Im Zuge der krisenhaften welt- und sicherheitspolitischen Entwicklungen der vergangenen drei Jahre hat die Bewertung strategischer Aufgaben von Seestreitkräften wieder an Bedeutung gewonnen. Machtprojektion, amphibische Fähigkeiten, Flugzeug- und Helikopterträger, U-Boot-Abwehr, Minenkriegsführung und andere Parameter von Seekriegsführung stehen unversehens wieder ganz vorne im Lastenheft. Allzu lange wurde die Rolle von Marinen, gerade in der Bundesrepublik Deutschland, schließlich nur gerne auf die einer grauen Hilfsküstenwache im Kampf gegen Piraterie, zur Unterstützung von Anti-Terror-Operationen, zur Ausbildungshilfe und Ertüchtigung von Partnernationen oder in der Seenotrettung reduziert. Diese maritimen Sicherheitsaufgaben haben zweifelsohne ihren Zweck im Portfolio, doch die politisch opportune Schrumpf- und Transformationskur, wie sie viele europäische Marinen nach Ende des Kalten Krieges durchlaufen haben, hat auch zu einer intellektuellen Horizontbeschränkung geführt. Selbst in der traditionsreichen Seemacht Großbritannien beklagte eine öffentliche Kampagne jüngst die grassierende Seeblindheit und eine immer kleiner werdende Royal Navy. Immerhin: Die großartigen Schriften von Geoffrey Till, Colin Gray, Eric Grove oder Ken Booth bieten mannigfaltige Anknüpfungspunkte für eine umfassende Beschäftigung mit dem außen- und sicherheitspolitischen Nutzen von Seestreitkräften und Frieden, Krise und Krieg.[1]
Seit einigen Jahren tut sich immerhin auch im deutschen Sprachraum diskursiv wieder etwas. Damit ist ausdrücklich auch Österreich gemeint. Bemerkenswerterweise hat die Alpenrepublik mehrere Persönlichkeiten hervorgebracht, die sich auf wissenschaftlichem Niveau der Rolle von Seemacht und Seestreitkräften in den internationalen Beziehungen widmet. Neben dem bald 90-jährigen Helmut Pemsel,[2] und dem Wiener Privatier Dr. Nikolaus Scholik[3] ist Bruno G. Hofbauer hier zu nennen.[4] Der Dienstgrad des Autors, der im Range eines Brigadegenerals des Österreichischen Bundesheeres reüssiert, lässt manch argwöhnischen Beobachter wohl vermuten, hier schreibe ein Blinder über die Farbe. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das Werk, an dem der Verfasser nach eigenen Angaben mehrere Jahre saß, ist eine äußerst nützliche Ergänzung zum maritimen deutschsprachigen Kanon. Es ist bezeichnend, dass es Expertise aus einem Land bedarf, das seit 100 Jahren keine unmittelbare Seemacht mehr ausübt, um deutlich zu machen, wie komplex maritime Zusammenhänge sein können. Das macht das Buch selbstverständlich nicht weniger wertvoll. Die Kenntnis technischer Details, Einsatz- und Wirkmöglichkeiten sowie das Zusammenspiel dieser (eigenen wie gegnerischen) Mittel ist für eine gewissenhafte Betrachtung des Sujets unabdingbar und würde übrigens auch so mancher sicherheitspolitischen Debatte, gleich in welcher Sprache, gut tun.
Das Handbuch, das in erster Linie dem in internationalen Friedens- oder Stabilisierungsoperationen eingesetzten österreichischen Militär die Grundlagen maritimer Aspekte der Sicherheitspolitik und die Rolle von Seestreitkräften näherbringen soll, ist also auch gleichzeitig im besten Sinne handlich. Schon längst hat man in Wien erkannt, dass es keiner Marine bedarf, um maritime Interessen zu haben und maritime Dynamiken in die Bewertung der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik einfließen lassen zu müssen. Hofbauers dreibändiges Vademekum ist in der Serie „Truppendienst“ des Österreichischen Heeres erschienen, von bestechender Haptik und durchweg in Farbe gedruckt – hier könnte sich so mancher renommierte Wissenschaftsverlag ein Beispiel nehmen. Die entstandene pragmatische Handreichung diskutiert die Charakteristik von Seemacht, geht in Kürze auf die Geschichte von Seekriegsführung von der Antik bis heute ein, skizziert heutige maritime Konflikte und die Bedeutung von Seewegen ebenso wie die Rolle von Marinen und Seemacht im 21. Jahrhundert (Teil I). Logistik, Spezialkräfte, Schiffbau, Bewaffnung und Sensorik sowie Führungssysteme (Teil II) ergänzen die umfassende Betrachtung. Kriegsschifftypen finden einen eigenen umfangreichen Platz (Teil III). Ein umfangreiches Glossar und ein Abkürzungsverzeichnis ergänzen die Sammlung; lediglich die Bibliographie ist etwas zu kurz geraten. Das Buch eignet sich für die akademische Lehre ebenso wie als Nachschlagewerk und sollte gerade deshalb nicht nur an den Universitäten, sondern den Offizieren aller Teilstreitkräfte der deutschen Bundeswehr zugänglich gemacht werden. Die Deutsche Marine immerhin hat den Heeresgeneral Hofbauer schon als einen der ihren „absorbiert“: Hofbauer nahm 2016 (als vermutlich erster Österreicher) an der traditionsreichen Historisch-Taktischen Tagung der Marine teil und stellte dort seine Arbeit dem versammelten deutschen Marineoffizierkorps vor.
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston