glaubt die Fruchtbarkeit des Leistungsprinzips erfahren zu haben und akzeptiert die gegebene Ungleichheit. Und wer seinen Abstieg auf von ihm nicht kontrollierte Umstände zurückführt, steht dem Leistungsprinzip und der Ungleichheit, die es rechtfertigen soll, kritisch gegenüber. Aber wer seinen Aufstieg dem Glück oder den Umständen zu verdanken meint, könnte – vor allem wenn er sich politisch links verortet und den Wert der Gleichheit dem der Leistung vorzieht (Klingemann & Fuchs 1990) – an der Gültigkeit des Leistungsprinzips und der Legitimität der Ungleichheit zweifeln. Und wer seinen Abstieg sich selber zurechnet, findet nur schwer zu einer Wertung der Ungleichheit und wird gegenüber Gesellschaft und Politik eher apathisch werden.

Die Kausalattribution der sozialen Mobilität ist Teil der „naiven“ Gesellschaftstheorie (Fischer & Wiswede 2009: 268, 274) eines Beobachters der Gesellschaft. Sie ist ein „alltagsweltliches Deutungsmuster“ sozialer Ungleichheit, also der wahrgenommenen Lebensgeschichten aller Mitglieder einer Gesellschaft (Sachweh 2011). Wenn die gleichen Personen als Akteure in und als Beobachter der Gesellschaft betrachtet werden, kann die biographische Selbstreflexion als Basis für die Verallgemeinerung auf die „naive“ Gesellschaftstheorie gesehen werden. In dem Maße, in dem Menschen dazu neigen, unabhängig vom Gegenstand kausal zu attribuieren, sollten sie eigene Erfahrungen in eine „naive“ Gesellschaftstheorie übertragen. Wer etwa meint, mit Begabung und Fleiß zum beruflichen Erfolg gekommen zu sein, wird auch glauben, dass Begabung und Fleiß die soziale Mobilität stark bestimmen; er wird die Ungleichheit in der Gesellschaft nicht als Schicksal, sondern als Spiegel von Leistungsunterschieden sehen (Sachweh 2013). Allerdings ist niemand so „naiv“, seine „Gesellschaftstheorie“ allein auf eigene Erfahrungen zu gründen. Jeder kennt fremde berufliche Lebensgeschichten und jeder hat teil an Diskussionen in der Öffentlichkeit über soziale Mobilität. Soziale Teilhabeformen und politische Einstellungen brechen die eigenen beruflichen Erfahrungen und spiegeln sich mit ihnen in der „naiven“ Gesellschaftstheorie. Die Kausalattribution des eigenen beruflichen Erfolgs ist die nächstliegende, aber nicht die einzige Grundlage der Kausalattribution sozialer Mobilität.

Die internale und externale Attribution des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität in der frühen, mittleren und späten Lebensmitte werden in Abhängigkeit von den Lebensbedingungen in der Jugend betrachtet. Da in der Jugend eine Identität gesucht und früher oder später gefunden werden soll, so dass sie danach gewahrt werden kann, sind in der frühen Lebensmitte die Attributionen Ergebnis der Identitätsfindung und in der mittleren und späten Lebensmitte Ergebnis der Identitätswahrung (Meulemann 2001).

1.3 Hypothesen

Die internale und externale Attribution des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität bilden die endogenen Variablen eines kausalen Systems, die durch exogene Variablen der Jugendzeit und des Berufserfolgs im Lebenslauf bestimmt sind. Dieses System ist für die Attribution von Berufserfolg und Mobilität identisch. Es ist in Abbildung 1 zusammen mit den Vorzeichen der im Folgenden begründeten Hypothesen dargestellt. Die Lebensphasen sind mit dem modalen Alter zur jeweiligen Befragung bezeichnet. Der Berufserfolg bezieht sich auf die Zeitspanne zwischen den Befragungen, die Kausalattributionen sind mit den im Folgenden verwendeten Kürzeln in Großbuchstaben und dem modalen Alter der Befragung dargestellt.

Die Kausalattributionen in der frühen Lebensmitte (INT30, EXT30) werden auf den Berufserfolg bis zur frühen Lebensmitte, die Attributionen in der Jugend und das Geschlecht regrediert; die Kausalattributionen der mittleren Lebensmitte (INT43, EXT43) auf die der frühen Lebensmitte und den Berufserfolg zwischen früher und mittlerer Lebensmitte; und die Kausalattributionen der späten Lebensmitte (INT56, EXT56) auf die der mittleren Lebensmitte und den Berufserfolg zwischen mittlerer und später Lebensmitte. Alle Einflüsse wirken also zeitverzögert und können, sofern unbeobachtete Heterogenität statistisch kontrolliert ist (siehe Abschnitt 2.5), kausal interpretiert werden. Drei Arten von Kausaleinflüssen finden sich in Abbildung 1: der exogene Einfluss der zeitveränderlichen Variable Berufserfolg, der endogene Einfluss der Attributionen aufeinander und der exogene Einfluss zeitkonstanter Bedingungen in der Jugend.

Abb. 1:  Internale und externale Attribution des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität in Abhängigkeit vom Berufserfolg im Lebenslauf
Abb. 1:

Internale und externale Attribution des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität in Abhängigkeit vom Berufserfolg im Lebenslauf

Exogener Einfluss des zeitveränderlichen Berufserfolgs: Erfolgshypothese

Der Berufserfolg bezieht sich auf die Zeiten zwischen den Befragungen und ist zeitveränderlich. Er wird nicht als aktueller Stand zum Zeitpunkt der Befragung, sondern als Veränderung zwischen aktueller und vorausgegangener Befragung verstanden, also nicht als absoluter Erfolg, sondern als bewältigter Erfolgsspielraum. Auf diese Weise wird isoliert, was für den Betroffenen erklärungsbedürftig ist. Der bewältigte Erfolgsspielraum sollte die Kausalattribution des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität in der gleichen Richtung, aber mit unterschiedlicher Stärke beeinflussen.

Der Berufserfolg ist in einer Leistungsgesellschaft, die Ressourcen und Status nach Leistung verteilt, ein Lebensziel, das jeder verfolgen muss. Man will Erfolg, so dass man der Frage der kausalen Attribution des Ergebnisses nicht ausweichen kann (Fischer & Wiswede 2009: 260). Und jeder „kontrolliert“ seinen eigenen beruflichen Lebenslauf, in dem er selber und niemand sonst in letzter Instanz entscheidet (Fischer & Wiswede 2009: 271; Schulz-Schaeffer 2007: 311–313). Angestrebtes „Handlungsergebnis“ ist der Aufstieg, die Steigerung der Wertschätzung durch andere oder des Prestiges, das sich in Ausbildungsabschlüssen, beruflichem Status und Einkommen messen lässt (Meulemann 2001: 19–21). Aufstieg oder Abstieg sind der Erfolg oder Misserfolg, der kausal zugerechnet werden muss. Da jeder der „Schmied“ seines Berufserfolgs ist, sollten die drei Annahmen der experimentellen Sozialpsychologie über die Kausalattribution eigener Handlungsergebnisse auch für das Leben zwischen Jugend und später Lebensmitte gelten.

Erstens ist in einer Leistungsgesellschaft der Berufserfolg nach dem Familienstand die wichtigste Dimension der Identität und des Selbstbewusstseins: 70–77 % der West- oder Ostdeutschen nennen „Erfolg im Beruf haben“ 1990, 1992, 1995 und 2004 als Lebensziel (Statistisches Bundesamt 2006: 454). Zudem ist der Berufserfolg ein Dauerproblem der Lebensmitte, in der Chancen gesucht und gefunden werden müssen (Weymann 2008: 187–200). Die kausale Attribution des Berufserfolgs ist der Versuch des Erzähler-Ichs dem Leben des Agenten-Ichs „kausale Kohärenz“ zu geben (McAdams & Cox 2010: 193, 201). Man kommt hier also kaum daran vorbei, eigene Handlungsergebnisse kausal zu attribuieren.

Zweitens kennen wohl die meisten Menschen ihre berufliche Lebensgeschichte besser als Beobachter. Anders als lebensgeschichtlich weniger gewichtige alltägliche Entscheidungen wie etwa Konsum und Freizeitgestaltung planen die Menschen ihren Beruf auf wachsende Erfolge hin und orientieren sich an früheren Erfolgen und Misserfolgen. Trotz aller Verzerrungen sollten sie daher die entscheidenden Situationen, die sie durchlebt haben, noch kennen und wissen, welchen Zwängen sie unterworfen waren. Sie sollten daher in der Lage sein, das Gewicht der „Situation“ realistisch einzuschätzen und die Bedeutung der Person nicht aus Informationsmangel hervorzuheben. In der beruflichen Lebensgeschichte sind nicht nur Akteur und Handlung, sondern auch Akteur und Situation eine „kausale Einheit“ geworden. Mit Blick auf die eigene Berufsgeschichte sollte der „fundamentale Attributionsfehler“ also weniger ins Gewicht fallen als mit Blick auf alltägliche Handlungsergebnisse.

Drittens kumulieren sich in der beruflichen Lebensgeschichte Erfolge und Misserfolge. Zwar sind auch viele andere Handlungen auf Erfolg orientiert und führen zu Erfolg oder Misserfolg. Aber in der Regel ist das eine wie das andere schnell vergessen. In der beruflichen Lebensgeschichte hingegen bleiben die Nachwirkungen von Erfolg und Misserfolg lange spürbar. Ein nicht erreichter Schulabschluss stellt die Weichen des Berufszugangs für das ganze Leben; eine Kündigung wirft ihren Schatten auf jede weitere Bewerbung. Deshalb bleiben auch die resultierenden Steigerungen und Minderungen des Selbstwerts lange, vielleicht über das ganze Leben bestehen. Wenn aber die Beiträge zum Selbstwert sich kumulieren und nur wenig nachlassen, dann gewinnt die Selbstwertdienlichkeit Gewicht. Mit Blick auf die berufliche Lebensgeschichte sollte also die Neigung, Erfolge internal und Misserfolge external zu attribuieren, stärker sein als mit Blick auf andere eigene oder auf fremde Handlungsergebnisse.

Der persönliche Berufserfolg bewegt sich auf einer Prestigeskala, die gesellschaftlich konstruiert ist und wissenschaftlich nachgezeichnet wird (Wegener 1988). Jeder ist vom Startpunkt seiner Herkunft ausgegangen und hat aktuell einen Zielpunkt erreicht, der bis zum höchsten Prestige weiter überschritten werden kann. Da das höchste Prestige für alle gleich ist, ergeben sich unterschiedliche Berufswege aus der Differenz zwischen Start und erreichtem Ziel. Die Differenz zwischen Startpunkt und höchstem Prestige ist der Erfolgsspielraum, die Differenz zwischen Startpunkt und bis heute erreichtem Zielpunkt ist der bewältigte Erfolgsspielraum. Aufgrund der Selbstwertdienlichkeit der kausalen Erfolgsattribution sollte die Erfolgshypothese gelten: Je größer der bewältigte Erfolgsspielraum ist, desto eher wird die berufliche Lebensgeschichte internal und desto weniger external attribuiert. Für die Attribution von objektiv bewerteten und subjektiv eingeschätzten Erfolgen im Studium wurde diese Hypothese bestätigt (Sweeney et al. 1982: 363, 366).

Wie der persönliche Berufserfolg bewegt sich auch die soziale Mobilität auf der gesellschaftlichen Prestigeskala. Dem individuell bewältigten Erfolgsspielraum im beruflichen Lebenslauf entspricht der durchschnittlich bewältigte Erfolgsspielraum in der Gesellschaft oder ihre „Offenheit“, die man wissenschaftlich und „naiv“ als Kriterium einer „guten Gesellschaft“ (Miller & Eßbach 2001) ansehen kann. Wenn die kausale Attribution des persönlichen Berufserfolgs im Kern selbstwertdienlich ist und – gebrochen durch Berichte und Erfahrungen anderer und durch soziale Teilhabe und politische Einstellungen – auf die kausale Attribution der sozialen Mobilität übertragen wird, sollte die Erfolgshypothese auch für die soziale Mobilität gelten, aber in geringerer Stärke: Je größer der bewältigte Erfolgsspielraum ist, desto eher sollte die soziale Mobilität internal und desto weniger external attribuiert werden. Aber die positiven und negativen Einflüsse des bewältigten Erfolgsspielraums auf die Kausalattribution der sozialen Mobilität sollten absolut kleiner sein als auf die des persönlichen Berufserfolgs. Wie für den persönlichen Berufserfolg sollte die Erfolgshypothese zwarauch für die soziale Mobilität gelten. Aber aufgrund der geringeren Selbstwertdienlichkeit der Einschätzung der sozialen Mobilität sollten die positiven und negativen Effekte absolut geringer sein. Das wird als Differenzhypothese der Erfolgsabhängigkeit bezeichnet.

Endogener Einfluss der Attributionen aufeinander: Stabilität und Widerstreit

Da internale und externale Kausalattributionen im Lebenslauf erlernt und bekräftigt werden, sollten Attributionen der gleichen Lokation sich über Lebensphasen – allerdings nicht sehr stark (Hosenfeld 2002: 109, 167; Levy et al. 2011: 442 f.) – positiv beeinflussen. Da die internale und die externale Kausalattribution sich auf den Gegensatz von Person und Umwelt beziehen, sollten sie einander über Lebensphasen negativ beeinflussen. Beide Hypothesen sollten für die Attribution des persönlichen Berufserfolgs wie der sozialen Mobilität gelten. Sie werden als Stabilitäts- und Widerstreithypothese bezeichnet.

Exogener Einfluss zeitkonstanter Startbedingungen: Attributionen des Schulerfolgs und Geschlecht

Auf die Attributionen des Berufserfolgs in der frühen Lebensmitte wirken zeitkonstant die Attributionen des Schulerfolgs in der Jugend und das Geschlecht ein. Die Attribution des Schulerfolgs ist mit der des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität konzeptuell verwandt. Deshalb sollte für ihren Einfluss auf die späteren Attributionen ebenfalls die Stabilitäts- unddie Widerstreithypothese gelten.

Das Geschlecht hat in experimentellen wie naturalistischen Untersuchungen die Attribution verschiedener Erfolge beeinflusst. Eigene Leistungen wurden von Männern eher internal und speziell auf Fähigkeiten, von Frauen eher external und speziell auf Glück attribuiert (Deaux & Farris 1977; Bar-Tal 1978: 262; Frieze et al. 1982; Fox & Ferry 1992). Allerdings galt das nicht gleichermaßen für Erfolg und Misserfolg in der natürlichen Situation des Studienerfolgs (Sweeney et al. 1982). Zudem sind die Unterschiede gering und nicht durchgängig (Sohn 1982). Schließlich lässt die vorgeschlagene Erklärung dieser Unterschiede durch die Tatsache, dass Frauen eher in abhängigen Positionen berufstätig sind, sich leicht kontrollieren. Gesellschaftliche Misserfolge wie Armut werden von Männern weniger external attribuiert als von Frauen (Shirazi & Biel 2005: 106). Kurzum: Auch wenn die Ursachen nicht geklärt sind, gibt es empirische Hinweise für die Geschlechtshypothese, dass der persönliche Berufserfolg wie die soziale Mobilität von Männern eher internal und von Frauen eher external attribuiert werden.

Reichweite der Kausaleinflüsse und Einflussveränderungen

Alle Kausalhypothesen in Abbildung 1 verbinden nur benachbarte Lebensphasen.Denn in jeder Lebensphase wirken allein die Erfahrungen im vorausgehenden Lebensabschnitt; der Einfluss noch früherer Lebensphasen ist durch die unmittelbar vorausgehende Lebensphase bereits kontrolliert. Das gilt für den zeitveränderlichen Prädiktor Berufserfolg und den zeitkonstanten Prädiktor Geschlecht. Der Berufserfolg bis zur frühen Lebensmitte z. B. kann keinen Einfluss mehr auf die Attributionen in der mittleren Lebensmitte mehr haben, der nicht bereits durch seinen Einfluss auf die Attributionen in der frühen Lebensmitte und die Stabilität der Attributionen zwischen früher und mittlerer Lebensmitte erfasst worden wäre. Auf jeden Fall gilt das für die hier untersuchten objektiven Gegebenheiten wie Geschlecht und Berufserfolg, die nicht rückwirkend in einem anderen Licht erscheinen können. Das Leben schreitet fort, aber was geschehen ist, verändert sich nicht. Der erste Zeitpunkt wirkt nicht noch einmal, nur weil die Zeit fortgeschritten ist.[2]

Die Einflüsse auf die Attributionen in Abbildung 1 können jedoch zwischen dem 43. und 56. Lebensjahr verglichen und Hypothesen über Einflussveränderungen begründet werden. Im Lauf des Lebens wächst die Erfahrung, aber die jüngeren Erfahrungen sind mehr und mehr von der gleichen Art wie die älteren. Sie bestätigen meist, was bereits gelernt wurde, und bieten selten Anlass, das Gelernte in Frage zu stellen. Erfolgsattributionen speisen sich also immer weniger aus neuen Erfahrungen und immer mehr aus sich selbst. Immunisierung und Konsolidierung gehen Hand in Hand: Der Einfluss der Lebenserfahrungen sollte ab- und die Stabilität zunehmen (Lodi-Smith et al. 2012: 515, 520–521). Das wird als Immunisierungs- und Konsolidierungshypothese bezeichnet.

2 Daten und Variablen

2.1 Daten

Untersuchungsgruppe sind Schüler des 10. Schuljahres an Gymnasien des Landes Nordrhein-Westfalen, die 1969 erstmals klassenweise schriftlich im modalen Alter von 16 Jahren – Erstbefragung, EB16 – und 1984, 1997 und 2010 individuell im modalen Alter von 30, 43 und 56 Jahren wieder befragt wurden – Wiederbefragung WB30, WB43 und WB56 (Kölner Gymnasiastenpanel – KGP).[3] EB16 fällt in die Jugend, WB30, WB43 und WB56 fallen in die frühe, mittlere und späte Lebensmitte. EB16 umfasste 3240 Befragte, von denen 61,3 %, 49,3 % und 40,1 % in WB30, WB43 und WB56 wiederbefragt werden konnten. Die vorliegende Analyse bezieht sich auf alle noch in WB56 Befragten (n=1301).

In EB lag der Mittelwert zweier verbaler und zweier nonverbaler Subtests der IST-Intelligenz (Amthauer 1953) bei 110, also eine Standardabweichung über dem Altersdurchschnitt; 47 % der Gymnasiasten waren weiblich; 59 % katholisch, die übrigen protestantisch und nur ganz wenige konfessionslos; 48 % wuchsen in einer Stadt mit über 100 000 Einwohnern auf, 14 % in einer überwiegend protestantischen, 26 % in einer überwiegend katholischen Gemeinde. 29 % der Eltern sind mittlere und große Selbständige, Freiberufler oder Beamte und Angestellte mit akademischer Ausbildung – im Vergleich zu 16 % im Mikrozensus 1970.

Die Untersuchungsgruppe ist seit EB16, aber danach nur noch in geringem Maße zusätzlich nach Bildung selektiv (Birkelbach 2011, 2015). Die soziale Selektivität ist für die Untersuchungsfrage aber eher Vorteil als Nachteil. Denn die ehemaligen Gymnasiasten haben mehr Chancen des Erfolgs als der Durchschnitt der Bevölkerung, so dass sie ihn im Laufe ihres Lebens häufiger verarbeiten müssen.

Aus EB16 wurden die Variablen zu Startbedingungen und aus WB30, WB43 und WB56 die Variablen zum Berufserfolg und zur Attribution des persönlichen Berufserfolgs wie der sozialen Mobilität übernommen. Alle Variablen werden im Folgenden mit Kürzeln bezeichnet, die am Ende das modale Alter des Befragungszeitpunkts enthalten.

