Zusammenfassung
Den Zugang zu lizensierten elektronischen Ressourcen dauerhaft zu sichern, ist das Ziel des DFG-geförderten Projektes NatHosting. Für das entwickelte Sicherungskonzept ist „Governance“, verstanden als Koordination der Akteure und Steuerung der Prozesse, ein wesentlicher Faktor in der Umsetzung: Eine Hosting-Agentur soll die Aufgaben koordinieren, bündeln und in Teilen auch zentral bearbeiten – in Rücksprache und im Auftrag der Bibliotheken und Konsortien. Ein gemeinnütziger und haftungsbeschränkter Verein soll die entscheidungsrelevanten Akteure miteinbeziehen, Träger der Hosting-Agentur sein und den technischen Betrieb beauftragen.
Abstract
The DFG-funded NatHosting project aims to ensure perpetual access to licensed electronic resources. Governance, specified as the coordination of actors and control of processes, is an essential factor for the implementation of the concept. A hosting agency will gather and coordinate the tasks, and will also execute some of them in consultation with and with the mandate of libraries and consortia. A non-for-profit and limited liability association comprised by the relevant actors should be carrier of the hosting agency and will commission technical operation.
Einleitung und Projektstand
„…Die Governance-Perspektive ist also mehr als eine Beschreibung von Koordination kollektiven Handelns, weil auch die Mechanismen und ihre strukturelle Verankerung erfasst werden, welche koordiniertes kollektives Handeln herbeiführen…“1[1]
Unter Governance im Rahmen eines Einführungsprojektes verstehen wir die Entwicklung und Verankerung organisatorischer Strukturen und Prozesse, die ein koordiniertes Vorgehen der späteren Akteure ermöglichen und befördern, um das definierte Projektziel effizient zu erreichen. Wie dies im Verlauf des NatHosting-Projekts umgesetzt wird, ist Gegenstand dieses Berichts.
Das Projekt NatHosting verfolgt das Ziel, für alle Hochschulen und Forschungseinrichtungen bundesweit den Zugang zu lizensierten elektronischen Ressourcen dauerhaft zu sichern. Mit der zunehmenden Umstellung der Zeitschriftenabonnements von Papier zu elektronischem Bezug – nicht nur bei großen, sondern auch bei kleinen und kleinsten Verlagen – ist das Problem des dauerhaften Zugangs virulent geworden. Solange noch eine Archivkopie aus Papier im Regal stand, schien die Absicherung eines dauerhaften Zugangs zu elektronischen Zeitschriften nicht so dringend zu sein. In den letzten Jahren aber ist die Frage, wie man noch auf Artikel zugreifen kann, wenn der elektronische Zugang nicht mehr gewährleistet ist, brennender geworden. Die größte Rolle dabei spielen die Einstellung von Zeitschriften bei Verlagswechseln oder die Abbestellung von Abonnements durch die Bibliotheken selbst, die in der Praxis weitaus häufiger vorkommen als bspw. die Insolvenz von Verlagen oder durch Naturkatastrophen verursachte Zugangsprobleme – auch wenn diese spektakulärer ausfallen. Durch den Wirbelsturm Sandy 2012 waren 150 Rechenzentren2[2] an der amerikanischen Ostküste tagelang nicht arbeitsfähig, darunter auch einige Verlage3[3] – glücklicherweise war der Zugriff auf wissenschaftliche Zeitschriften (noch) nicht davon betroffen.
Als Trigger-Events werden die Fälle bezeichnet, in denen der Zugriff auf den primären Verlagsserver nicht mehr gewährleistet ist und – befristet oder dauerhaft – auf eine Archivkopie der jeweiligen Ressource zurückgegriffen werden muss. Die Herausforderung eines Nationalen Hostings solcher Archivressourcen besteht – neben dem Aufbau der technischen Infrastruktur und den rechtlichen Fragen – vor allem darin, eine arbeitsfähige Organisationsstruktur aufzubauen und präzise Prozesse zu etablieren, die es in einem solchen Trigger-Fall ermöglichen, kurzfristig und weitgehend automatisiert die Freischaltung der Archivkopien für die Lizenzteilnehmer vorzunehmen. Dies ist von besonderer Schwierigkeit, da im Wissenschaftsbereich keine nationalen Entscheidungsstrukturen vorhanden sind, sondern es sich um einzelne, voneinander unabhängige Einrichtungen handelt, die zwar finanziell in föderale Strukturen eingebunden sind, jedoch in Bezug auf ihre Informationsversorgung autonom entscheiden. Verbindliche, übergreifende Organisationsstrukturen und Prozesse können daher nur dauerhaft funktionsfähig sein, wenn sie von einer Mehrheit der Wissenschaftseinrichtungen akzeptiert und getragen werden.
