Zusammenfassung:
Am 8. und 9. Oktober 2015 fand auf dem Campus der Potsdamer Universität vis-à-vis dem Neuen Palais im Park Sanssouci der „5. Tag der Bestandserhaltung“ statt. Die Veranstaltung wurde vom Kompetenzzentrum Bestandserhaltung für Archive und Bibliotheken in Berlin und Brandenburg organisiert. In diesem Tagungsbericht wird ein kurzer Abriss über die gehaltenen Vorträge, Speed-Präsentationen und Führungen gegeben. Themen waren u. a. die von der Koordinierungsstelle für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts (KEK) geförderten Modellprojekte 2014 aus der Region, erste Ergebnisse der bundesweiten Umfrage zu den „Deutschlandweiten Handlungsempfehlungen für die Erhaltung des Kulturerbes in Archiven und Bibliotheken“, Abschlussarbeiten aus dem Bereich der Restaurierung und Konservierung sowie die durchgeführten Führungen.
Abstract:
On 8 und 9 October 2015, the “5th Day of preservation of collections” took place on the campus of the University of Potsdam, just across the New Palace in the grounds of Sanssouci. The event was organised by the Kompetenzzentrum Bestandserhaltung für Archive und Bibliotheken in Berlin und Brandenburg (competence centre for the preservation of collections for archives and libraries in Berlin and Brandenburg). This conference report gives an overview of the lectures, speed presentations and guided tours. Besides other subjects, the focus was on the 2014 model projects promoted by the Koordinierungsstelle für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts (KEK, coordination unit for the preservation of written cultural assets), first results of the nation-wide survey into “Recommendations for the preservation of cultural heritage in archives and libraries in Germany”, completing works in the field of restoration and preservation as well as the guided tours offered during the event.
Eröffnet wurde der erste Tag durch Marion Hecker-Voß (Leitung der Abteilung Landesbibliothek in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin) und Prof. Dr. Mario Glauert (Vorsitzender des Fachbeirats des KBE, stellv. Leitung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs), der in Vertretung von Dr. Ursula Hartwieg (Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts – KEK) im Anschluss an die Begrüßung über erste Ergebnisse der „Bundesweiten Handlungsempfehlungen“ für die Region Berlin und Brandenburg sprach.
In ihrer Begrüßung stellte sich Marion Hecker-Voß als neue Ansprechpartnerin für das KBE innerhalb der ZLB vor, Peter Borchardt war im April d. J. in den Ruhestand gegangen. Sie betonte den Fokus dieser Tagung, der vor allem auf Projekten aus dem universitären, aber auch praxisnahen Bereich lag. Mario Glauert berichtete anschließend über die aktuelle Lage der Bestandserhaltung in Berlin und Brandenburg gerade im Hinblick auf die mittlerweile veröffentlichen „Bundesweiten Handlungsempfehlungen zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts in Deutschland“ der KEK.
Die Koordinierungsstelle kann am Ende ihrer fünfjährigen Pilotphase auf eine umfangreiche Modellprojektförderung zurückblicken: Etwa 2,4 Mio. Euro wurden für knapp 200 Projekte in Archiven, Bibliotheken, Museen und anderen Institutionen bereitgestellt, um den Originalerhalt von Einzelobjekten und Sammlungen zu ermöglichen oder infrastrukturelle Maßnahmen wie die Unterstützung von Notfallverbünden oder die Sensibilisierung für den Wert der Bestandserhaltung mittels öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten zu fördern. Aber auch die für die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und die Kultusministerkonferenz (KMK) zu erarbeitende Gesamtstrategie zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts wurde nun erarbeitet und reiht sich in die unterschiedlichen Initiativen für den Erhalt des schriftlichen Kulturerbes der letzten Jahrzehnte ein – dabei ist ein Spezifikum dieser Handlungsempfehlungen sicherlich der spartenübergreifende Ansatz, der überdies die Koordinierung aller einschlägigen Verantwortungsebenen für unsere kulturelle Überlieferung vorsieht.