2.2 Endogene Variable

In WB30, WB43 und WB56 wurden die Attributionen der sozialen Mobilität und des persönlichen Berufserfolgs unmittelbar hintereinander erfragt. „In welchem Maße spielen die Faktoren (auf dieser Liste) ganz allgemein, also unabhängig von Ihnen persönlich, eine Rolle, um im Leben Erfolg zu haben?“ „Und wie war das bei Ihnen selbst – welche Faktoren haben bei Ihnen persönlich eine Rolle gespielt?“. Vorgegeben waren als internal-fixe Attribution „Begabung“, als internal-variable Attribution „Fleiß“, als external-fixe Attribution „Familie, aus der man kommt“, und als external-variable Attribution „Glück“. Die vier Vorgaben füllen die Vierfelder-Tafel Weiners (1975) aus Lokalität und Stabilität; die „Herkunftsfamilie“ erfasst Chancen und Barrieren am Start, also die „Aufgabenschwierigkeit“ des Erfolgs (Vispoel & Austin 1995: 380–385). Die vier Vorgaben wurden auf einer Skala von „0 spielt keine Rolle“ bis „5 spielt eine große Rolle“ bewertet.[4]

Endogene Variable sind die Mittelwerte der beiden internalen – also Begabung und Fleiß – und der beiden externalen Attributionsformen – also Herkunft und Glück – des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität. Die Mittelwerte, Standardabweichungen, Minima und Maxima dieser und aller exogener Variablen sind in einer Tabelle im Online-Anhang dargestellt.

Die internale korreliert mit der externalen Attribution des persönlichen Berufserfolgs wie der sozialen Mobilität so gut wie nicht: 05, .04, .08 und -.03, .03, .01. Die internalen Attributionen des Berufserfolgs korrelieren hingegen recht hoch mit denen der Mobilität; dasselbe gilt für die externalen Attributionen. Die Korrelationen schwanken ohne Tendenzen zwischen .35 und .54. Offenbar ist, soweit Antworttendenzen ausgeschlossen werden können, die persönliche Geschichte in starkem Maße Basis der „naiven“ Gesellschaftstheorie.

2.3 Exogene Variable

Zeitveränderlich: Berufsprestige und ‚Einkommen

Berufsprestige und Einkommen wurden in jeder Wiederbefragung retrospektiv in einem Inventar nach Monaten abgegrenzter beruflicher Lebensphasen erhoben, so dass für jeden Monat der Berufslaufbahn zwischen dem Berufseintritt und dem 56. Lebensjahr ein Maß vorlag. Das Berufsprestige und das Einkommen in WB30, WB43 und WB56 wurden dann als letzter gültiger Wert vor dem jeweiligen Zeitpunkt festgelegt. Der bewältigte Erfolgsspielraum im beruflichen Lebenslauf ist dann die Differenz der Werte des späteren zu denen des früheren Zeitpunkts.[5]

In der Lebensphase bis WB30 wurde das Berufsprestige der Befragten mit den beiden Startbedingungen soziale Herkunft und Leistung, also dem Berufsprestige des Vaters und der Durchschnitts-Schulnoten des Befragten in EB16, verglichen. Da das Berufsprestige der Befragten mit der MPS-Skala Wegeners (1988) und das Berufsprestige des Vaters mit der IPS-Skala Treimans (1977) gemessen wurde, wurden Differenzen nach Dezentilen gebildet: Befragten-Berufsprestige im 30. Lebensjahr abzüglich Vater-Berufsprestige im 16. Lebensjahr, PRESTIGE30. Ebenso wurde das inflationsbereinigte Netto-Einkommen des Befragten mit der Schulnote nach Dezentilen verglichen: EINKOM30.

In den Lebensphasen bis WB43 und WB56 lässt sich, weil in WB30, WB43 und WB56 das Berufsprestige (nach Wegener) in der gleichen Weise erhoben wurde, der bewältigte Erfolgsspielraum als Differenz der Roh-Maße bilden: Berufsprestige 43 abzüglich Berufsprestige 30, PRESTIGE43; Berufsprestige 56 abzüglich Berufsprestige 43, PRESTIGE56. Ebenso lässt sich das Einkommen als Differenz der Roh-Maße berechnen. Weil aber einerseits die Rohwerte der inflationsbereinigten Einkommen so zahlreich sind, dass bei Differenzbildung jeder Wert nur einmal vorkommt und bei Konstanz des Einkommens sich eine Häufung beim Wert 0 von über 10 % ergibt, wurden die Differenzwerte in Dezentile so zusammengefast, dass ein Dezentil die konstanten Werte umfasste. In WB43 lag Konstanz bei 10,3 % der Befragten vor und fiel in das dritte Dezentil, so dass das vierte Dezentil etwas schwächer besetzt war; in WB56 lag Konstanz bei 17,2 % der Befragten vor, so dass alle folgenden „Dezentile“ entsprechend schwächer besetzt waren. Auf diese Weise wurde der Einkommensgewinn in Dezentilen in WB43 als EINKOM43 und in WB56 als EINKOM56 gebildet.

Der bewältigte Erfolgsspielraum wurde nicht nur als Tatsache des Lebenslaufs konstruiert, sondern auch als „selbst-referentielle“ (Abele et al. 2011) Einschätzung erfragt: „Wenn Sie Ihr bisheriges Berufsleben überblicken und mit den Vorstellungen vergleichen, die Sie zu Beginn Ihres Berufslebens hatten, würden Sie sagen Sie haben mehr (3), so viel (2) oder (1) weniger erreicht, als Sie sich vorgestellt hatten?“ Anders als die Tatsache des Berufserfolgs bezieht sich die Einschätzung auf einen konstanten Ausgangspunkt, den Beginn des Berufslebens. Aber für die Befragten sind Erwartungen bei der vorausgegangenen Befragung kein sinnvoller Vergleichspunkt, und vermutlich wird die Erfolgsschätzung vor allem durch die jüngste Lebensgeschichte bestimmt. Die Erfolgseinschätzungen im 30., 43. und 56. Lebensjahr sind als ERREICH30, ERREICH43 und ERREICH56 abgekürzt.

Zwischen WB30 und WB43 liegen die Korrelationen des bewältigten Erfolgsspielraums in allen drei Dimensionen – Prestige, Einkommen und Erfolgseinschätzung – unter |.28|, zwischen WB30 und WB56 unter |.16|. Zwischen WB43 und WB56 korrelieren die bewältigten Erfolgsspielräume nach Berufsprestige und Einkommen negativ -.31 und -.20. Weil Prestige und Einkommen begrenzt sind, gilt: Je mehr man zwischen 30 und 43 vorangekommen ist, desto weniger Spielraum bleibt, um zwischen 43 und 56 voranzukommen. Anders als der Erfolg im Lebenslauf korreliert zwischen WB43 und WB56 die Erfolgseinschätzung deutlich positiv .41. Das kann zwei Gründe haben: Erstens können die Einschätzungen sich auch auf frühere Lebensphasen beziehen. Zweitens können sie aus konstanten Persönlichkeitsmerkmalen resultieren. Dass die Erfolgseinschätzung zwischen WB30 und WB43 .22 und zwischen WB30 und WB56 .16 korreliert, zwischen benachbarten Phase also höher ist als zwischen entfernten, spricht für eine gewisse Überlappung, aber gegen eine Kumulation des in den Zeiträumen eingeschätzten Lebenserfolgs.

Zeitkonstant: Kausalattribution des Schulerfolgs und Geschlecht

In EB16 wurde die Kausalattribution des Schulerfolgs mit der gleichen Formulierung erhoben, mit der in den Wiederbefragungen die Perspektive des Beobachters erfragt wurde; an die Stelle „des Lebens“ aber trat die – im Jahre 1969 noch so benannte – „Höhere Schule“. Vorgegeben wurden die gleichen vier Faktoren und wiederum sechs Antwortstufen. Wie in den Wiederbefragungen wurden Variablen für die Zusammenfassung der internalen und externalen Attributionen gemittelt. – Das Geschlecht wurde mit einer Kodiervariablen MANN erhoben.

Nicht kontrolliert: Persönlichkeit und Wertorientierung

Internale oder externale Attributionen des persönlichen Berufserfolgs – und indirekt auch der sozialen Mobilität – könnten nicht nur von der Lebensgeschichte, sondern auch von Persönlichkeitseigenschaften und von Wertorientierungen abhängen.

Unter den Persönlichkeitseigenschaften könnten Gewissenhaftigkeit – eine der Dimensionen der „Big Five“ (McCrae & Costa 1994) – und Leistungsorientierung Kausalattributionen beeinflussen. Gewissenhaftigkeit bedeutet, dass man eigene Handlungen in ihren Folgen für sich und andere bewusst abwägt. Sie könnte dazu führen, dass man die Ursachen für die Ergebnisse eigener Handlungen zuerst bei sich selber sucht. Leistungsorientierung heißt, dass man sich selber Ziele setzt und seinen Selbstwert darein legt, sie anzustreben. Sie könnte ebenfalls dazu führen, dass man die Ursachen für den Erfolg oder Misserfolg bei sich selber sucht. Gewissenhaftigkeit und Leistungsorientierung könnten also internale Attributionen positiv und externale Attributionen negativ beeinflussen. Sie sind gleichsam eine motivationale Wurzel für den „fundamentalen Attributionsfehler“. Sie wurden in den Wiederbefragungen allerdings nicht erhoben.

Unter den Wertorientierungen können die Identifikation mit dem Leistungsprinzip, das soziale Ungleichheit rechtfertigt, und mit der politischen Linken oder Rechten, die durch die Präferenz für Gleichheit oder Leistung definiert sind (Klingemann & Fuchs 1990), Kausalattributionen beeinflussen. Während die Leistungsorientierung eine Motivlage ist, regelt und rechtfertigt das Leistungsprinzip Gesellschaften. Wer sich mit ihm identifiziert, sollte seinen Berufserfolg internal, und wer es nicht tut, external attribuieren. In der westdeutschen Bevölkerung bleibt die Zustimmung zu „Die Rangunterschiede zwischen den Menschen sind akzeptabel, weil sie im Wesentlichen ausdrücken, was man aus den Chancen, die man hatte, gemacht hat“ und zu „Nur wenn die Unterschiede im Einkommen und im sozialen Ansehen groß genug sind, gibt es auch einen Anreiz für persönliche Leistung“ seit 1976 im Wesentlichen konstant (Meulemann 2010). Nach dem Sinn beider Aussagen gilt: Wer zustimmt, unterstützt das mit der Chancengleichheit gekoppelte Leistungsprinzip; wer nicht zustimmt, unterstützt das in der Ergebnisgleichheit eines Minimalstandards erfasste Bedarfsprinzip. Beide Aussagen könnten aber auch mit der Attribution des beruflichen Erfolgs und der sozialen Mobilität zusammenhängen: Wer zustimmt, sollte seinen beruflichen Erfolg und die soziale Mobilität internal – wer nicht zustimmt, external attribuieren. In ähnlicher Weise sollte, wer Leistung vor Gleichheit setzt, seinen beruflichen Erfolg und die soziale Mobilität internal, und wer Gleichheit vor Leistung setzt, external attribuieren. Die Identifikation mit dem Leistungsprinzip und mit der politischen Linken oder Rechten wurden aber in den Wiederbefragungen ebenfalls nicht erhoben.

In allen Wiederbefragungen wurden allerdings drei Wertorientierungen erfragt, die die Kausalattributionen beeinflussen könnten (Birkelbach et al. 2011: 52–53). Erstens wird die politische Links-Rechts-Identifikation durch die Wahlentscheidungen zwischen dem 16. und 56. Lebensjahr indiziert. Zweitens erfassen die Einstellung zu Leistung und Gleichheit (Meulemann 2014: 234) und drittens die Zustimmung zum Wert der Chancengleichheit die Identifikation mit dem Leistungsprinzip. Diese Variablen in das Kausalsystem der Abbildung 1 einzufügen, ist aber u. E. erst sinnvoll, wenn der der Erfolgsattribution nächstliegende Einfluss, der tatsächliche Erfolg, geprüft worden ist. Sollte die Erfolgshypothese scheitern, verspricht es wenig, fernerliegende Einflüsse zu prüfen.

2.4 Entwicklung der Attributionen

Die Mittelwerte der internalen und der externalen Attribution für den Schulerfolg im 16. Lebensjahr sowie des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität im 30., 43. und 56. Lebensjahr sind in Abbildung 2 dargestellt.[6] Im 30. Lebensjahr liegen die internalen Attributionen des Erfolgs und der Mobilität vor den externalen Attributionen; und die externale wie die internale Attribution der Mobilität liegen vor der des Berufserfolgs.

Abb. 2:  Internale und externale Kausalattribution des Schulerfolgs im 16. Lebensjahr sowie des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität im 30., 43. und 56. Lebensjahr
Abb. 2:

Internale und externale Kausalattribution des Schulerfolgs im 16. Lebensjahr sowie des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität im 30., 43. und 56. Lebensjahr

Zwischen dem 30. und dem 56. Lebensjahr verändert sich die Rangfolge der Attributionen nicht. Die beiden internalen Attributionen und die externale Attribution des Berufserfolgs steigen an und gehen wieder zurück, so dass sie über die gesamte Lebensmitte nur geringfügig gewinnen; die externale Attribution der sozialen Mobilität geht – übereinstimmend mit dem tatsächlichen Rückgang ihrer Abhängigkeit von der sozialen Herkunft zwischen 1985 und 2010 (Pollak 2013: 196) – geringfügig zurück. Gemessen an den Unterschieden zwischen den Attributionen aber ist der Anstieg so schwach, dass Konstanz in der Lebensmitte angenommen werden kann. Nimmt man die Attributionen des Schulerfolgs im 16. Lebensjahr hinzu und betrachtet Berufserfolg und Mobilität zusammen, so geht die internale Attribution leicht zurück und die externale steigt deutlich an.

Für alle Zeitpunkte gilt also zweierlei: Erstens werden Erfolge, persönlicher Berufserfolg wie soziale Mobilität, stärker internal als external attribuiert. Man glaubt, im eigenen Leben das Heft in der Hand zu haben und sieht sich in einer Gesellschaft, die diesen Glauben rechtfertigt. Die „naive“ Gesellschaftstheorie führt beruflichen Erfolg auf Akteure und nicht „die Gesellschaft“ zurück. Wie es das „Mobilitätsethos“ fordert, soll man nicht nur Erfolg haben, man ist auch dafür vor allem selbst verantwortlich. Die Dominanz der internalen Zuschreibung unterscheidet das Positivum des Erfolgs vom Negativum des Misserfolgs: Armut wird – in der u. W. einzigen Analyse kausaler Zuschreibungen in Bevölkerungsquerschnitten – in den Ländern Westeuropas 1990 gesellschaftlicher Ungerechtigkeit weit stärker zugeschrieben als persönlicher Unzulänglichkeit (van Oorschott & Halman 2000: 10). Mobilität gilt offenbar als gemäß dem „Mobilitätsethos“ anzustrebender und selbst zu verantwortender Normalfall, Armut als ins Leben einbrechender fremdverursachter Ausnahmefall.

Zweitens sind internale wie externale Attributionen beim persönlichen Berufserfolg schwächer als bei der sozialen Mobilität. Offenbar führt die Unmittelbarkeit der Erfahrung dazu, die eigene Lebensgeschichte zurückhaltender zu „deuten“ als „die Gesellschaft“.

2.5 Analyseverfahren

In einer Panelbefragung können die Effekte der zeitveränderlich exogenen Variablen durch nicht kontrollierte konstante Personenmerkmale – unbeobachtete Heterogenität – überschätzt werden. Das kann durch die Einführung eines latenten Faktors, eines konstanten Interzepts oder Residuums für jede Person kontrolliert werden. Dafür bieten sich zwei Analyseverfahren an: die Strukturgleichungsmodellierung SEM (Bollen & Brand 2010; Bollen & Pearl 2013), die auf einem „breiten“ Datenformat Variablen*Zeitpunkte beruht, und die Zufallseffekte- und Festeffekte-Regression (REM und FEM) (Andreß et al. 2013: 177–180), die auf einem „langen“ Datenformat Personen*Zeitpunkte beruhen. Hier wird aus drei Gründen SEM gewählt.

Erstens erlaubt das breite Datenformat in SEM die Analyse des Einflusses früherer auf spätere endogene Variable (Bollen & Brand 2010: 9–11, 21–23, 33–35), also von Stabilitätenund Wechselwirkungen, entsprechend der Abbildung 1. Weiterhin können exogene Effekte auf unterschiedliche endogene Variable des gleichen Zeitpunkts miteinander verglichen werden – sowie exogene Effekte auf die gleiche endogene Variable zwischen den Zeitpunkten (ohne die in FEM und REM notwendige Bildung von Interaktionseffekten). Schließlich lassen sich Kovarianzen zwischen den Residuen der gleichzeitigen endogenen Variablen berechnen.

Zweitens erlaubt es das breite Datenformat in SEM zu prüfen, ob die Fehlervarianzen der endogenen Variablen über die Zeitpunkte gleich sind (Bollen & Brand 2010: 5–7), während das lange Datenformat in REM und FEM die Annahme gleicher Fehlervarianzen der endogenen Variablen für jeden Zeitpunkt erzwingt (Andreß et al. 2013: 135, 152). In einer Untersuchung längerer Lebensspannen liegt es nahe, dass die Fehlervarianzen für die wiederholten Messungen der gleichen endogenen Variable zurückgehen, weil das Merkmal sich stabilisiert.

Drittens nimmt REM für statistische Tests an, dass der latente Faktor mit keiner (zeitveränderlichen oder zeitkonstanten) exogenen Variablen korreliert, und FEM lässt alle Korrelationen des Faktors mit exogenen Variablen zu. SEM erlaubt es, die Kovarianzen der exogenen Variablen mit dem Faktor global und im Einzelfall zu testen.

Anders als FEM und REM testet SEM die Anpassung der Daten, d. h. der im Modell implizierten Kovarianzen an die empirisch gegebenen. Bei großen Stichproben aber ist die Differenz fast immer signifikant; das Modell passt so gut wie nie. Deshalb werden die Anpassungsmaße hier nicht an sich, sondern nur im Vergleich zwischen (ineinander geschachtelten) Modellen betrachtet.

In einem Panel treten mit jeder Wiederbefragung erneut fehlende Werte auf. Von den 1301 in WB1, WB2 und WB3 befragten Personen haben nur 824 auf allen Untersuchungsvariablen gültige Werte. Die listwise deletion würde die Untersuchungsgruppe also auf 63,3 % verkleinern. Zur Lösung dieses Problems in SEM wurde das Schätzverfahren der Full Information Maximum Likelihood, FIML, (Wothke 2009) gewählt, das die Schätzung der Varianzen und Kovarianzen auf alle gültigen Antworten jedes Befragten stützt und wie eine multiple Datenimputation wirkt. Da der persönliche Berufserfolg wie die soziale Mobilität mit dem gleichen Datensatz analysiert wurden, ist auch die Ausschöpfung – coverage – in beiden Analysen gleich. Die Variablen hatten im Durchschnitt 93,8 % gültige Werte, keine unter 80 %. Die Varianzen und Kovarianzen beruhten im Durchschnitt auf 88,9 % gültiger Werte, keine auf unter 71 %. Die Schätzung mit FIML löst das Problem fehlender Werte also erheblich besser als die listwise deletion.

3 Ergebnisse

3.1 Attribution des persönlichen Berufserfolgs

Modellvergleich

Das Kausalsystem der Abbildung 1 enthält sechs endogene Variable, auf die drei zeitkonstant exogene Variable, die beiden Attributionsformen im 16. Lebensjahr und das Geschlecht, und eine zeitveränderlich exogene Variable, der Berufserfolg, einwirken. Da der Berufserfolg in jeder Wiederbefragung durch drei Variablen erfasst wird – PRESTIGE, EINKOM und ERREICH – erhöht sich die Zahl der zeitveränderlich exogenen Variablen auf neun. Insgesamt umfasst das Kausalsystem also 18 Variablen. Eingabe sind die 18 Mittelwerte, 18 Varianzen und 18*17/2 Kovarianzen dieser Variablen, insgesamt also 189 Momente.

