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Publicly Available Published by De Gruyter Saur March 18, 2015

Gesellschaftliche Teilhabe durch Öffentliche Bibliotheken

  • Elisa Hermann

    Elisa Herrmann, M.A. LIS

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From the journal Bibliotheksdienst

Zusammenfassung:

Öffentliche Bibliotheken bieten als konsumfreier Ort für alle Bevölkerungsschichten niedrigschwelligen Zugang zu Information, Bildung und Unterhaltung. Ihre Angebote spielen heute eine wichtige Rolle bei der Förderung und Unterstützung in der Medienkompetenz. Dieser Artikel untersucht insbesondere, inwieweit Bibliotheken eine gesellschaftliche Teilhabe für immobile Personen und Bevölkerung in weniger entwickelten Gebieten ermöglichen. Grundlage dafür sind die Ergebnisse der Studie „Nutzungsmonitoring in Öffentlichen Bibliotheken“, einem Projekt der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin (NuMoB-Studie).

Abstract:

Public libraries offer easy, free access to information, education and entertainment to individuals from all sections of society. Today, their offers play an important role in promoting and supporting media competence. This article examines how well libraries enable immobile persons and inhabitants of less developed areas to take part in society, based on the results of the study “Use monitoring for public libraries”, a project of the Berlin public libraries (NuMoB study).

1 Einleitung

Öffentliche Bibliotheken bieten niedrigschwelligen Zugang zu Informationen in einem geschützten öffentlichen Raum. Als Aggregator für Informations- und Medienkompetenz sind sie Anlaufpunkt für alle Bevölkerungsschichten. Aber wie werden sie dieser Rolle gerecht? Welche Services bilden Angebote, um alle Menschen erreichen zu können?

Besonders auf Öffentliche Bibliotheken als Informationsquelle und somit als Anbieter von gesellschaftlicher Teilhabe sind all diejenigen angewiesen, die nicht im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens stehen. Auf Öffentliche Bibliotheken bezogen werden hier Menschen betrachtet, die nicht in die Einrichtungen kommen können, für die der Bildungsauftrag besonders wichtig ist. Ausgenommen sind hier Migrantinnen und Migranten, da auf sie in einem gesonderten Beitrag genauer eingegangen wird.

Besonders interessant sind diejenigen Nutzerinnen und Nutzer, die bei der Befragung in den Fahrbibliotheken gesagt haben, dass sie mobil zu stark eingeschränkt sind, um eine Öffentliche Bibliothek vor Ort zu besuchen. Sie werden im Folgenden zuerst genauer betrachtet. Folgend wird die Rolle der Bibliothek als Vermittler von Medienkompetenz analysiert. Als Drittes soll die Bibliothek vor Ort in weniger entwickelten Gebieten untersucht werden.

2 Gesellschaftliche Teilhabe für immobile Personen

Viele Berlinerinnen und Berliner sind aufgrund ihrer körperlichen Verfassung nicht in der Lage, im gleichen Maße am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen wie andere. Sie sind auf barrierefreie Zugänge, Lieferdienste u. Ä. angewiesen, um sich Alltägliches wie Lebensmittel, Kleidung und eben auch Informationen zu beschaffen.

Die Frage, ob Personen in ihrer körperlichen Verfassung eingeschränkt sind, wurde ausschließlich den Nutzerinnen und Nutzern von Fahrbibliotheken gestellt, um herauszufinden, warum Fahrbibliotheken genutzt werden.

Über Befragte, die in einer Öffentlichen Bibliothek Berlins interviewt wurden, gibt es keine Aussage bezüglich ihrer körperlichen Verfassung, da es sie zumindest nicht in der Bibliotheksnutzung vor Ort einschränkt. Auf WheelMap wurden zudem die meisten Bibliotheken, wenn sie dort erfasst waren, als behindertengerecht bewertet.

Zu klären bleibt also, wer die Bibliothek vor Ort aufgrund seiner körperlichen Verfassung nicht aufsuchen kann. Dies sind vor allem Frauen (71 %) über 65 Jahre. Wenige sind 30 Jahre oder älter. Demzufolge ist es auch nicht verwunderlich, dass die Mehrheit davon im Ruhestand ist.

Abb. 1:  Gründe zur Nutzung einer Fahrbibliothek.1Alle Abbildungen sind der NuMoB-Studie entnommen.
Abb. 1:

Gründe zur Nutzung einer Fahrbibliothek.[1]

Neben ihrer körperlichen Verfassung ist die schlechte Anbindung der Bibliotheken an den Öffentlichen Personennahverkehr für 75 % der Befragten ein Grund, warum sie auf die Fahrbibliotheken angewiesen sind. Wie im Beitrag über Fahrbibliotheken im vorliegenden Heft beschrieben, werden diese vor allem in Flächenbezirken eingesetzt. Diese, meist Randbezirke, weisen nicht die gleiche Infrastruktur bezüglich öffentlicher Transporte auf, wie im inneren Ring Berlins. Hinzu kommt sicherlich, dass die Fahrt mit den Öffentlichen Personennahverkehr für bspw. Rollstuhlfahrer beschwerlicher ist und bspw. nicht jede Straßenbahn behindertenfreundlichen Zugang bietet.

Umso erfreulicher ist es, dass die meisten immobilen Personen mit den Angeboten ihrer Fahrbibliotheken sehr zufrieden sind. Vorwiegend werden sie für Unterhaltung, Freizeit und Medien für Kinder genutzt, weniger für Aus- und Weiterbildung. Dies hat allerdings auch mit dem Bestandsprofil der Fahrbibliotheken zu tun.

Insbesondere wenn man nicht noch „schnell mal was holen gehen“ kann, sind Lieferdienste essentiell. Diese werden von den Befragten der Fahrbibliotheken als sehr gut eingeschätzt.

3 Gesellschaftliche Teilhabe durch Medienkompetenz

Die meisten Informationen sind heutzutage im Internet zu finden und für die meisten ist dies das Recherchemedium Nummer eins. Ausgegrenzt werden all diejenigen, die keinen Zugang dazu haben oder nicht über die Kenntnisse verfügen, damit umzugehen.

Das Internet ist heute sowohl aus dem alltäglichen Leben als auch insbesondere in der Schule und der beruflichen Ausbildung nicht mehr wegzudenken, gerade für jüngere Generationen. Finnland etwa hat Ende 2014 beschlossen, ab Herbst 2016 nicht mehr das händische, sondern das maschinelle Schreiben für Grundschüler in den Vordergrund zu stellen.[2] Mit der Code Week[3] , einer Initiative der EU, um das Fach Programmieren stärker auf den Stundenplan zu bringen, fördert die EU den Umgang mit dem PC bereits in der Grundschule. Die meisten Schulen in Deutschland sind auf solch eine Veränderung noch nicht eingestellt.[4] Besser ausgestattet sind da die deutschen Privathaushalte. Die Bevölkerungsbefragung im Projekt NuMoB hat gezeigt, dass 60 % der Nutzerinnen und Nutzer Öffentlicher Bibliotheken in Berlin über einen PC verfügen, die meisten (74 %) haben jedoch einen Laptop. Bei den Nicht-Nutzern sind es lediglich 60 % die über einen Laptop verfügen. Auch Tablets (31 %) und Smartphones (66 %) sind bei den Nutzerinnen und Nutzern häufiger zu finden als bei denjenigen, die die Einrichtungen nicht mehr besuchen (Tablet 24 %, Smartphone 55 %). Eine bessere Medienkompetenz oder eine aufgeschlossenere Haltung neuen Medien gegenüber kann man demnach den Nutzerinnen und Nutzern nicht absprechen.

Bibliotheken haben sich im Bereich neuer Medien und Endgeräte auf Alternativen zum gedruckten Buch, wie bspw. E-Reader, fokussiert. Dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, belegen die Ergebnisse der NuMoB-Studie. Jeweils 29 % der Nicht-(mehr)-Nutzerinnen und -nutzer würden wieder eine Bibliothek in Anspruch nehmen, wenn man dort E-Reader ausleihen könnte. 50 % fänden es attraktiv, wieder eine Bibliothek zu benutzen, wenn es ein Angebot zum Download von E-Books, Hörbüchern o. Ä. gäbe. 55 % der Nutzerinnen und Nutzer stimmen dieser Aussage ebenfalls zu. Mit VOeBB24[5] haben die Öffentlichen Bibliotheken in Berlin bereits ein solches Angebot, das offenbar besser beworben werden muss.

Die Versorgung mit Internetplätzen ist für diejenigen, die sie nutzen, zufrieden stellend. Daneben bieten nahezu alle Öffentlichen Bibliotheken Berlins W-LAN für die Arbeit mit dem eigenen Laptop an. Von den Nutzerinnen und Nutzern der Öffentlichen Bibliotheken haben jedoch 94 % Internet zu Hause, eine Zielgruppe wären hier eher die Nicht-Nutzer und -Nutzerinnen, von denen nur 82 % über einen Internetanschluss verfügen.

Abb. 2:  Medienausstattung im Haushalt.
Abb. 2:

Medienausstattung im Haushalt.

Abb. 3:  Mögliche Maßnahmen der Bibliotheken, um ihre Attraktivität zu steigern. Dargestellt sind die Antworten „würde ich öfters nutzen“.
Abb. 3:

Mögliche Maßnahmen der Bibliotheken, um ihre Attraktivität zu steigern. Dargestellt sind die Antworten „würde ich öfters nutzen“.

Die Stadtbibliotheken Stuttgart und Stockholm gehen bereits einen Schritt weiter. Sie bieten webbasierte Dienstleistungen speziell für Schulen an. Um solche und ähnliche Angebote in Anspruch zu nehmen, müssen Nutzerinnen und Nutzer über Medienkompetenz verfügen. In Berlin werden Kurse für Grundschüler in Bezug auf den richtigen Umgang mit dem Internet angeboten – vom Museum für Kommunikation[6] , nicht von den Öffentlichen Bibliotheken. Dabei zeigt sich, dass sich viele in der Lage fühlen, den richtigen Umgang mit dem Computer und dem Surfen im Internet zu beherrschen. Erfahrungen zeigen ein anderes Bild. Bei einer Medienschulung für Grundschüler (5. Klasse) wurde der Umgang mit Spam-Mails diskutiert. Das Beispiel: „Ihr findet in eurem E-Mail-Fach eine Nachricht, dass ihr bei einem Gewinnspiel ein Smartphone in eurer Lieblingsfarbe gewonnen habt. Damit ihr es bekommen könnt, müsst ihr Name und Anschrift angeben. Was macht ihr?“ Die Mehrheit der Schüler würde sich darüber freuen und die Angaben schicken. Stutzig wurden sie nur, woher die Leute wissen wollen, welches ihre Lieblingsfarbe ist. Bei dem großen Angebot an Medienkursen in anderen Einrichtungen, wie Museen oder Volkshochschulen, stellt sich die Frage, ob Bibliotheken dieses Angebot auch machen müssen. Die Informationsquellen, bei denen diese Kompetenz angewendet werden kann, liegen nach wie vor in Bibliotheken. Datenbanken und die Recherche darin werden in den meisten Kursen von VHS oder Museum nicht angeboten. Sollten Nutzerinnen und Nutzer diese also in Bibliotheken bei ihrer Recherche gebrauchen, ist fraglich, ob sie die Kompetenz, darin effektiv suchen zu können, erworben haben. Hier müssten Bibliotheken ihre Stärken einsetzen, um den Umgang mit den eigenen Angeboten zu vermitteln, und auf solche Quellen hinweisen. Die Befragung der Schulen im Rahmen der NuMoB-Studie wird auch zeigen, inwieweit Datenbanken eine Rolle für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler spielen. Wenn Bibliotheken bei der jüngeren Generation, insbesondere bei Schülerinnen und Schülern, sich als Bildungsagenten auch im Online-Bereich anbieten können, stärkt dies die Position von Bibliotheken als Agent für Medien- und Informationskompetenz in der Gesellschaft.

4 Gesellschaftliche Teilhabe in Gebieten mit niedrigerem LOR

Die Einteilung von Gebieten in Lebensweltlich orientierte Räume (LOR) zur statistischen Datenerhebung ist die Weiterentwicklung des Sozialindex und wird in Berlin sukzessive seit 2008 vom statistischen Amt verwendet.[7] In der NuMoB-Studie haben alle Öffentlichen Bibliotheken Berlins die Möglichkeit, sich in ähnlichen LORs zu vergleichen. Eine Auswertung kann auch eine wesentlich detailliertere Analyse des unmittelbaren Bevölkerungsumfelds einer Bibliothek darstellen.

Betrachtet werden hier die LORs mit „niedrig“ (9) bis „sehr niedrig“ (8). In diese Kategorie fallen 17 von 70 befragten Einrichtungen, verteilt auf acht von zwölf Bezirken. Bibliotheken, die in Gebieten mit niedrigen LORs liegen, sind ein knappes Viertel (21 %). Alle anderen Einrichtungen liegen in Gebieten, die als „mittel“ (42) bis „hoch“ (7) entwickelt gelten (Abb. 4).

Abb. 4:  Verteilung der Öffentlichen Bibliotheken nach ihren LORs.
Abb. 4:

Verteilung der Öffentlichen Bibliotheken nach ihren LORs.