In den Bibliotheken in Berlin und Brandenburg werden derzeit über 675.000 historische Druckwerke aus der Zeit bis 1850 verwahrt. Davon sind über 215.000 Drucke, also rund ein Drittel, dringend restaurierungsbedürftig. In den öffentlichen Archiven der beiden Länder werden derzeit über 200.000 lfm Archivgut aufbewahrt. Davon ist die Hälfte akut durch den Zerfall ihrer säurehaltigen Papiere bedroht. Rund 2.000 lfm Archivgut sind in einem so schlechten Zustand, dass vor der Benutzung eine vollständige Restaurierung erforderlich ist. Um diesen Zahlen entgegenwirken zu können, würden die Bibliotheken und Archive in Berlin und Brandenburg ungefähr 3 Mio. Euro benötigen. Um an die Handlungsempfehlungen anzuknüpfen, wird das KBE für Berlin und Brandenburg in Zukunft ein Länderkonzept erstellen, das Verantwortlichkeiten und Forderungen für alle Beteiligten klärt.
Im Anschluss wurden die geförderten Modellprojekte der KEK zum Themenschwerpunkt „Verblassende Schrift – Verblassende Farbe“ aus dem letzten Jahr vorgestellt.
Peter Schwirkmann (Stiftung Stadtmuseum Berlin – Landesmuseum für Geschichte und Kultur) eröffnete als erster Redner die Präsentationen und widmete sich in seinem Vortrag dem Nachlass Theodor Fontanes (1819–1898). Ein herausragender Teil, nämlich die Manuskripte der zu Lebzeiten des Dichters erschienenen Werke, befindet sich seit 1902 im Besitz des Märkischen Museums, heute Stiftung Stadtmuseum Berlin.
Drei Manuskripte, nämlich Unterm Birnbaum, DiePoggenpuhls und Der Stechlin, wurden 2014 als KEK-Modellprojekt restauriert und dauerhaft konserviert. Die Manuskripte sind für die Forschung u. a. deshalb von besonderem Wert, weil sie das Ringen des Autors mit Stoff und Sprache dokumentieren. Es gibt nicht nur Verbesserungen, Variationen, Neuanfänge, sondern auch ganze Passagen, die durch andere Passagen ersetzt wurden, indem Fontane neue Textvarianten über die ersten Entwürfe klebte. Manche dieser Seiten wirken wie kunstvolle Collagen. Die Restaurierung war Voraussetzung für die Erhaltung und weitere Benutzbarkeit sowie für die Digitalisierung der Manuskripte 2015.
Darauf folgte die Präsentation von Rita Wolters (Werkbundarchiv e. V. – Museum der Dinge) zu den restaurierten Stücken aus dem Nachlass von Hermann Muthesius (1861–1927) mit ca. 20.000 Einheiten. Insbesondere der Briefbestand mit über 7.000 Einheiten ist von großem Forschungsinteresse. Ein großer Teil konnte über ein Digitalisierungsprojekt 2013 erschlossen werden. Im Rahmen einer Förderung durch die KEK im Jahre 2014 konnten nun noch fehlende Einzelbriefe und ein sog. Kopierbuch – das Letterbook I – so weit konservatorisch-restauratorisch aufgearbeitet werden, dass eine Digitalisierung und darüber eine Nutzung möglich werden. Das Letterbook I und die Einzelbriefe sind eine Sammlung von ca. 520 frühen Briefkopien, die unter Verwendung von Kopiertinten in einer Kopierpresse entstanden sind. Die in diesem Bestand häufigste Kopiertinte ist eine modifizierte Eisengallustinte. Das Kopierpapier ist extrem leicht und dünn. Die Briefkopien weisen Tintenfraßschäden auf. Das Lesen und die damit verbundene Handhabung der Briefkopien sind ohne erhebliche Beschädigung der Kopierpapiere nicht möglich gewesen. Tintenfraßschäden wurden ebenfalls mittels der Calziumphytat-Calziumbicarbonat-Badbehandlung restauriert und anschließend durch Kaschierung mit dünnen Japanpapieren stabilisiert. Der größere Teil der Briefkopien aus Letterbook I wurde jedoch aufgrund seiner geringeren Tintenfraßschäden nur in Bruch- und Fehlstellenbereichen lokal gefestigt. Diese restauratorische Maßnahme führte allerdings nicht zu einer Gesamtstabilisierung der Briefkopien, und die Benutzung ist nur sehr beschränkt möglich. Die vereinzelten Briefkopien wurden in Umschlägen aus Museumspapier konvolutweise in Kassetten verpackt und so für ihre Digitalisierung vorbereitet.
Der folgende Beitrag zur Sicherungsverfilmung von Dissertationen mit Ormig-Abzügen, Blau- und Braunpausen aus drei sächsischen Bibliotheken und der Vergleich des Verblassungsgrades von Ormig-Abzügen aus Mehrfachexemplaren war ein Modellprojekt aus Sachsen, welches aufgrund des großen Interesses auch für die Region Berlin und Brandenburg von Bedeutung ist. Dr. Michael Vogel, Leiter der Landesstelle Bestandserhaltung in Sachsen (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden), berichtete über die Schwerpunkte und Schlussfolgerungen.
Gegenstand des Projektes waren in einem geringen Umfang die Verfilmung von Ormig-Dissertationen, Vergleiche zwischen Mehrfachexemplaren von Ormig-Dissertationen aus verschiedenen Einrichtungen hinsichtlich der Lesbarkeit sowie insbesondere die Durchführung und Bewertung von Xeno-Tests und einer künstlichen Alterung an Proben von Ormig-Blättern. Die Ergebnisse lassen konkrete Schlüsse für die Lagerung und die Benutzung zu und es ist dringend angeraten, eine Sekundärform anzufertigen.
Den Abschluss der Vorträge zu den Modellprojekten der KEK am ersten Veranstaltungstag bildete Franziska Latell M.A. (Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen) zur Frage der Bestandserhaltung und Beziehung zwischen Konservierung und Digitalisierung filmischer Artefakte, exemplarisch dargestellt an der Filmkollektion des Bauhaus-Archivs. Können Filmwerke als gesichert gelten, wenn diese digitalisiert sind? Welchen Zweck kann die Digitalisierung von Filmwerken erfüllen? Welche Arbeitsschritte sollte die Vorbereitung der Digitalisierung von Filmsammlungen umfassen und inwiefern sind diese Vorbereitungen eng verknüpft mit Fragen der Bestandserhaltung? Weshalb muss eine Strategie zur Digitalisierung pro Filmwerk jeweils neu entwickelt werden und inwiefern können und sollten hierbei Überlegungen zur Sicherung des Werkes berücksichtigt werden?
Die Fragen und Thesen der Vortragenden wurden anhand eines von der Berliner Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten geförderten Projekts zur Digitalisierung der Filmsammlung des Bauhaus-Archivs/Museum für Gestaltung beantwortet und veranschaulicht. Bei dem im Bauhaus-Archiv überlieferten Korpus von knapp 50 Filmwerken handelt es sich um Dokumentarfilme, Dokumentationen, Künstlerfilme und Fernsehproduktionen, die zwischen den 1920er- und 1970er-Jahren entstanden sind und auf 16mm und 35mm Nitrat-, Azetat- und Polyesterträgern vorliegen. Die notwendigen Arbeitsschritte zur Vorbereitung der Digitalisierung wurden aufgezeigt und anhand dessen beispielhaft Empfehlungen zur Entwicklung einer Digitalisierungs- und Sicherungsstrategie für analoge Filme formuliert.
Nach den Präsentationen konnten sich die Teilnehmer zu den zuvor gewählten Führungen u. a. zum Archiv des Filmmuseums, dem Stadtarchiv Potsdam oder dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv begeben.
Der zweite Tag der Tagung wurde von Andreas Mälck (Staatsbibliothek zu Berlin, Leitung der Abteilung Digitalisierung und Restaurierung) eröffnet und moderiert. Bevor es zu dem neuen Format der Speed-Präsentationen kam, wurden ein weiteres Modellprojekt aus Brandenburg vorgestellt und ein Vortrag zur Interdisziplinarität, Nachwuchsförderung und Kooperation in der Bestandserhaltung gehalten.
Durch ein von der KEK gefördertes Projekt konnten 2014 ausgewählte Papierurkunden des Pfarrarchivs Perleberg der Kreisstadt Perleberg restauriert werden. Dr. Uwe Czubatynski (Domstift Brandenburg) berichtete, dass das Pfarrarchiv nach seiner Deponierung im Domstiftsarchiv Brandenburg vollständig neu verzeichnet wurde. Einen besonderen Wert erlangt der Bestand durch seine Urkunden, die bis in das Jahr 1315 zurückreichen. Nachdem bereits sämtliche mittelalterlichen Urkunden durch Vollregesten publiziert waren, konzentrierte sich die tiefere Erschließung auf die nachreformatorischen Stiftungsurkunden. Parallel zur Restaurierung der Urkunden wurden 18 Stiftungsurkunden und Testamente aus der Zeit von 1561 bis 1884 im Volltext übertragen, da sie eine Fülle von kulturgeschichtlichen Details enthalten und eine beachtliche Nachwirkung entfaltet haben. 2015 wurden schließlich alle 140 Urkunden mit Hilfe der Fachhochschule Potsdam digitalisiert, so dass der für die Stadt- und Landesgeschichte außerordentlich interessante Bestand optimal benutzbar ist. Das Findbuch einschließlich der Edition der Stiftungsurkunden wird derzeit zum Druck vorbereitet.
In dem zweiten Vortrag erläuterte Maria-Annabel Hanke M.A. (Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung [BBF] des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung), wie in ihrer Einrichtung ein besonderer Wert auf die Vernetzung von unterschiedlichen Fachbereichen zugunsten des Erhalts von schriftlichem Kulturgut und der Weitergabe von Bestandserhaltungswissen und -praktiken gelegt wird und zwar mit allen Facetten des Geschäftsgangs, von der Erwerbung über den Leihverkehr bis hin zur Digitalisierung. Für die Klärung der vielfältigen Fragen zur Bestandserhaltung und der Weiterentwicklung der eigenen, langfristigen Vorgehensweise hat sich die interdisziplinäre und institutionsübergreifende Zusammenarbeit als Impulsgeber für die konzeptionelle Arbeit bewährt. Die BBF arbeitet in Form eines Expertenmodells eng mit freien Restauratoren zusammen, die mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen die praktische Umsetzung von Bestandserhaltung in der BBF prägen.
Eine Kooperation mit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim basiert auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Studierenden im Bereich Restaurierung soll der Zugang zur bibliothekarischen Perspektive der Bestandserhaltung ermöglicht werden. Konkrete Fragestellungen können praxisnah in die Ausbildung eingebracht werden. In Form von Abschlussarbeiten oder Praxisseminaren zu spezifischen Schadensbildern wird für die BBF auf diese Weise restauratorisches Wissen nutzbar gemacht. Der Ansatz „Interdisziplinarität, Nachwuchsförderung und Kooperationen“ zeigt die Schnittstellen in der bibliothekarischen und restauratorischen Bestandserhaltungsarbeit in Praxis und Forschung auf und formuliert die Notwendigkeit einer fachübergreifenden Sensibilisierung zukünftiger Bibliothekare und Restauratoren.
Nach einer kurzen Kaffeepause wurde die erstmals angewendete Vortragsform der Speed-Präsentationen gestartet. Sieben Themen wurden von den einzelnen Referenten in drei Minuten vorgestellt, danach gab es einen separaten Raum mit Posterwänden zu jedem Thema. Die Tagungsteilnehmer konnten dann je nach Interesse Kontakt zu den Vortragenden aufnehmen und die für sie interessanten Themen diskutieren.
In der ersten Präsentation stellte Matthias Frankenstein (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen) seine Erfahrungen und Erkenntnisse vor, die aus der Planung, Durchführung und Nachbereitung des Umzugs von 100 laufenden Kilometern Archivgut gewonnen werden konnten. In der ersten Jahreshälfte 2014 ist das Landesarchiv NRW umgezogen. Dabei wurde Archivgut aus sechs Standorten in Brühl und Düsseldorf in den Neubau nach Duisburg transportiert. In den Magazinen lagern Zeugnisse rheinischer Geschichte, vom beginnenden 9. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Es handelt sich um die unterschiedlichsten Materialitäten vom Pergament bis zur modernen Akte, vom Glasplattennegativ bis zum modernen Datenträger.
Eine große Herausforderung bestand darin, die Archivalientransporte so sicher wie möglich zu gestalten. Aus bestandserhalterischer Sicht lag daher der Fokus darauf, mechanische Beschädigungen durch starke Erschütterungen und Klimaschwankungen zu vermeiden. Vor dem Umzug wurden die Bestände, in denen sich besonders erschütterungsempfindliche Objekte befanden, bestimmt und durch Personal der Bestandserhaltung zusätzlich gesichert. Dabei ging es vor allem darum, Bewegungen innerhalb der Archivschachtel zu verhindern. Da dies nicht nur für Einzelobjekte, sondern für bis zu mehreren Tausend Einzelstücke umfassende Bestände geschah, mussten praktikable und ökonomische Lösungen gefunden werden.
Zudem wurden bereits im Rahmen der Ausschreibung in der Leistungsbeschreibung Bedingungen für den sachgerechten Umgang und Transport des Archivguts formuliert. Es wurden allgemeine Transportbedingungen, aber auch spezifisch auf die verschiedenen Materialgruppen abgestimmte Vorgaben verschriftlicht. Die Einhaltung der Vorgaben durch das Umzugsunternehmen wurde während des ganzen Umzugs kontrolliert. Hierbei kamen auch Datenlogger zum Einsatz, mit denen Klima und Erschütterung stichprobenartig gemessen wurden. Die fachübergreifende Zusammenarbeit während der Umzugsphase hat zum Erfolg dieses Projektes geführt.
Dr. Ira Rabin (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin) erforscht im Sonderforschungsbereich „Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa“ der Universität Hamburg (SFB 950) die Vielfalt der Manuskriptkulturen in historischer und vergleichender Perspektive ausgehend vom materiellen Artefakt (Handschrift). Ihre Speed-Präsentation im Bereich der materialwissenschaftlichen Untersuchungen hatte zwei Themen zum Schwerpunkt: zum einen die „Methoden zur Rekonstruktion der Geschichte von Manuskripten (Z02)“ und zum anderen die „Manuskriptanalyse zur Wiedergewinnung verlorener Schrift (Z01)“.
Nach erfolgreicher Etablierung des mobilen Labors in der ersten Phase des SFB steht der Servicegedanke des Teilprojekts Z02 im Vordergrund. Materialwissenschaftliche Untersuchungen liefern wichtige Hinweise zur Beantwortung kulturhistorischer Fragestellungen, die nicht allein durch historische und philologische Methoden zu lösen sind. Konkrete Fragen nach der Herkunft und Entstehungsgeschichte von Manuskripten einerseits sowie deren Veränderungen durch Korrekturen, Nachträge oder Alterung, Beschädigung und Restaurierung andererseits, lassen sich durch eine präzise, abgestimmte Materialanalytik beantworten, die in enger Verzahnung von Natur- und Geisteswissenschaften zu erarbeiten ist.
Das zweite Projekt bietet den Forschenden des SFB modernste Digitalisierungsverfahren und deren Auswertung an, um nicht mehr lesbare Schrift in Manuskripten und Fragmenten virtuell wieder sichtbar zu machen. Dank der Arbeiten in der ersten Phase stehen hierfür eines der aktuellsten und vielseitigsten Systeme zur hoch auflösenden multispektralen Digitalisierung sowie entsprechende Verfahren zur computergestützten Auswertung und Visualisierung zur Verfügung. Die an einer Vielzahl von Manuskripttypen und Beschreibstoffen (seien es Pergament, Papier oder Palmblatt) gesammelten Erfahrungen gewährleisten eine optimale Betreuung entsprechender Anliegen aus allen Teilprojekten.