In Tabelle 1 schätzt Modell 1 alle in Abbildung 1 dargestellten Einflüsse. Wie alle weiteren Modelle kontrolliert es unbeobachtete Heterogenität durch einen Personenfaktor und lässt Kovarianzen des Faktors mit allen exogenen Variablen zu und ist insofern ein Festeffekte-Modell. Anders als FEM aber lässt es unterschiedliche Residuen in den Wiederbefragungen sowie Kovarianzen zwischen den Residuen in jeder Wiederbefragung zu und prüft Stabilitäten wie Wechselwirkungen zwischen den beiden endogenen Variablen. Modell 1 umfasst vier Gruppen von Parametern.

Tab. 1: Strukturgleichungsmodelle der Attribution des persönlichen Berufserfolgs: Modellvergleich

Modell Nr. und SpezifikationChi²FGFG-Diff. zu ModellSRMSRAGFI
Alle Chi-Quadrat-Werte unter 0,01 % signifikant. FG=Freiheitsgrade. F*ERREICH = Korrelationen zwischen Faktor und ERREICH. – Anpassungsmaße: SRMSR: standardisierte mittlere Abweichung zwischen empirischen und modellimplizierten Kovarianzen, absolut, Zielwert 0; AGFI: Für Freiheitsgrade korrigierten Anpassungsindex, relatives Maß, Zielwert 0. ns: nicht signifikant.
1Residuenkovarianzen frei193.3839.0262.9873
Test des exogenen Modellteilx
2Residuenkovarianzen Null200.18421: +3, p>.05, ns.0265.9874
3= 2, F*ERREICH konstant200.43442: +2.0265.9880
Test des endogener Modellteils
4INT und EXT Stabilität gleich205.55473: +3 p>.05, ns .0273.9886
5INT und EXT Widerstreit gleich208.30473: +3 p<.05.0276.9884

(1) Regressionskoeffizienten: In WB30 werden INT30 und EXT30 auf PRESTIG30, EINKOM30, ERREICH30, INT16, EXT16 und MANN regrediert; zusammen mit den beiden Interzepten werden also 2*7=14 Parameter geschätzt. In WB43 und WB56 werden die späteren Attributionsformen auf die gleichen Variablen aus der jeweils früheren Wiederbefragung außer dem Geschlecht regrediert; zusammen mit den beiden Interzepten werden also 2*2*6=24 Parameter geschätzt. (2) Residuen: EXT und INT haben in WB30, WB43 und WB56 Residuen, zwischen denen eine Kovarianz zugelassen ist, so dass 3*3=9 Parameter hinzukommen. (3) Mittelwerte und Varianzen der 12 – zeitkonstanten wie zeitveränderlichen – exogenen Variablen werden durch 24 Parameter und die Kovarianzen zwischen ihnen durch 12*11/2=66 Parameter geschätzt. (4) Die Varianz des Personenfaktors und seine Kovarianzen mit den 12 exogenen Variablen werden mit 13 Parametern geschätzt. Die Summe der kursiv gesetzten Parameter ist 150, so dass Modell 1 189–150=39 Freiheitsgrade hat. Der Chi-Quadrat Wert für die Anpassung beträgt 193,38, was bei 39 Freiheitsgraden unter dem von 0,1 %-Niveaus signifikant ist.

Modell 1 kann in seinem exogenen Modellteil in zwei Schritten vereinfacht werden. Erstens hat der Faktor sachliche wie methodische Einflüsse, die auf die internale wie externale Attribution wirken, bereits erfasst. Deshalb verzichtet Modell 2 auf die Kovarianzen zwischen den Residuen in den drei Wiederbefragungen und gewinnt 3 Freiheitsgrade. Der Chi-Quadrat-Wert steigt dadurch nicht signifikant an und die Anpassungswerte SMSR und AGFI verschlechtern sich kaum. Zweitens sind in Modell 2 die Korrelationen des Faktors mit ERREICH in WB1, WB2 und WB3 mit .23, .22 und .23 sehr ähnlich. Deshalb setzt Modell 3 sie gleich und gewinnt zwei Freiheitsgrade. Der Chi-Quadrat-Wert nimmt dadurch so gut wie nicht zu. Modell 3 ist daher das endgültige Modell. Seine standardisierten Koeffizienten sind in Abbildung 3, die unstandardisierten Koeffizienten und ihre Standardfehler in Abbildung A3 im Online-Anhang dargestellt; der Übersichtlichkeit halber sind die Pfade vom Faktor auf die endogenen Variablen nicht in Abbildung 3 eingezeichnet, sondern in einem Kasten an ihrem Fuß aufgeführt.

Abb. 3:  Strukturgleichungsmodelle der Attributionen des Berufserfolgs im 30., 43. und 56. Lebensjahr. Standardisierte Koeffizienten
Abb. 3:

Strukturgleichungsmodelle der Attributionen des Berufserfolgs im 30., 43. und 56. Lebensjahr. Standardisierte Koeffizienten

Prüfung der Hypothesen zu jedem Zeitpunkt

Mit den drei Erfolgsvariablen sollte zu jedem Zeitpunkten INT steigen und EXT fallen. Wenn man |.10| als Untergrenze setzt, ist nur einer der 18 Koeffizienten bedeutsam: PRESTIGE-30 senkt EXT30. Aber nirgends finden sich gleichzeitig die erwarteten gegenläufigen Einflüsse und keine der drei Erfolgsvariablen hat in allen Wiederbefragungen einen gleich gerichteten oder auch nur monoton sich entwickelnden Einfluss. In der Gesamtsicht wird die Erfolgshypothese nicht bestätigt.

In WB30 werden die internale wie die externale Attribution durch ihre Vorgängerin im 16. Lebensjahr positiv und durch ihren Widerpart negativ beeinflusst – allerdings nur in schwachem Ausmaß. In WB43 und in WB56 beeinflussen sich die gleichen Attributionen positiv und die unterschiedlichen negativ; Stabilitäts- und Widerstreithypothese werden bestätigt.

Die Stabilität der externalen und der internalen Attribution ist in jeder Wiederbefragung ähnlich, und dasselbe gilt für die widerstreitenden Einflüsse. Die Gleichheit der Stabilitäten und des Widerstreits in jeder Lebensphase kann durch Tests des endogenen Modellteils geprüft werden. Modell 4 setzt die Stabilitäten in WB30, WB43 und WB56 gleich und gewinnt gegenüber Modell 3 drei Freiheitsgrade. Seine Anpassung ist nicht signifikant schlechter als die des Modells 3. In der gleichen Lebensphase haben also die internale und die externale Attribution die gleiche Stabilität. Modell 5 setzt die wechselseitigen negativen Einflüsse gleich und gewinnt gegenüber Modell 3 drei Freiheitsgrade. Aber seine Anpassung ist signifikant schlechter als die des Modells 3. Der Gegensatz beider Attributionen bleibt über den Lebenslauf zwar gleich, aber seine Stärke schwankt.

Im 30. Lebensjahr bevorzugen Männer tendenziell internale, Frauen externale Attributionen. Die Geschlechtshypothese wird bestätigt.

Prüfung der Hypothesen über Veränderungen zwischen den Zeitpunkten

Das Scheitern der Erfolgshypothese macht die Immunisierungshypothese gegenstandslos. Aber die Bestätigung der Stabilitäts- und Widerstreithypothese erlaubt eine Prüfung der Konsolidierungshypothese. Wie erwartet wachsen die Stabilitäten und die widerstreitenden Einflüsse zwischen den drei Wiederbefragungen an. Die Erfolgserfahrungen spielen nicht in die Erfolgsattribution hinein; aber die Erfolgsattribution stabilisiert sich im Lebenslauf.

Faktoreinflüsse und erklärte Varianz

Der Einfluss des Faktors auf INT wie EXT ist zu jedem Zeitpunkt stark. Kausal irrelevante konstante Unterschiede zwischen Personen haben also – wie oft – einen starken Einfluss. Der Einfluss des Faktors ist zudem in WB30 geringer als in WB43 und WB56; denn in WB30 konkurriert er mit den drei zeitkonstanten exogenen Variablen, nicht aber in WB43 und WB56. Der Einfluss des Faktors ist schließlich zu jedem Zeitpunkt auf INT stärker als auf EXT.

Der Faktor hat auf INT und EXT einen positiven Einfluss und korreliert sowohl mit INT16 wie EXT16 positiv .13 und .15 (nicht abgebildet). Internale und externale Attributionen beeinflussen sich im Modell negativ, so dass die ungemessene Heterogenität auf beide in der gleichen Richtung wirkt. Der Faktor erfasst, sofern man Antworttendenzen beiseitelässt, die generelle Bereitschaft zur biographischen Selbstreflexion stärker als die Neigung zu differenzieren oder kritische Erfahrungen. Dafür sprechen auch die Korrelationen des Faktors mit den zeitveränderlich exogenen Variablen: Sie sind für die subjektive Erfolgseinschätzung immer stärker als für den objektiven Prestige- und Einkommensgewinn, und sie schwanken kaum für die Erfolgseinschätzung, aber deutlich für den Prestige- und Einkommensgewinn.

Die Residuen-Korrelationen zeigen, dass die internale Attribution sich besser erklären lässt als die externale und dass die erklärte Varianz beider ansteigt. Im 30. Lebensjahr, in dem noch nicht alle ihre Identität gefunden haben, ist die Attribution des Berufserfolgs also weniger durch die berufliche Lebensgeschichte bestimmt, als im 43. und 56. Lebensjahr, in denen die gefundene Identität gewahrt werden muss. In die Identitätsfindung spielen Wünsche und Interessen, die hier nicht erfasst werden konnten, stärker hinein als in die Identitätswahrung.

