Zusammenfassung
Der Artikel zeigt anhand der Ergebnisse einer ethnographischen Feldstudie, daß die weit verbreitete These einer „Marginalisierung“ bzw. „Hausfrauisierung“ von Frauen sich in dem taiwanesischen Fischerdorf Niaoyu als falsch erweist, wenn wirtschaftlicher Wandel auf lokaler Ebene kontextualisiert wird. Soziale und kulturelle Dynamiken interagierten in Niaoyu im Zuge von Kommerzialisierung und Industrialisierung solchermaßen, daß im Verlauf dieses Prozesses Frauen eine Schlüsselrolle in wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb und zwischen Familien ein- nahmen; mehr noch, Beziehungen über Frauen wurden zu den wesentlichen Bausteinen der Dorfgemeinschaft. Als Folge dieser Entwicklung unterstützen Frauen auch noch nach ihrer Heirat ihre Geburtsfamilien und nutzen die daraus resultierenden engeren Beziehungen zu ihrer Geburtsfamilie später häufig zur Durchsetzung eigener Interessen. Der Artikel wendet sich insbesondere gegen Studien, die eine direkte, mechanische Beziehung zwischen „Weltmarkt“ und den Mikrodynamiken von Geschlechter- und Familienbeziehungen herstellen wollen. Sie vernachlässigen zumeist den lokalen Kontext und damit auch, Veränderungen in der sozialen und kulturellen Einbettung von Geschlechterbeziehungen in ihre Analyse einzubeziehen.
© 1996 by Lucius & Lucius, Stuttgart