Das NatHosting-Projekt (Nationales Hosting elektronischer Ressourcen) knüpft an Vorarbeiten der Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen an, in deren 2008 veröffentlichtem Leitbild bereits die Notwendigkeit eines nationalen, koordinierten Vorgehens zur Sicherung elektronischer Ressourcen dargestellt worden ist.4[4] Projektpartner sind die Bayerische Staatsbibliothek, das FIZ Karlsruhe, die Universitätsbibliothek J. C. Senckenberg Frankfurt am Main, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit dem Steinbuch Centre for Computing (SCC), die Humboldt-Universität zu Berlin und die Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg.
Der Vorschlag der Projektgruppe für eine technische Infrastruktur sieht vor, ein nationales Hosting als „doppelten Boden“ aufzubauen, also eine verteilte Serverarchitektur, die nicht den laufenden Zugriff auf die Verlagsserver ersetzt, sondern als Hintergrund-Dienst zur Verfügung steht, wenn der primäre Zugriff nicht mehr möglich ist. Dabei wird zweigleisig vorgegangen: Produkte größerer Verlage, die bereits über den vorhandenen Hosting-Anbieter „Portico“5[5] verfügbar sind, sollen über diesen Dienst gesichert werden. Hierzu sind mit Portico vertragliche Vereinbarungen zu treffen, unter welchen Bedingungen der Zugriff der deutschen Wissenschaftseinrichtungen auf die dort vorhandenen Publikationen erfolgen kann. Die kleinen und mittleren Verlage, die sich nicht bei Portico verpflichtet haben, sollen über den Aufbau eines Private LOCKSS Networks (PLN) mit 6–7 Servern an verschiedenen Standorten abgesichert werden. Die an der Stanford University entwickelte frei verfügbare Software LOCKSS6[6] (Lots of Copies Keep Stuff Safe) ermöglicht das Harvesten und Speichern digitaler Inhalte auf verteilten, miteinander kommunizierenden Servern, den sogenannten LOCKSS-Boxen.
Um die jeweiligen Zugriffsrechte der Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf die einzelnen Lizenzen zu verwalten und im Fall eines Trigger-Events automatisch freischalten zu können, ist ein zentrales Rechtemanagement notwendig. In einer nationalen Rechtedatenbank werden die vertraglich zwischen Verlagen und Bibliotheken vereinbarten Archivrechte vorgehalten. Nur mit einer nationalen und von den Verlagen autorisierten Rechtedatenbank kann im Ernstfall eine kurzfristige Freischaltung erfolgen. Hierbei besteht auch die Herausforderung, die Komplexität der bundesweit vorhandenen Vertragsbeziehungen und die in den Verträgen vereinbarten Archivrechte korrekt und operationalisierbar darzustellen und in einem standardisierten Prozess durch die Verlage freigeben zu lassen. Die Rechtedatenbank ist somit ein erstes Strukturelement, das bundesweit alle Akteure (Bibliotheken, Verhandlungsführer, Verlage und technische Dienstleister) einbindet.
Organisatorisch ist eine Nationale Hosting-Agentur vorgesehen, die in Zusammenarbeit mit den Bibliotheken die Aufgabe übernimmt, die zu hostenden Inhalte auszuwählen und zu priorisieren, die Rechtesituation zu klären, ggf. notwendige Nachverhandlungen der Hostingrechte mit den Verlagen zu übernehmen, Verträge mit Portico und der Stanford University (LOCKSS) zu schließen, den Einsatz der technischen Infrastruktur zu koordinieren sowie die Finanzierung abzusichern. Dabei geht es vor allem darum, die Bibliotheken zu entlasten und ein zentraler Ansprechpartner für Fragen des Archivrechts und des Hostings zu sein. Die Hosting-Agentur muss daher so aufgestellt sein, dass sie möglichst alle relevanten Entscheidungsträger, also Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Konsortien und Verhandlungsführer einbinden und in die grundlegenden Entscheidungen einbeziehen kann. Bei einer Umfrage unter den Mitgliedern der DBV-Sektionen 4 und 5 im Herbst 2015 wurde dieses Konzept einer Hosting-Agentur auch von der Mehrheit der deutschen Bibliotheken befürwortet.
Nationale Hosting-Agentur und nationale Rechtedatenbank sind die zwei zentralen Strukturelemente, die
Dienstleistungsaufgaben für die Wissenschaftseinrichtungen übernehmen,
alle Akteure in diesem Bereich bündeln und einbeziehen,
die für das Hosting notwendigen Aufgaben koordinieren und mit den Bibliotheken abstimmen,
die Komplexität der rechtlichen und inhaltlichen Gegebenheiten reduzieren und handhabbar machen,
Standards formulieren und einführen, sowohl in Bezug auf die Vertragsseite als auch in Bezug auf die Systemlandschaft,
Prozesse definieren und einführen, die im Fall eines Trigger-Event ein schnelles und rechtssicheres Handeln ermöglichen
und bilaterale Vereinbarungen unterhalten, sowohl mit den Hosting-Anbietern als auch mit den teilnehmenden Bibliotheken.
Neben dem Betrieb der technischen Infrastruktur und der konkreten Ausgestaltung der Hosting-Dienste ist in diesem Projekt, das viele unterschiedliche Akteure der Wissenschafts- und Verlagslandschaft einbeziehen muss, die Governance ein wesentlicher Faktor für das Gelingen. In einer Aufbau- und Erprobungsphase sollen ab 2016 die Grundlagen für die organisatorische und technische Umsetzung des Konzepts gelegt werden – die Genehmigung des Konzepts durch die DFG vorausgesetzt – ein entsprechender Projektantrag ist in Vorbereitung.
1 Relevante Akteure und ihre Struktur
Die relevanten Akteure, die in der einen oder anderen Weise von dem Nationalen Hosting betroffen sind oder hierzu beitragen, sind zahlreich und treten teilweise in unterschiedlichen Rollen auf. Systematisieren lassen sie sich am besten durch die verschiedenen Ebenen, die im Hosting-Projekt berührt werden.
Ausgangspunkt eines Nationalen Hostings sind die Lizenzverträge und die an ihnen beteiligten Akteure: Mehr als 700 wissenschaftliche Bibliotheken in Deutschland, die ihrerseits Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsinstituten und Behörden angehören, schließen unzählige lokale Lizenzen mit Verlagen ab, so dass die genaue Anzahl im Rahmen des Projektes nicht ermittelt werden konnte. Eine gewisse Struktur ergibt sich dabei durch die 15 vorhandenen Konsortien, die regional verankert sind und eine Anzahl fester Mitglieder haben. Bei bundesweiten Vertragsabschlüssen sind jedoch häufig weitere Bibliotheken beteiligt, so dass größere Konsortialverträge bis zu 170 Teilnehmerbibliotheken umfassen können. Die Konsortien wiederum sind in der GASCO7[7] organisiert, einer Koordinierungsgruppe, die dem Austausch dient und auch die Hochschulbibliotheken aus Österreich und der Schweiz umfasst. Verhandlungsführer der National- und Allianzlizenzen haben sich in der Allianz-AG Lizenzen zusammengeschlossen, einer Arbeitsgruppe der Allianz-Initiative der DFG.
Die internationalen Wissenschaftsverlage sowie Aggregatoren, die Inhalte unterschiedlicher Verlage über ihre Plattformen zugänglich machen, sind als Vertragspartner und Lizenzgeber wichtige Akteure. Ihre Einbindung erfolgt in erster Linie über die verhandlungsführenden Bibliotheken, die auch weiterhin für die Einhaltung der unterschriebenen Verträge und somit für die korrekte Zugriffssteuerung verantwortlich sind. Verhandlungsführende Bibliotheken können jedoch die Hosting-Agentur beauftragen, für sie die Verhandlung und Verwaltung der Archiv- und Hostingrechte ihrer Verträge zu übernehmen. Es findet somit keine Delegation der Verantwortung auf die Hosting-Agentur statt, sondern lediglich eine eng auf die Archivproblematik begrenzte Übertragung von Aufgaben, für die letztendlich der Verhandlungsführer in Abstimmung mit den an seinem Vertrag beteiligten Bibliotheken verantwortlich zeichnet. In diesem Sinne kann also die vorhandene und bewährte Arbeitsstruktur der Konsortien und Verhandlungsführer zur Steuerung der Akteure genutzt werden.
Eine weitere Ebene stellen die bereits vorhandenen Nachweissysteme dar, in denen die Konditionen der Lizenzen, Teilnehmer, Titellisten, Zugriffsrechte, URLs und Laufzeiten bereits eingetragen und erfasst werden. Zu nennen sind vor allem die EZB8[8] und DBIS,9[9] aber auch ZDB10[10] und www.nationallizenzen.de.11[11] Diese Nachweissysteme, die bereits in kooperativen Arbeitsprozessen von einer großen Mehrheit der Bibliotheken gepflegt werden, lassen sich für den Aufbau der Rechtedatenbank nutzen. Einen zentralen Platz soll dabei das künftige Electronic Resource Management (ERM) System LASeR12[12] einnehmen, das im Rahmen eines DFG-Projektes konzipiert wird und künftig als nationales Erfassungssystem für Verträge die Vielzahl der vorhandenen Einträge bündelt. Daneben gibt es aber auch auf der Bibliotheksebene weitere lokale ERM-Systeme, die mit LASeR Daten austauschen können, so dass eine nationale Knowledge Base entsteht, in der alle relevanten Lizenzinformationen dargestellt sind. Diese Vorstrukturierung ist insoweit wichtig, als die in LASeR dann vorhandenen Nachweise von Archiv- und Hostingrechten in die nationale Rechtedatenbank übernommen und nachgenutzt werden können. Die kooperative Verzeichnung von Lizenzinformationen durch die Bibliotheken in verschiedenen Nachweissystemen und deren Zusammenfassung in einem nationalen LASeR-System sind somit Grundvoraussetzung für den Aufbau der Rechtedatenbank. Gleichzeitig sind hier in Teilen bereits standardisierte Arbeitsprozesse vorhanden, auf die aufgebaut werden kann.
Die technische Ebene bildet schließlich der Dienstleister Portico in Verbindung mit dem selbst betriebenen Private LOCKSS-Netzwerk (PLN). Dieses besteht aus den 6–7 Betreiberstandorten sowie der Koordinierungsstelle der Hosting-Agentur. Derzeit wird davon ausgegangen, dass die LOCKSS-Boxen in die Server-Infrastruktur der jeweiligen Betreibereinrichtung eingebunden sind und dort gewartet werden. Zu berücksichtigen sind jedoch die bereits vorhandenen lokalen Hosting-Lösungen, welche von einigen Bibliotheken bzw. Konsortien derzeit schon betrieben werden. Dort werden z. T. unterschiedliche Arten von elektronischen Ressourcen vor Ort gehostet und für teilnehmende Bibliotheken bereit gestellt, so z. B. Open-Access-Artikel, lizenzpflichtige Zeitschriften, Archivdatenbanken oder gekaufte E-Books. Eine Herausforderung für die nationale Hosting-Struktur wird sein, diese vorhandenen Hosting-Lösungen als zusätzliche Archivserver in das Gesamtgefüge einzubinden. Standardisierte Schnittstellen und Prozesse helfen dabei, die nationale Rechtedatenbank auch für diese Systeme nutzbar zu machen.
In der Frage der Finanzierung, die von grundlegender Bedeutung für den dauerhaften Bestand des Nationalen Hosting ist, treten neben Förderorganisationen wie der DFG außerdem die Träger der Wissenschaftseinrichtungen, also Bund und Länder auf, die ihrerseits organisiert und verzahnt sind (Kultusministerkonferenz, Gemeinsame Wissenschaftskonferenz usw.). Die Einbindung der Unterhaltsträger ist insoweit relevant, als eine Anschubfinanzierung bzw. eine laufende Grundfinanzierung für die Hosting-Infrastruktur angestrebt wird. Inwieweit dies erforderlich sein wird oder ob sich das Nationale Hosting allein aus den Beiträgen der teilnehmenden Einrichtungen finanzieren lässt, kann erst im Rahmen des Aufbauprojekts belastbar ermittelt werden. Denn wichtigstes Ziel bei der Festlegung der künftigen Teilnehmerbeiträge muss es sein, neben der Sicherung der nationalen Infrastruktur, die Beteiligung für möglichst alle Wissenschaftseinrichtungen offen zu halten. Dies bedeutet, dass die Beiträge sich in einer Dimension bewegen müssen, die es auch kleinen Forschungsinstituten erlaubt, an dem Nationalen Hosting teilzunehmen. Unabhängig von der Frage einer Grundfinanzierung ist jedoch die Einbeziehung der Unterhaltsträger in die Entscheidungen allein schon aus Gründen der Transparenz und der Governance erforderlich.
2 Koordination und Governance
Um ein Nationales Hosting umzusetzen, müssen bereits in den ersten Schritten im Rahmen des Aufbauprojekts Kernfestlegungen und Entscheidungen getroffen werden:
Die gesammelten Informationen zu Lizenzrechten müssen überprüft und einer Standardisierung unterzogen werden.
Es müssen Entscheidungen getroffen werden, welche Lizenzen über Portico bzw. LOCKSS abgedeckt werden sollen und welche Drittlösungen frühzeitig berücksichtigt werden müssen.
Auch für die Evaluation der Rechte durch die Verlage muss eindeutig geklärt sein, welche Einrichtung in welchen Fällen auf welche Daten zugreifen kann.
Bei der großen Gruppe der involvierten Akteure gibt es keine Dach-Organisation, die per se stellvertretend für alle tätig werden bzw. eine Einbindung sämtlicher potentieller Nutzer gewährleisten könnte. Anders sieht das in Großbritannien aus: Jisc13[13] ist eine öffentliche Körperschaft und die einzige Organisation, die national als Konsortium tätig wird und Lizenzverträge verhandelt. Gleichzeitig ist Jisc einer der beiden Träger des safenet-Projektes14[14], das sich um die Absicherung der Archiv- und Hosting-Rechte kümmert, so dass hier keine neue Organisationstruktur als Bindeglied der Akteure gegründet werden muss.
Als Keimzelle einer neuen Struktur zur Koordination der Hosting-Lösung in Deutschland arbeitet derzeit die NatHosting-Projektgruppe. Im derzeitigen Projektabschnitt hat sie erste Entscheidungen vorbereitet, um schnell weitere Akteure einbeziehen zu können und so transparent wie möglich zu agieren.
Für die Rechtsform der Hosting-Agentur schlägt die Projektgruppe, unterstützt vom Projekt-Beirat und weiteren Experten, die Gründung eines Vereins vor. Dieser gewährleistet die grundsätzlichen Voraussetzungen, denen eine nationale Koordinierungsstelle im Wissenschaftsbereich genügen muss:
Selbstverwaltung der Wissenschaft,
Einbeziehung aller entscheidungsrelevanten Akteure,
Gemeinnützigkeit und beschränkte Haftung,
kurzfristige Handlungsfähigkeit im Fall eines Trigger-Events sowie
die Unterscheidung zwischen der Ebene des Systembetriebs und der Verwaltungs- bzw. Koordinationsebene.
Die Vorgabe der beschränkten Haftung und der Gemeinnützigkeit schränkte in der Voruntersuchung die Auswahl der Rechtsformen bereits auf Verein, Genossenschaft und gGmbH ein. Daran schloss sich eine vertiefte Prüfung der verbleibenden Alternativen an, in der auch Beispiele aus der Praxis untersucht sowie Interviews mit Erfahrungsträgern geführt worden sind, mit den folgenden Ergebnissen:
Eine gGmbH wurde verworfen, da der Ein- und Ausstieg neuer Gesellschafter relativ aufwendig ist. Wegen dieses hohen Verwaltungsaufwands ist die Beteiligung sämtlicher Wissenschaftseinrichtungen als Gesellschafter nicht praktikabel. Ohne die Einbeziehung der Beteiligten in die Entscheidungen der Hosting-Agentur kann jedoch keine ausreichende Akzeptanz für deren Arbeit geschaffen werden. Eine Genossenschaft käme in Frage, sie weist jedoch – neben vielen Vorteilen – durch die vorgeschriebenen Prüfungen verursachte höhere Gründungskosten sowie einen insgesamt erhöhten Organisationsaufwand mit Aufsichtsrat und Berichtspflichten auf.
Bei einem Verein hingegen ist das Gründungsverfahren am einfachsten und es ist ein großer rechtlicher Gestaltungsspielraum für die Satzung gegeben. Die Finanzierung erfolgt über (moderate) Mitgliedsbeiträge und es ist keine Kapitalbeteiligung notwendig. Einrichtungen der unterschiedlichsten Größe können eingebunden werden und haben als Mitglieder das gleiche Stimmrecht. Universitäten und Forschungseinrichtungen können selbst eintreten, ohne eine vorherige Zustimmung ihrer Unterhaltsträger einholen zu müssen. Ohne ein normiertes Prüfungs- und Berichtswesen müssen Öffentlichkeit und Transparenz auf andere Weise erreicht werden. Der DFN-Verein15[15] bspw. organisiert auf freiwilliger Basis eine Prüfung: Dazu beauftragen die Mitglieder des Vereins externe Prüfer sowohl mit der Prüfung des Jahresabschlusses als auch mit der Evaluation von Prozessen. Die Ergebnisse bilden dann die Grundlage zur jährlichen Entlastung des Vorstands.
Die Diskussion der Modelle mit den Mitgliedern des Projekt-Beirats16[16] ergab, dass der Gründung eines Vereins als niedrigschwelliges Angebot, bei dem gleichzeitig viele Akteure in die Entscheidungen eingebunden werden können, der Vorzug zu geben ist. Noch offen ist, ob die Hosting-Agentur als Verein an andere, bereits im Kontext von Bibliotheken bzw. Informationseinrichtungen bestehende Vereine oder auch an einzelne Hochschulen direkt angegliedert werden könnte. In Vorgesprächen signalisierte der DINI-Verein17[17] Interesse an einer Zusammenarbeit. Auch das Kompetenznetzwerk für Bibliotheken (knb)18[18] wurde im Kontext der Umfrage unter den Mitgliedern der DBV-Sektionen 4 und 5 als möglicher Träger in die Diskussion gebracht.