3.2 Attribution der sozialen Mobilität

Für die soziale Mobilität wurden Modell 1 und 2 wie für den persönlichen Berufserfolg geprüft, deren Kennwerte in Tabelle 2 dargestellt sind.

Tab. 2: Strukturgleichungsmodelle der Attribution der sozialen Mobilität: Modellvergleich, FEM-Modelle

Modell Nr. und SpezifikationChi²FGFG-Diff. zu ModellSRMSRAGFI
Erläuterungen siehe Tabelle 1
1Residuenkovarianzen frei126.5239.0219.9939
2Residuenkovarianzen Null155.09421: +3, p>.001.0242.9928

Anders als beim Berufserfolg lässt sich Modell 1 nicht durch Nullsetzen der Residuenkovarianzen verbessern; ebenso wenig lassen sich die Korrelationen des Faktors mit ERREICH gleichsetzen. Modell 1 ist daher das angemessene Modell. Seine standardisierten Koeffizienten sind in Abbildung 4, die unstandardisierten Koeffizienten mit Standardfehlern in Abbildung A4 im Online-Anhang dargestellt.

Die Erfolgsvariablen haben, wenn man wiederum |.10| als Untergrenze nimmt, nur einen Einfluss: ERREICH30 senkt EXT30. Aber wiederum finden sich nirgends die erwarteten gegenläufigen Einflüsse gleichzeitig; und keine Erfolgsvariable hat in allen Wiederbefragungen einen gleich gerichteten oder sich auch nur monoton entwickelnden Einfluss. In der Gesamtsicht wird die Erfolgshypothese nicht bestätigt.

Abb. 4:  Strukturgleichungsmodelle der Attributionen der sozialen Mobilität im 30., 43. und 56. Lebensjahr: standardisierte Koeffizienten
Abb. 4:

Strukturgleichungsmodelle der Attributionen der sozialen Mobilität im 30., 43. und 56. Lebensjahr: standardisierte Koeffizienten

Im 30. Lebensjahr werden beide Attributionen durch die gleiche Attribution im 16. Lebensjahr positiv und die jeweils andere negativ beeinflusst – allerdings in schwachem Ausmaß. Im 43. und im 56. Lebensjahr steigen die gleichartigen und – überwiegend auch – die gegenläufigen Einflüsse an. Stabilitäts- und Widerstreithypothese werden also bestätigt. Allerdings sind in WB30, WB43 und WB56 die Stabilitäten und widerstreitenden Einflüsse für INT und EXT einander nicht sehr ähnlich, so dass ihre Gleichheit nicht mehr wie beim Berufserfolg geprüft wurde. Die Geschlechtshypothese wird tendenziell bestätigt.

Das Scheitern der Erfolgshypothese macht die Immunisierungshypothese gegenstandslos und die Bestätigung der Stabilitäts- und Widerstreithypothese geht mit einer Bestätigung der Konsolidierungshypothese zusammen: Die Stabilitäten und die widerstreitenden Einflüsse steigen zwischen den drei Wiederbefragungen an.

Zum Faktor finden sich weitgehend die gleichen Ergebnisse wie beim Berufserfolg. Auch bei der Mobilität beeinflusst der Faktor INT wie EXT zu jedem Zeitpunkt stark, in WB30 weniger als in WB43 und WB56 und zu jedem Zeitpunkt INT stärker als EXT. Er hat auf INT und EXT einen positiven Einfluss und korreliert sowohl mit INT16 wie EXT16 positiv .12 und .17 (nicht abgebildet). Auch hier erfasst er offenbar die generelle Bereitschaft zu biographischen Selbstreflexion.

Die Residuen-Korrelationen zeigen, dass sich die internale Attribution besser erklären läßt als die externale und die erklärte Varianz beider ansteigt. Weiterhin korrelieren die Residuen der beiden Attributionen miteinander leicht negativ und mit dem Alter abnehmend.

Vergleicht man die Strukturgleichungsmodelle der kausalen Attributionen des persönlichem Berufserfolgs und der sozialen Mobilität, so stimmen die Ergebnisse weitgehend überein. Die Differenzhypothese der Erfolgsabhängigkeit wird nicht bestätigt. Denn der bewältigte Erfolgsspielraum beeinflusst die Attribution des Berufserfolgs so wenig wie die der Mobilität.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Der persönliche Berufserfolg wie die soziale Mobilität können als eigene Leistung oder Resultat der Umstände gesehen werden. Weil internale Attributionen von Erfolgen selbstwertdienlich sind, sollten Berufserfolg und Mobilität umso mehr internal und umso weniger external attribuiert werden, je erfolgreicher man im Leben beruflich war. Diese Erfolgshypothese wurde in der vorliegenden Untersuchung geprüft, indem Berufserfolg und Attributionen in der Lebensgeschichte von der Jugend bis in die frühe, mittlere und späte Lebensmitte, also vom 16. bis zum 30., 43. und 56. Lebensjahr verfolgt wurden. Der Berufserfolg wurde als bewältigter und daher erklärungsbedürftiger Erfolgsspielraum zwischen den Lebensphasen verstanden und als Differenz der Status gemessen.

Die Hypothesen wurden in Strukturgleichungsmodellen geprüft, die unbeobachtete Heterogenität durch einen Faktor kontrollieren, Kovarianzen zwischen Faktor und exogenen Variablen zulassen und durch diese beiden Eigenschaften einer Fest-Effekte-Regression entsprechen. Anders als die Fest-Effekte-Regression lassen die Strukturgleichungsmodelle – wie es in einem so langem Längsschnitt wie dem vorliegenden vorteilhaft ist – in den Wiederbefragungen unterschiedliche Residuen-Varianzen zu und prüfen Stabilitäten wie wechselseitige Einflüsse der beiden endogenen Variablen. Die Modelle ergaben zweierlei:

Auf der einen Seite wird die Erfolgshypothese bestenfalls sporadisch bestätigt. Für die Attribution des Berufserfolgs wie der Mobilität gilt: Keines der drei Maße des bewältigten Erfolgsspielraums hat auch nur in zwei der drei Wiederbefragungen in stärkerem Ausmaß auf eine der drei Attributionen einen Einfluss; und in keiner Wiederbefragung hat ein Maß des Erfolgsspielraums in stärkerem Maße gleichzeitig einen positiven Einfluss auf die internale und einen negativen auf die externale Attribution. Die Erfolgshypothese wird nicht bestätigt, so dass die Immunisierungshypothese gegenstandslos ist. Der langfristige erlebte Erfolg und Misserfolg in der Berufslaufbahn wirkt sich nicht in gleicher Weise auf die kausale Attribution von Erfolg und Misserfolg aus wie der im Experiment kurzfristig induzierte.

Auf der anderen Seite sind die endogenen Einflüsse internaler und externaler Attributionen aufeinander stark und wachsen im Lebenslauf. Stabilitäts- und Widerstreithypothese sowie die Konsolidierungshypothese werden bestätigt. Die beiden Richtungen der Attribution bilden ein System, das sich im Leben verfestigt.

Das zentrale Ergebnis, das Scheitern der Erfolgshypothese, hängt u. E. nicht mit den Beschränkungen der Studie zusammen. Die Studie beruht zwar auf einer sozial positiv selegierten Ausgangsstichprobe. Aber das erhöht im Vergleich mit dem Bevölkerungsquerschnitt die Chancen des Erfolgs in den Wiederbefragungen und damit die Notwendigkeit seiner Verarbeitung, so dass die Erfolgshypothese schärfer geprüft werden kann. Weiterhin hat die Studie zwar keine Persönlichkeitsmerkmale erhoben und Wertorientierungen teils nicht erfragt, teils nicht in die Analyse einbezogen, die möglicherweise die Zielvariable, die Kausalattribution des Erfolgs, beeinflussen und mit der Erklärungsvariable, dem bewältigten Erfolgsspielraum, korrelieren. Aber damit die Kontrolle dieser Drittvariablen einen Einfluss des Erfolgsspielraums auf die Erfolgsattribution offenlegen kann, damit es also sinnvoll wäre, sie in das Kausalsystem der Abbildung 1 einzubauen, müssten sie die Bedingung für Suppressor-Variablen erfüllen. Sie müssten mit den beiden Ausgangsvariablen entgegengesetzt korrelieren. Gewissenhaftigkeit müsste z. B. mit dem erlebten Erfolg positiv und mit der internalen Attribution negativ korrelieren. Dafür spricht wenig. Auf jeden Fall lassen sich entsprechende Hypothesen nicht leicht begründen. Deshalb beeinträchtigen u. E. die fehlenden Erhebungen die Prüfung der Erfolgshypothese nicht. Im gegebenen Rahmen könnte die Erfolgshypothese aus drei Gründen gescheitert sein:

Erstens kann der Zeitraum zwischen den Wiederbefragungen von 13 Jahren zu lange gewesen und der bewältigte Erfolgsspielraum, der für die Betroffenen erklärungsbedürftig ist, zu starr durch drei feste Zeitpunkte gemessen worden sein, so dass die Zeitpunkte der Wiederbefragungen nicht denen der Ereignisse im Lebenslauf entsprechen. Zur Zeitspanne der Wirkung des Erfolgs auf seine internale oder externale und Attribution finden sich in der Literatur u. W. bis auf eine Ausnahme (Morgenroth & Schaller 2004: 189) keine Diskussionen, geschweige denn Hypothesen; sie wurde durch den Untersuchungsplan vorgegeben. Wenn, wie in Abschnitt 1.3 erläutert, Erfolge sich kumulieren, liegt es nahe, dass sie in der Regel Stück für Stück abgearbeitet werden und nur große Sprünge lange nachwirken. Veränderungen des Berufsstatus wären dann nur für kürzere Zeit erklärungsbedürftig und danach abgearbeitet, so dass sie sich nicht mehr auf die Kausalattribution und die Identität auswirken.

