Zusammenfassung
Theorien sozialer Differenzierung gehen von einer unwiderstehlichen Ausbreitung der Strategien funktionaler Differenzierung aus. Je stärker ausdifferenziert soziale Systeme sind, so lautet die These, desto selektiver können sie sich gegenüber ihren Umwelten verhalten. Nun gibt es empirische Indikatoren für die Begrenzung von Ausdifferenzierungsprozessen, die durch Selektivitätsverluste und das Nicht-Greifen der Organisationsmittel Macht, Recht, Geld und Professionalität gekennzeichnet sind. Solche Erscheinungen werden im Bereich wohlfahrtsstaatlicher Institutionen lokalisiert. Die Zunahme von Semiprofessionen, die Dezentralisierung sozialer Dienste, die Ausdehnung therapeutischer und beraterischer Dienstleistungen, aber auch das Entstehen von Selbsthilfe-Initiativen veranlassen öffentliche Sozialisationsorganisationen zur Abkehr von bürokratisch-professioneller Rigidität und Selektivität. Die Folge Wirkungen solcher Umkehrstrategien auf Organisationsebene werden als Entdifferenzierung beschrieben, die möglicherweise auf das nächsthöhere Aggregationsniveau sozialintegrativer Aktivitäten, auf das System öffentlich organisierter Sozialisationsagenturen, durchschlagen und damit staatlich nicht kontrollierte Vergesellschaftungstendenzen auslösen kann.
© 1981 by Lucius & Lucius, Stuttgart