Die Struktur im Einzelnen muss per Satzung geregelt werden. Nach gesetzlichen Vorgaben benötigt ein Verein als Organe nur die Mitgliederversammlung und einen Vorstand. Zur besseren Strukturierung der Arbeit könnte, wie beim DFN-Verein auch, ein Verwaltungsrat den Vorstand verstärken und verschiedene Mitgliedsgruppen stärker in die Arbeit einbeziehen. Bei Bedarf könnte außerdem ein Beirat zur Einbindung von Experten eingesetzt werden.
Eine mögliche Ausgestaltung der Nationalen Hosting-Organisation als Verein ist in der folgenden Abbildung dargestellt:
Die Mitgliederversammlung ist das entscheidende Organ des Vereins, jedes Mitglied hat eine Stimme. Sämtliche Einrichtungen, deren digitale Erwerbungen abgesichert werden sollen, können Mitglied werden – sowohl Hochschulen als auch Forschungseinrichtungen und -institute.
Die Mitgliederversammlung fasst grundlegende Beschlüsse zur Vereinsentwicklung (bestätigt z. B. Verträge mit Portico und LOCKSS, beschließt Gebühren- und Geschäftsordnungen) und wählt den Vorstand sowie ggf. einen Verwaltungsrat. Diese Gremien sollen ehrenamtlich tätig sein. Der Vorstand bestellt eine Geschäftsführung bzw. eine Geschäftsstelle, die mit hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgestattet ist. Sie vertritt den Verein in den Gremien von Portico, LOCKSS und bei finanziellen Förderern. Sie ist die zentrale Stelle für die Koordinierung der Akteure, der Mitglieder aber auch der im Vereinsauftrag tätigen Verhandlungsführer, Entwickler und Betreiber von LOCKSS-Boxen. Wie diese Koordination im Einzelnen aussieht, muss vereinbart werden und den Notwendigkeiten des Geschäftsalltags genügen. Zur Strukturierung der Arbeiten sind die Beschreibung von Prozessen und die Festlegung von Richtlinien für die Bearbeitung notwendig, die ein einheitliches Vorgehen aller Beteiligten (auch in den Hochschulen) gewährleisten. Einen ersten Ansatz bietet das im Rahmen des Projektes erarbeitete Handbuch mit Fließdiagrammen (siehe unten Abb. 2) und Handlungsanleitungen für die verschiedenen Anwendungsfälle. Die Kompetenzen der Hosting-Agentur gegenüber den Mitgliedern zu definieren und abzugrenzen, wird Aufgabe der Einrichtungsphase sein.
3 Prozesse und Steuerung der Abläufe
Der entscheidende Vorteil des NatHosting-Konzeptes besteht darin, dass nicht jede Bibliothek auf sich gestellt ist und sämtliche anfallenden Arbeitsschritte, die für nachhaltiges Hosting notwendig sind, eigenhändig durchführen muss, sondern dass die Arbeiten durch die Hosting-Agentur gebündelt, auf unterschiedliche Akteure verteilt und in Teilen auch zentralisiert werden können. Die dafür notwendigen Workflows und Abstimmungsprozesse müssen in der Erprobungsphase genauer gefasst und festgelegt werden.
Die drei wichtigsten Prozesse sind:
Prozess 1: Archivrechte – Klärung von Archivrechten, Verhandlung mit Verlagen etc.
Prozess 2: Technik – Betrieb der LOCKSS-Boxen, Entwicklung von Plug-ins etc.
Prozess 3: „Ernstfall“ – Test und Vorbereitung von Anwendungsfällen bei Trigger-Events.
Sie sollen nachfolgend näher erläutert werden.
Prozess 1: Archivrechte
Die Hosting-Agentur muss zunächst dafür sorgen, dass eine Priorisierung und Strukturierung der zu bearbeitenden Lizenzverträge erfolgt. Dazu muss eine Übersicht erstellt werden, welche Verlage und Produkte über Portico abgedeckt sind und welche vorrangig in den LOCKSS-Boxen gesichert werden sollen. Die endgültige Entscheidung darüber trifft, nach Vorbereitung durch die Geschäftsstelle, die Mitgliederversammlung.