Wichtiger als die Zeitspanne, in der Erfolge erklärungsbedürftig bleiben, erscheint ihre Position im beruflichen Lebenslauf. Zu Beginn ist der Druck zum Erfolg vermutlich höher als später – selbst in der privilegierten Gruppe von Gymnasiasten, die überwiegend erst nach einem Studium berufliche Karrieren beginnen. Die lange Zwischenzeit sollte daher zu Beginn weniger als später die Wirkung erfahrener Erfolge oder Misserfolge verwischen. In der Phase der Identitätsfindung, zwischen Jugend und früher Lebensmitte, sollten nach ihrer Bildung privilegierte Personen noch den Weg von ihrer Herkunft im Auge haben und als Teil ihrer Identität erklären wollen – besonders dann, wenn sie nicht durch Herkunft für dieses Privileg prädestiniert waren, wenn also der Erfolgsspielraum und mit ihm der Erfolgsdruck besonders groß ist. Später, in der Phase der Identitätswahrung, hingegen könnten berufliche Veränderungen, die ja jederzeit auftreten, zum Zeitpunkt der Wiederbefragung in der Tat abgearbeitet sein.

Zweitens könnte, wenn tatsächlich ein „Mobilitätsethos“ (Luckmann & Berger 1964: 339) gilt, der Aufstieg weniger langfristig nach Erklärungen verlangen als der Abstieg. Wie in der „hedonic treadmill“ (Layard 2005: 48–49) gilt: Der Erfolg ist hinter neuen Zielen schnell vergessen, der Misserfolg nagt lange. In den langen Zwischenzeiten könnte vor allem die Neigung zur internalen Attribution sich verzehrt haben.

Diese Überlegung kann nachträglich am Einfluss kategorialer Klassen von Prestige und Einkommen und der Erfolgseinschätzung auf die internale und externale Erfolgsattribuierung im 30., 43. und 56. Lebensjahr, also an insgesamt 18 Varianzanalysen, abgeschätzt werden. Zehn davon ergaben keinen signifikanten F-Wert. Die Mittelwerte der acht signifikanten Varianzanalysen zeigen in fünf Fällen ein – je nach Zahl der Klassen mehr oder minder – monotones Muster, das der Erfolgshypothese entspricht: Zwischen Absteigern, Immobilen und Aufsteigern nimmt die internale Attribution zu und die externale ab. In drei Fällen zeigte sich ein extremes Muster, das ebenfalls noch mit der Erfolgshypothese vereinbar ist: Nur der Abstieg wird weniger external oder nur der Aufstieg mehr internal als Immobilität und Abstieg attribuiert. In keinem Fall zeigt sich ein Muster, in dem Aufstieg oder Abstieg sich in gleicher Weise von der Immobilität unterschieden. Darüber hinaus sind die Effekte auf die internale häufiger als die auf die externale Attribution: Vier der fünf monotonen Muster treten bei der internalen, zwei der drei extremen Muster bei der externalen Attribution auf. Viel spricht dafür, dass der Erfolg – wenn überhaupt – zuerst internal attribuiert wird. Wenig spricht dafür, dass der Erfolg schneller vergessen wird als der Misserfolg. Nach diesen univariaten Ergebnissen erscheint es nicht sinnvoll, die multivariaten Modelle statt mit metrischen Variablen mit Kodiervariablen für Auf- und Abstieg erneut zu berechnen. Und weil die soziale Mobilität in ähnlicher Weise wie der persönliche Berufserfolg kausal attribuiert wurde, erscheint die univariate Prüfung der Einflüsse auf die Attribution hier nicht notwendig.

Drittens kann es sein, dass der bewältigte Erfolgsspielraum weniger in den objektiven Einheiten Prestige und Einkommen verstanden als subjektiv bewertet wird. Die recht hohen positiven Korrelationen zwischen dem Faktor und der Einschätzung des Erreichten in jeder Wiederbefragung in der Analyse des beruflichen Erfolgs (siehe Modell 3 in Tabelle 1) sprechen dafür. Die Kette der Einflüsse beginnt dann nicht beim objektiven Fortschritt, sondern erst bei seiner subjektiven Bewertung. Die Erfolgshypothese ließe sich in schwächerer Form halten – bis sie sie so bestätigt oder widerlegt werden würde.

Der Erfahrung von Auf- und Abstieg und ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft – also die soziale Mobilität im Sinne der „Offenheit“ einer Gesellschaft – ist aus zwei Gründen u. E. eine wichtige Dimension sozialer Ungleichheit. Sie richtet sich nicht auf die Verteilung, sondern auf die Umverteilung von Ressourcen. Und sie bildet eine Brücke von der Sozialstruktur zum Handeln der Menschen. Ungleiche Verteilungen werden umso erträglicher, je mehr man sich zwischen ihnen bewegen kann. Das gilt für die Lebensgeschichte noch mehr als für die Generationsfolge. Denn die Bewegung wird hier unmittelbar, dort aber nur in der Identifikation mit Kindern erfahren. Die Soziologie und der gesunde Menschenverstand vermuten, dass Erfahrungen von Auf- und Abstieg das Einverständnis mit der Gesellschaft stärken oder schwächen. Aber die Betroffenen reflektieren Auf- und Abstieg und schreiben sie sich selber oder den Umständen zu. Vermutlich fördert ein Aufstieg nur im ersten, ein Abstieg nur im zweiten Fall das Einverständnis. Die Kausalattribution tritt zwischen die Erfahrung der Ungleichheit und die Sicht der sozialen Welt. Deshalb hat sie einen Platz in der Ungleichheitsforschung.

Über den Autor / die Autorin

Heiner Meulemann

Heiner Meulemann, geb. 1944. Studium der Soziologie in München und Frankfurt. 1971 Promotion in Frankfurt. 1983 Habilitation in Frankfurt. 1971–1986 wissenschaftlicher Assistent und Professor in Frankfurt, Köln, Duisburg und Princeton (USA). Seit 1986 Professor für Soziologie in Eichstätt, Düsseldorf und Köln.

Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Soziologie, empirische Sozialforschung, Lebenslaufforschung.

Wichtigste Publikationen: Nach der Säkularisierung. Religiosität in Deutschland 1980–2012. Wiesbaden 2015. – Soziologie von Anfang an. Eine Einführung in Themen, Ergebnisse und Literatur. 3., überarb. Aufl. Wiesbaden 2013; Ankunft im Erwachsenenleben (mit Klaus Birkelbach, Opladen 2001; Information and Entertainment in European Mass Media Systems: Preferences for and Uses of Television and Newspapers. European Sociological Review 28, 2012: 186–202; Die psychischen Kosten von Freizeitaktivitäten und die Entfaltungschancen des Fernsehangebots. Medien und Kommunikationswissenschaft 60, 2012: 240–261. Zuletzt in dieser Zeitschrift: Studium, Beruf und der Lohn von Ausbildungszeiten. Der Einfluß von Bildungsinvestitionen und privater Bindungen auf den Berufseintritt und den Berufserfolg in einer Kohorte ehemaliger Gymnasiasten zwischen 1970 und 1985, 1990: 248–264.

Danksagung:

Ich danke Hans-Jürgen Andreß und Lorenz Fischer für hilfreiche Kommentare.

Literatur

Abele, A. E., D. Spurk & J. Volmer, 2011: The construct of career success: Measurement issues and an empirical example. Journal for Labour Market Research 43: 195–306. 10.1007/s12651-010-0034-6Search in Google Scholar

Andreß, H. J., K. Golsch & A. W. Schmidt, 2013: Analyzing Panel Data. Berlin: Springer. 10.1007/978-3-642-32914-2_2Search in Google Scholar

Amthauer, R. 1953: Intelligenz-Struktur-Test. 2. erw. Aufl. Göttingen: Hogrefe. Search in Google Scholar

Bar-Tal, D., 1978: Attributional Analysis of Achievement-related Behavior. Review of Educational Research 48: 259–271. 10.3102/00346543048002259Search in Google Scholar

Birkelbach, K., 2011: Ausfälle im Kölner Gymnasiastenpanel 1969 – 2010: Ursachen und mögliche Folgen für die Datenqualität. S. 1–30 in: Birkelbach et al.: Konzeption, Design, Methodik und Datenstruktur der dritten Wiederbefragung des Kölner Gymnasiastenpanels (KGP). Köln und Essen, November 2011. Search in Google Scholar

Birkelbach, K., 2015. Das Kölner Gymnasiastenpanel (KGP) von 1969 bis 2010. Übersicht über die Daten und Analyse der Ausfälle. S. 413–440 in: K. Birkelbach & H. Meulemann (Hrsg.): Vor dem Lebensabend – eine dritte Wiederbefragung zu Lebenserfolg und Erfolgsdeutung ehemaliger 16jähriger Gymnasiasten im 56. Lebensjahr. Köln und Essen: Forschungsbericht zur Vorlage bei der DFG. Search in Google Scholar

Birkelbach, K., A. Grauenhorst, H. Meulemann, S. Neumayer, C.Reinelt, B. Wawrzyniak. A. Weber, M. Heise & J. Klug., 2011: Konzeption, Design, Methodik und Datenstruktur der dritten Wiederbefragung des Kölner Gymnasiastenpanels (KGP). Köln und Essen: Arbeitsbericht an die DFG. November 2011. Search in Google Scholar

Birkelbach, K. & H. Meulemann, 2015 (Hrsg.): Vor dem Lebensabend – eine dritte Wiederbefragung zu Lebenserfolg und Erfolgsdeutung ehemaliger 16jähriger Gymnasiasten im 56. Lebensjahr. Erste Ergebnisse. Köln und Essen: Forschungsbericht zur Vorlage bei der DFG. Search in Google Scholar

Blanchard-Fields, F., 1996: Causal Attributions Across the Adult Life Span. Applied Cognitive Psychology 10: S137-S146. 10.1002/(SICI)1099-0720(199611)10:7<137::AID-ACP431>3.0.CO;2-ZSearch in Google Scholar

Bollen, K. A. & J. E. Brand, 2010: A general Panel Model with Random and Fixed Effets: A Structural Equations Approach. Social Forces 89: 1–34. 10.1353/sof.2010.0072Search in Google Scholar