Oft bilden bewusste Eingriffe, wie Tilgen, Korrigieren, Palimpsestieren oder Überkleben, die Ursache für den Verlust von Schrift oder Zeichen, oft auch Abnutzung oder Wasserschaden. Für alle diese Fälle konnten mit dem zur Verfügung stehenden multispektralen Digitalisierungsverfahren an den meisten Beispielen gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Diese Möglichkeiten sollen auch in der zweiten Phase des SFB als Dienstleistung zur Verfügung stehen, zumal die Nachfrage aufgrund der vorliegenden Erfahrungen stetig zugenommen hat. Die Ausrüstung ist für den mobilen Einsatz ausgelegt, der unter sehr unterschiedlichen Bedingungen (von modern ausgestatteten westeuropäischen Bibliotheken bis zu Reisen in entlegene Bibliotheken und Archive Nepals) erfolgreich erprobt wurde.
Die nächste Präsentation von Katrin Abromeit M.A. (Zentrum für Kunst- und Medientechnologie, Karlsruhe) ist zugleich Thema ihrer Masterarbeit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin gewesen. Sie untersuchte vier abgebaute, mit altem Schimmel belegte Magnetophonbänder aus dem Deutschen Rundfunkarchiv, Frankfurt. Diese wurden exemplarisch für einen größeren Bestand restauriert, abgespielt und digital gesichert. Sie enthalten einmalige Aufnahmen des deutschen Auslandsrundfunks aus der Zeit der NS-Diktatur – Unterhaltungsprogramm, das um 1944 für den nordafrikanischen und arabischen Raum zusammengestellt wurde. Zusätzlich zur Schimmelproblematik stellten die mechanische Empfindlichkeit und die Konfektionierung der Bänder für die damaligen AEG-Magnetophone eine Herausforderung dar. Mit getesteten Reinigungsvliesen wurden die Tonbänder unter Beachtung des Arbeitsschutzes gereinigt, materialgerecht auf mittlerweile rar gewordenen Abspielgeräten wiedergegeben und nach aktuellen Richtlinien digitalisiert.
Eine weitere Masterarbeit mit dem Thema „Zustandsuntersuchungen an Ledereinbänden des 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung als Grundlage für Erhaltungsempfehlungen“ wurde von Tatjana Keune M.A. vorgestellt. Die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung besitzt den Bestand der Stiftung Bücherei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Landesverband Hamburg. Er umfasst ca. 60.000 Bücher, darunter ca. 3.850 Bücher mit Einbänden aus vegetabil gegerbtem Leder des 19. bis beginnenden 20. Jahrhunderts. Diese Bücher sind auffallend oft am Buchrücken und an den Gelenken beschädigt. Das Ziel der Bibliothek ist die Erhaltung der Originaleinbände. Anhand einer Literatur- und Quellenrecherche wurden Schadensbilder von vegetabil gegerbtem Leder, deren endogene und exogene Ursachen sowie die verschiedenen messtechnischen und optisch/haptischen Analysen zur Zustandsbewertung herausgearbeitet. Für den Bestand wurde eine Zustandserhebung durch Stichproben erarbeitet, die ausgewählte Analysemethoden integriert und den Magazinstandort berücksichtigt. Basierend auf der Ergebnisinterpretation wurden anschließend die Eignung der Materialanalysen diskutiert und Erhaltungsempfehlungen für den Mengenbestand gegeben.
Die vorletzte Präsentation zur „Digitalisierung der Modellbücher und des Hainer-Hill-Fotobestands des Bertolt-Brecht-Archivs der Akademie der Künste“ wurde 2014 mit der finanziellen Unterstützung der Berliner Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten realisiert und von der Servicestelle Digitalisierung des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik unterstützt. Die Projektleiterin Franziska Latell M.A. (Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen) berichtete über 104 Modellbücher und über 700 Fotografien aus dem Bestand Hainer Hill des Bertolt-Brecht-Archivs, die in diesem Rahmen digitalisiert wurden. Ziel war es, die Anfang 2013 ebenfalls durch Mittel des Berliner Senats aufwändig restaurierten Modellbücher und den Fotobestand Hainer Hill nachhaltig zu schonen und die stark nachgefragten Originale ab 2015 vornehmlich als Digitalisate online in der Deutschen Digitalen Bibliothek, im Archivportal-D und im Lesesaal der Akademie der Künste zugänglich zu machen.