Idealerweise sollten alle bundesdeutschen Verträge mit ihren Zugriffs- und Archivrechten in der Rechtedatenbank jahrgangsweise erfasst und von den Verlagen bestätigt werden, damit die Rechtedatenbank später den Zugriff auf die Archivkopien automatisch steuern kann und keine aufwändigen Vorklärungen mehr zu leisten sind. Sobald das nationale ERM-System LASeR als zentrale Erfassungsdatenbank für Lizenzrechte zur Verfügung steht, wird die Arbeit erleichtert. Dann müssen sämtliche Verträge und Abonnements nur einmal dort erfasst werden, so wie sie in der Konsortial- und Erwerbungsarbeit ohnehin anfallen, und können von LASeR in die Rechtedatenbank übernommen werden. Dies kann jahrgangsweise geschehen, also immer dann, wenn ein Vertrag erneuert wird. Lediglich die Ersterfassung der bereits vorhandenen Verträge, die nicht erneuert werden (z. B. Nationallizenzen, Kaufprodukte) muss in einer konzertierten Aktion durch die Verhandlungsführer nachgetragen werden. Die Hosting-Agentur überprüft in Abstimmung mit den verhandlungsführenden Bibliotheken die Eintragungen auf Vollständigkeit und Operationalisierbarkeit und tritt, falls erforderlich, in Nachverhandlungen ein. Verantwortlich für die Eintragung sowohl der aktuell abgeschlossenen als auch der nachverhandelten Verträge ist dabei jeweils die vertragsführende Einrichtung, im Regelfall eine Bibliothek. Konsortiale Verträge, National-und Allianzlizenzen werden von den Konsortialstellen bzw. den Verhandlungsführern eingetragen. Lokale Lizenzen müssen von den Bibliotheken eingepflegt werden, die diese geschlossen haben. Aber auch hier ist ein koordiniertes Vorgehen denkbar, z. B. wenn lokale Verträge über dasselbe Produkt an mehreren Standorten existieren.
Für die über Portico abgedeckten Verträge ist die Erfassung der detaillierten Rechte-Information in einem Schritt zunächst nicht notwendig, da Portico mit „seinen“ Verlagen eine befristete, grundsätzliche Freischaltung für alle Teilnehmer in fast allen Fällen vereinbart hat. Lediglich beim Post-Cancellation-Access, also dem Archivzugriff nach der Kündigung eines Abonnements durch die Bibliothek selbst, sind detaillierte Zugriffsrechte erforderlich. Daher werden nach und nach auch diese Lizenzen erfasst.
Wenn Verlage keine oder unzureichende Rechte einräumen, müssen Nachverhandlungen geführt werden, die gebündelt für viele Einrichtungen die grundsätzliche Rechteklärung herbeiführen sollen. Die Verhandlungsführung selbst kann fallweise von der Hosting-Agentur oder von dem Verhandlungsführer einer Bibliothek für alle Verträge dieses Verlages übernommen werden (siehe auch Abbildung 2). Im letztgenannten Fall erarbeitet die Hosting-Agentur Musterklauseln und stellt diese den Bibliotheken für die Verlagsverhandlungen zur Verfügung.
All diese Prozesse erfordern in der Anfangsphase einen hohen Kommunikations- und Regelungsaufwand, der sich in einer Geschäftsordnung, in Verträgen und vereinbarten Handreichungen zwischen der Hosting-Agentur und den Bibliotheken bzw. den Konsortien niederschlagen muss.
Prozess 2: Technik
Bei Lizenzen, die über das LOCKSS-Netzwerk abgesichert werden sollen und bei denen Archiv- und Hostingrechte von dem Verlag bestätigt wurden, kann der abzusichernde Content in den vom technischen Betreiber aufgesetzten Boxen gespeichert werden. Welche Standorte für den Aufbau und Betrieb einer LOCKSS-Box in Frage kommen, muss im Rahmen des Einführungsprojektes geklärt werden. Aber auch in diesem Prozess, der nur durch 6–7 technische Betreiber kontrolliert wird, sind Workflows festzulegen und Vereinbarungen zu treffen:
Das Absicherungsprinzip beruht darauf, dass Kopien an mehreren Orten aufbewahrt werden, so dass die verschiedenen Betreiber der Boxen sich koordinieren und ihre Arbeitsweise abstimmen müssen. In den meisten Fällen werden die zu archivierenden Inhalte über Plug-ins direkt von den Verlagswebseiten geharvestet (die Übermittlung über Datenträger ist grundsätzlich auch möglich). Dazu muss geklärt werden, ob in anderen LOCKSS-Netzwerken genutzte Plugins nachgenutzt werden können oder ob eine Eigenentwicklung notwendig ist. Der Vorgang des Einlesens der Daten erfolgt nur an einem Standort, während die anderen Standorte Kopien der Inhalte speichern. In Bezug auf die Plug-in-Entwicklung aber können sich die Standorte die Arbeit z. B. verlagsweise aufteilen, so dass vorhandene Erfahrung genutzt und Synergieeffekte erreicht werden. Dazu müssen Standards und Routinen der Qualitätskontrolle vereinbart werden. Weiterhin wird es auch nur einen Standort geben, der die Rechtedatenbank betreibt und pflegt, die wiederum bundesweit für alle Einrichtungen erreichbar sein muss. Sie steuert im Trigger-Fall, nach Überprüfung der Zugangsberechtigung der Nutzer, die Zugriffe auf das PLN resp. auf den Portico-Dienst, wo das gewünschte Dokument zu finden ist.
