Das erste Heft von ABI Technik im Jahr 2016 stellt ein Experiment dar. Die Herausgeberinnen und Herausgeber haben sich entschieden, alle Fachbeiträge unter eine Überschrift zu stellen: Wie verändern und entwickeln sich Lenkungsstrukturen im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung und der gleichzeitigen Entstehung völlig neuer Infrastrukturen? „Governance von Informationsinfrastrukturen“ ist daher der Themenschwerpunkt dieses Hefts, das vollständig und ohne Zeitverzug im Open Access erscheinen wird. ABI Technik will mit diesem Themenheft einen Beitrag zu einer Diskussion leisten, die derzeit auf ganz unterschiedlichen Ebenen geführt wird. In dieser Diskussion wird häufig ein Mangel an nötigen organisatorischen Strukturen und Prozessen, Richtlinien und Standards artikuliert, insbesondere wenn mehr als eine Institution an einer Infrastruktur teilhat oder wenn Infrastrukturen interagieren und wenn ein Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen nicht stattfindet. Aber nicht nur im Querschnittsbereich der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen, auch an den deutschen Universitäten selbst besteht ein Mangel an institutioneller Lenkung, wie zuletzt die internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenz-Initiative, die Imboden-Kommission, festgestellt hat. Eine Stärkung der internen Governance an deutschen Universitäten sei unabdingbar, um den gewünschten horizontalen Differenzierungsprozess unter den Universitäten voranzutreiben, damit diese in der internationalen Konkurrenz bestehen können. Horizontale Differenzierung – ein Thema für Bibliotheken zwischen Kooperation und Konkurrenz?
Peter Reuter stimmt in seinem Grundsatzbeitrag auf das Leitthema „Governance von Informationsinfrastrukturen“ ein. Er betrachtet das Konzept der Governance in den Sozialwissenschaften und angrenzenden Disziplinen und untersucht die seit mehreren Jahren von unterschiedlichen Akteuren vorangetriebene Reform der Informationsinfrastrukturen als Governance-Problem. Er belässt es nicht bei der Analyse, sondern schlägt auch konkrete Instrumente und Verfahren vor, die die Akzeptanz von Zielen und nicht zuletzt deren Umsetzung sichern sollen.
ABI Technik hat darüber hinaus Vertreter dreier noch im Aufbau befindlicher Informationsinfrastrukturen eingeladen, über die Gestaltung der internen Governance zu berichten. Bewusst wurde dabei die Grenze zu Forschungsinfrastrukturen nicht zu eng gezogen, um die institutionelle Perspektive breiter zu beleuchten. Die vom BMBF geförderte digitale Forschungsinfrastruktur DARIAH-DE für die Geistes- und Kulturwissenschaften verfolgt die Gestaltung ihrer internen Governance mit dem Aufbau einer eigenen DARIAH-DE e-Humanities Infrastructure Service Unit (DeISU) und steht aktuell vor der Aufgabe, die Überführung in den Dauerbetrieb zu gestalten. Mirjam Blümm, Stefan Schmunk, Peter Gietz, Wolfram Horstmann und Heiko Hütter stellen die Überlegungen vor, die getroffen wurden, um die interne Governance zu gestalten.
Paolo Budroni begibt sich auf die Ebene nationaler Informationsinfrastrukturen und beleuchtet, wie bei e-Infrastructures Austria die Nachhaltigkeit durch Entwicklung einer Good Governance gesichert werden soll. e-Infrastructures Austria sind ein ambitioniertes Projekt für den koordinierten Ausbau und die Weiterentwicklung von Repositorieninfrastrukturen in ganz Österreich. Die interne Verwaltungsstruktur dieser Partnergemeinschaft besteht aus vier Gremien und einem mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzten Think Tank. Eine Konsensualvereinbarung regelt die Rollen und Verantwortlichkeiten und den Umgang mit den Projektergebnissen.
Sylvia Weber und Judith Dähne schließlich informieren über Lenkungsstrukturen, die den Aufbau eines Nationalen Hostings (NatHosting) in Deutschland ermöglichen sollen. Bei diesem DFG-geförderten Projekt standen organisatorisch-strukturelle und finanzielle Aspekte von vornherein im Fokus der Ausschreibung. Das Ziel ist kein geringeres, als eine von der Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen geforderte Nationale Hosting-Strategie zu entwickeln. Die Koordination der Akteure und Steuerung der Prozesse stellen dabei einen wesentlichen Faktor der Umsetzung dar.
Die Berichte aus den Infrastrukturprojekten zeigen, dass über die komplexen technischen oder rechtlichen Fragestellungen hinaus, die im Zuge der Reform und Neugestaltung von Informations- und Forschungsinfrastrukturen zu lösen sind, Fragen der Governance eine zentrale Rolle spielen. Vorbereitende Untersuchungen und Konsultationen ebenso wie die laufende Steuerung und begleitende Strukturierung sind für den Erfolg des Reformprozesses unumgänglich.
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