Bollen, K. A. & J. Pearl, 2013: Eight Myths About Causality and Structural Equation Models. S. 301–328 in: S. L. Morgan (Hrsg.): Handbook of Causal Analysis for Social Research. Dordrecht: Springer. 10.1007/978-94-007-6094-3_15Search in Google Scholar

Deaux, K. & E. Farris, 1977: Attributing Causes for One’s Own Performance – Effects of Sex, Norms, and Outcome. Journal of Research in Personality 11: 59–72. 10.1016/0092-6566(77)90029-0Search in Google Scholar

Doehlemann, M., 1996: Absteiger. Frankfurt: Suhrkamp. Search in Google Scholar

Fox, M. F. & F. Vincent C., 1992: Women, Men, and Their Attributions for Success in Academe. Social Psychology Quarterly 55: 257–271. 10.2307/2786795Search in Google Scholar

Fischer, L. & G. Wiswede, 2009: Grundlagen der Sozialpsychologie. 3., völlig neu bearb. Aufl. München: Oldenbourg. 10.1524/9783486847826Search in Google Scholar

Frieze, I. H., B. E., Whitley Jr., B., H. Hanusa & M. C. McHugh, 1982: Assessing the Theoretical Models for Sex Difference in Causal Attribution for Success and Failure. Sex Roles 8: 333–342. 10.1007/BF00287273Search in Google Scholar

Groh-Samberg, O. & F. R. Hertel, 2015. Ende der Aufstiegsgesellschaft? Aus Politik und Zeitgeschehen 10/2015. Search in Google Scholar

Hosenfeld, I., 2002: Kausalitätsüberzeugungen und Schulleistungen. Münster: Waxmann. Search in Google Scholar

Khodayarifard, M., T. M. Brinthaupt & M. H. Anshel, 2010: Relationships of parents’ and child’s general attributional styles to academic performance. Social Psychology of Education 13: 351–365. 10.1007/s11218-010-9114-2Search in Google Scholar

Klingemann, H.-D. & D. Fuchs, 1990: The Left-Right Schema. S. 203–234 in: M. Kent Jennings, J. van Deth et al. (Hrsg.): Continuities in Political Action – A Longitudinal Study of Political Orientations in Three Western Democracies, Berlin und New York: Walter de Gruyter. 10.1515/9783110882193.203Search in Google Scholar

Layard, R., 2005: Happiness. London: Penguin. Search in Google Scholar

Levy, B. R., P. Chung & M. Canavan, 2011: Impact of explanatory type and age on health across the life span. S. 437–456 in: K. L. Fingerman et al. (Hrsg.): Handbook of Life-Span Development. New York: Springer. Search in Google Scholar

Lodi-Smith, J., N. Turiano & D. Mrozek, 2012: Personality trait development across the life span. S. 513–529 in: K. L. Fingerman et al. (Hrsg.): Handbook of Life-Span Development. New York: Springer. Search in Google Scholar

Luckmann, T. & P. Berger, 1964: Social Mobility and Personal Identity. European Journal of Sociology 5: 331–344. 10.1017/S0003975600001077Search in Google Scholar

Mandl, H. & B. Kopp, 2007: Ursachenzuschreibungen aus der Sicht der Attributionstheorie. S. 177–184 in: J. Zumbach & H. Mandl (Hrsg.): Pädagogische Psychologie in Theorie und Praxis. Ein fallbasiertes Lehrbuch. Göttingen u. a.: Hogrefe. Search in Google Scholar

McAdams, D. P. & K. S. Cox, 2010: Self and Identity across the Life Span. S. 158–203 in: R. M. Lerner, M. E. Lamb & A. M. Freund (Hrsg.): The Handbook of Life-Span Development, New York: Wiley. 10.1002/9780470880166.hlsd002006Search in Google Scholar

McClelland, M., C. C. Ponitz, E. E. Messersmith & S. Tominey, 2010: Self-Regulation: Integration of Cognition and Emotion. S. 509–548 in: R. M. Lerner, M. E. Lamb & A. M. Freund (Hrsg.): The Handbook of Life-Span Development, New York: Wiley. 10.1002/9780470880166.hlsd001015Search in Google Scholar

McCrae, R. R. & P. T. Costa, 1994: The stability of personality. American Psychologist 3: 173–175. 10.1111/1467-8721.ep10770693Search in Google Scholar

Meulemann, H., 1985: Statusinkonsistenz und Sozialbiographie. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 37: 461–477. Search in Google Scholar

Meulemann, H., 2001: Erwachsenwerden als Übergang von Identitätsbildung zu Identitätswahrung. S. 11–34 in: H. Meulemann, K. Birkelbach & J. O. Hellwig (Hrsg.): Ankunft im Erwachsenenleben., Lebenserfolg und Erfolgsdeutung ehemaliger Gymnasiasten zwischen 16 und 43. Opladen: Leske + Budrich. 10.1007/978-3-663-09269-8_1Search in Google Scholar

Meulemann, H., 2010. Kulturumbruch und Wiedervereinigung. Wertewandel in Deutschland in den letzten 60 Jahren. S. 59–91 in F. Faulbaum & C. Wolf (Hrsg.): Gesellschaftliche Entwicklungen im Spiegel der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: VS. 10.1007/978-3-531-92590-5_4Search in Google Scholar

Meulemann, H., 2014. Politische Werteinstellungen zwischen Wertansprüchen an die Politik und Anerkennung von Sachzwängen. Zeitschrift für Politikwissenschaft 24: 227–254. 10.5771/1430-6387-2014-3-227Search in Google Scholar

Miller, M. & W. Eßbach, 2001: Die gesellschaftliche Konstruktion der „guten Gesellschaft“. S. 199–204 in: J. Allmendinger (Hrsg.): Gute Gesellschaft. Verhandlungen des 30. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Köln 2000. Opladen: Leske + Budrich. Search in Google Scholar

Morgenroth, O. & J. Schaller, 2004: Zwischen Akzeptanz und Abwehr. Psychologische Ansichten zum Scheitern. S. 181–198 in: M. Junge & G. Lechner (Hrsg.): Scheitern. Wiesbaden: VS. 10.1007/978-3-322-95020-8_12Search in Google Scholar

Rieger-Ladich, M., 2012: „Biographien” und „Lebensläufe“: Das Scheitern aus der Sicht der pädagogischen Anthropologie. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 88: 608–623. 10.30965/25890581-08804004Search in Google Scholar

Oorschott, W. van & L. Halman, 2000: Blame or Fate, Individual or Social? European Societies 2: 1–28. 10.1080/146166900360701Search in Google Scholar

Pollak, R., 2013: Soziale Mobilität. S. 189–197 in: Datenreport 2013. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.Search in Google Scholar

Sachweh, P., 2011: Unvermeidbare Ungleichheiten? Berliner Journal für Soziologie 21: 561–568. 10.1007/s11609-011-0168-6Search in Google Scholar

Sachweh, P., 2013: Deutungsmuster sozialer Ungleichheit. S. 54–79 in: M. Endreß & O. Berli (Hrsg.): Wissen und soziale Ungleichheit. Weinheim: Beltz. Search in Google Scholar

Shirazi, R. & A. Biel, 2005: Internal-External Causal Attribution and Perceived Government Responsibility for Need Provision: A 14-Culture Study. Journal of Cross-Cultural Psychology 36: 96–116. 10.1177/0022022104271428Search in Google Scholar

Schulz-Schaeffer, I., 2007: Zugeschriebene Handlungen. Ein Beitrag zur Theorie sozialen Handelns. Weilerswist: Velbrück. Search in Google Scholar

Sohn, D., 1982: Sex Difference in Achievement Self-Attribution: An Effect-Size Analysis. Sex Roles 8: 345–357. 10.1007/BF00287274Search in Google Scholar

Spurk, D. & A. E. Abele, 2014: Synchronous and time-lagged effects between occupational self-efficacy and objective and subjective career success: Findings from a four-wave and 9-year longitudinal study. Journal of Vocational Behavior 84: 119–132. 10.1016/j.jvb.2013.12.002Search in Google Scholar

Statistisches Bundesamt (Hrsg.), 2006: Datenreport 2006. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Search in Google Scholar

Sweeney, P. D., R. L. Moreland & K. L. Gruber, 1982: Gender Differences in Performance Attributions – Students’ Explanations for Personal Success or Failure. Sex Roles 8: 359–373. 10.1007/BF00287275Search in Google Scholar

Treiman, D. J., 1977: Occupational Prestige in Comparative Perspective. New York: Academic Press. Search in Google Scholar

Vispoel, W. P. & J. R. Austin, 1995: Success and Failure in Junior High School: A Critical Incident Approach to Understanding Students’ Attributional Beliefs. American Educational Research Journal 32: 377–412. 10.3102/00028312032002377Search in Google Scholar

Wegener, B., 1988: Kritik des Prestiges. Opladen: Westdeutscher Verlag. 10.1007/978-3-322-85834-4Search in Google Scholar

Weiner, B., 1975: Wirkung von Erfolg und Mißerfolg auf die Leistung. Bern/Stuttgart: Huber/Klett. Search in Google Scholar

Weymann, A., 2008: Lebensphase Erwachsenenalter. S. 159–288 in: H. Abels et al. (Hrsg.): Lebensphasen. Wiesbaden: VS. Search in Google Scholar

Wothke, W., 2009. Longitudinal Multigroup Modeling with Missing Data. S. 219–240 in T. D. Little, K. H. Schnabel & J. Baumert (Hrsg.): Modelling Longitudinal and Multilevel Data. Practical Issues, Applied Approaches, and Specific Examples. Mahwah, New Jersey: Erlbaum. Search in Google Scholar


Zusatzmaterial:

Die Onlineversion dieses Artikels (DOI: 10.1515/zfsoz-2015-1001) bietet Zusatzmaterial für autorisierte Benutzer.


Online erschienen: 2016-2-8
Erschienen im Druck: 2016-2-1

© 2016 by De Gruyter

Downloaded on 19.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2015-1001/html
Scroll to top button