Die Hosting-Agentur selbst betätigt sich in Bezug auf die technische Infrastruktur nicht als Betreiber, sondern nimmt Koordinierungs- und Verwaltungsaufgaben wahr, so z. B. den Abschluss und die Überwachung der Verträge mit Portico und der Stanford University, die Beauftragung von externen Dienstleistern (sofern erforderlich), die Prozessverfolgung oder die Einberufung von Arbeitsgruppen und Gremien. Sowohl das Rechteverhältnis der LOCKSS-Betreiber untereinander als auch die Aufgabenteilung mit der Hosting-Agentur müssen daher im Rahmen eines Kooperationsvertrages geregelt werden. Für die Koordinierung und Ausgestaltung der täglichen Arbeiten werden derzeit aufgrund der begrenzten Anzahl der Akteure regelmäßig tagende Arbeitsgruppen der Betreiber-Standorte als ausreichend angesehen.
Prozess 3: „Ernstfall“
Ein anderer Workflow, für den ebenfalls Regelungen getroffen werden müssen, ist der Eintritt eines Anwendungsfalls (Trigger-Event). Einer der häufigsten Fälle wird die Sicherung des Zugriffs nach Kündigung eines Vertrages oder eines Abonnements sein. Verträge bei denen dies absehbar ist, müssen bevorzugt bearbeitet werden.
Ein Trigger-Event erfordert das effiziente und standardisierte Ineinandergreifen aller oben genannten Strukturen und Handlungsstränge. Hierzu sind Testläufe erforderlich, die in regelmäßigen Abständen bzw. nach Fertigstellung einzelner Lizenzen durchgeführt werden müssen, um die technischen, organisatorischen und rechtlichen Hindernisse aufzudecken, die möglicherweise noch vorhanden sind. Diese Testläufe sind von der Hosting-Agentur zu koordinieren und auszuwerten, da sich aus ihnen evtl. weitere Erkenntnisse für eine Optimierung der Technik, der Prozesse oder die Notwendigkeit von Nachverhandlungen ergeben können. Des Weiteren muss die Hosting-Agentur mit einem Service-Bereich für den „Ernstfall“ gerüstet sein, wenn bspw. durch den Ausfall eines Anbieterservers an vielen Einrichtungen gleichzeitig die Zugriffe gestört sind.
Im Rahmen des NatHosting-Projektes wurde ein Handbuch mit Fließdiagrammen und Handlungsanleitungen für die verschiedenen Anwendungsfälle wie Kündigung des Abonnements (Post Cancellation Access), Title Transfer (Verlagswechsel), Einstellung der Zeitschrift bzw. des Verlags, technische Störung oder Betriebsausfall, unzureichender Hosting-Dienst des Verlags und instabile Zugriffsmechanismen erarbeitet. Dabei münden die beschriebenen Anwendungsfälle jeweils nach einigen Besonderheiten in einen „NatHosting Workflow“, welcher allgemeine, für das Nationale Hosting relevante Arbeitsroutinen enthält, die in allen Anwendungsfällen gleich sind (siehe Abbildung 2).
Alle in dem NatHosting Workflow dargestellten Fragen und Entscheidungen werden im Fall eines Trigger-Events relevant und müssen kurzfristig und möglichst automatisiert abgearbeitet werden. So u. a. die Fragen:
Handelt es sich bei dem Benutzer, der auf einen bestimmten Inhalt zugreifen möchte, um einen autorisierten Nutzer einer teilnehmenden Einrichtung?
Ist diese Einrichtung berechtigt, auf den gewünschten Artikel aus der entsprechenden Zeitschrift in dem entsprechenden Jahrgang zuzugreifen?
Gilt dieses Zugriffsrecht auch für den vorliegenden Trigger-Event und ist dies durch den Verlag bestätigt?
Gibt es vertragliche Einschränkungen für das Hosting, z. B. nur für bestimmte Dateiformate oder nur für bestimmte Nutzungsarten (keine elektronischen Fernleihen etc.)?
Auf welchem Server liegt der Artikel und kann der Nutzer dorthin durchgeschaltet werden?
Eine gute Vorbereitung im Sinne einer vollständigen Erfassung und ggf. Nachverhandlung der Hosting-Rechte sowie automatisierte und erprobte Prozessabläufe sind die Voraussetzungen, unter denen eine zügige Freischaltung der Nutzer erfolgen kann. Dies zu gewährleisten und zu einem günstigen Preis allen deutschen Wissenschaftsorganisationen verfügbar zu machen, ist das Ziel des Einführungs- bzw. Umsetzungsprojektes, welches in Kürze beantragt wird.
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