Dies könnte eine Erklärung sein, warum Öffentliche Bibliotheken vor allem Nutzerinnen und Nutzer mit hohem Bildungsabschluss haben. In Räumen, in denen die Bevölkerung im Durchschnitt einen niedrigeren Bildungsabschluss hat, fehlen Bibliotheken. In den letzten 20 Jahren sank die Zahl der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin von 225 auf 73.[8] Insbesondere kleinere Einrichtungen wie Kiezbibliotheken mussten schließen. Inwieweit sich die Schließung von Kiezbibliotheken in weniger entwickelten Gebieten der Stadt auf die Bildung der Bevölkerung ausgewirkt hat, ist bislang spekulativ. 2015 wird dies im Rahmen einer Masterarbeit am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin genauer untersucht.

Fest steht: Diejenigen, die Einrichtungen in diesen Gebieten nutzen, tun dies vorwiegend um Medien auszuleihen (86 %), gefolgt von den Zielen Arbeiten und Lesen (25 %). 19 % nutzen das Internet vor Ort und für 11 % stellt die Bibliothek einen Treffpunkt dar (Vergleich zu anderen LORs: Abb. 5). Insbesondere Letzteres sollte in solchen Räumen nicht unterschätzt werden, in denen die meisten einen niedrigeren Schulabschluss haben. Laut der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest von 2013 gaben 44 % der Hauptschüler und Hauptschülerinnen an, nie Bücher zu lesen (bei Gymnasiasten 11 %).[9] Die Internetnutzung oder die Bibliothek als Arbeitsort sowie als Treffpunkt sind hier Anreize, um in die Einrichtungen zu kommen. Von denjenigen, die kommen, sind 73 % der Befragten zufrieden mit ihrer Öffentlichen Bibliothek. Wenige Unterschiede lassen sich bei der Bewertung des Medienangebots ausmachen. Einzig die Zufriedenheit bezüglich verfügbarer Arbeitsorte ist bei Bibliotheken mit höher eingestuften LORs größer (47 % zu 54 %). Da aber Einrichtungen in niedrigeren LOR-Gebieten stärker als Arbeits- und Lernort genutzt werden, ist dies durchaus ein kritischer Punkt. Sechs Einrichtungen in LORs, die sehr niedrig entwickelt sind, haben weniger als 50 Arbeitsplätze[10] , zwei offerieren in diesen Gebieten 50 bis 150 Plätze. Die meisten Einrichtungen berlinweit bieten zwischen 50 und 150 Arbeitsplätze an. Abhängig ist die Anzahl der Arbeitsplätze selbstverständlich vom jeweiligen Einrichtungstyp. Jeweils eine Bezirkszentralbibliothek liegt in einem Gebiet mit niedrigem und eine mit sehr niedrigem LOR-Index. Drei Mittelpunktbibliotheken liegen im sehr niedrigen Index-Bereich, eine im niedrigen. Der Rest sind Stadtteilbibliotheken.

Abb. 5:  Bibliotheksnutzung nach den LORs.
Abb. 5:

Bibliotheksnutzung nach den LORs.

5 Fazit

Die NuMoB-Studie hat gezeigt, dass die Öffentlichen Bibliotheken in Berlin für viele eine Möglichkeit darstellen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wie etwa durch Fahrbibliotheken, die in Flächenbezirken mit suboptimaler Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr insbesondere für immobile Personen eine wichtige Bezugsquelle für Literatur darstellen. Mit der Versorgung mit neuen Medien und der Vermittlung des Umgangs mit solchen Medien tun sie sich hingegen bislang schwer.

Jedes der in diesem Artikel behandelten Themen benötigt nochmals eine genauere Betrachtung, um die gesellschaftliche Teilhabe durch Bibliotheken für alle Bevölkerungsschichten zu verbessern. Und doch lässt sich bereits gut erkennen, wo Handlungsbedarf besteht.

Die Frage, wie Bibliotheken an der Gesellschaft teilhaben, ist eine strategische, die lokal verschieden ausfallen kann. Einrichtungen, die sich verstärkt als Bildungsagenten verstehen, werden weniger Fokus auf die Rolle als Freizeitzentrum legen als solche, die sich auf die Ansprache breiter Bevölkerungsschichten konzentrieren. In einer Stadt wie Berlin ist diese Profilierung einzelner Einrichtungen auf unterschiedliche Ausrichtungen der Bibliotheksarbeit sicherlich einfacher als in kleineren Städten mit einer Bibliothek.

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Elisa Hermann

Elisa Herrmann, M.A. LIS

Elisa Hermann:

Published Online: 2015-03-18
Published in Print: 2015-03-31

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Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2015-0040/html
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