Die Grundabläufe einer Inszenierung werden in jedem der 104 Modellbücher, die je aus ca. 500 Fotografien bestehen, festgehalten. Entstanden sind die Bücher zwischen den späten 1940er- und den 1960er-Jahren. Neben den Fotografien enthalten sie Texte der Stücke sowie in einzelnen Entwurfsfassungen handschriftliche Anmerkungen Brechts. Der Fotograf und Bühnenbildner Hainer Hill (1913–2001) arbeitete zwischen 1952 und 1954 am Berliner Ensemble. In dieser Zeit fotografierte er die wichtigsten Inszenierungen und Probenarbeiten auf Brechts Bühne. Dabei entstanden Hunderte herausragender Inszenierungsfotografien, die die fotografische Dokumentation der Inszenierungen in den Modellbüchern ergänzen.
Im Zuge des Projekts wurden knapp 90.000 digitale Images und 104 PDF/A-Dateien erstellt. Ende 2015 werden alle Digitalisate, für die die Nutzungsrechte für eine Online-Publikation eingeholt werden konnten, in der Deutschen Digitalen Bibliothek und dem Archivportal-D präsentiert. Digitalisate, bei denen dies aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, werden vollständig im Lesesaal der Akademie der Künste einsehbar sein.
Den abschließenden Speed-Vortrag hielt Friederike Nithack B.A. (HAWK Hildesheim) zum Thema ihrer Bachelorarbeit „Entstehung von DIN-Normen für Schutzverpackungen und Bewährung in der Praxis“, in der sie den wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung von DIN-Normen auf den Grund geht. Dabei schildert sie u. a. den Ablauf vom Antrag bis zur Veröffentlichung durch den Beuth Verlag und untersucht die Möglichkeiten der Einflussnahme durch Restauratoren. In der Arbeit werden zudem die beiden wichtigen Normen für Schutzverpackungen, DIN EN ISO 9706 und DIN ISO 16245, sowie ihre Bewährung in der Praxis inhaltlich untersucht. Im Mittelpunkt stehen aus der Literatur zusammengetragene konservatorische Anforderungen an Kassetten und Schutzhüllen. Im Ergebnis wird erläutert, welche konservatorischen Anforderungen in den Normen aufgegriffen und welche ausgelassen wurden. Die Bedeutung der Ergebnisse wird in ihrer Abschlussarbeit diskutiert und weitere Forschungsansätze werden aufgeführt.
Auch am zweiten Nachmittag bestand für alle Teilnehmer die Möglichkeit, diverse Führungen zu besuchen. Auf dem Programm standen u. a. die Historische Bibliothek Friedrichs II. im Neuen Palais unter Einschluss seiner Wohnung, das Archiv der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburgs und die Besichtigung der RARA und Judaica-Bestände der Universitätsbibliothek Potsdam.
Erste Feedbacks vor Ort und in der anschließenden Abfrage waren sehr positiv, vor allem was die Führungsinhalte, die neue Form der Speed-Präsentationen und die Vielseitigkeit der Themen an beiden Tagen anging. Der nächste Tag der Bestandserhaltung wird Anfang Oktober 2016 wieder in Berlin stattfinden.
Alle freigegebenen Präsentationen sowie die fotografische Dokumentation der Tagung 2015 und aktuelle Informationen zu den Planungen für den „6. Tag der Bestandserhaltung“ 2016 stehen auf der Website www.zlb.de/kbe unter der Rubrik „Tag der Bestandserhaltung“ zur Verfügung.
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Elisabeth Balihar B.A.
Zentral- und Landesbibliothek
Kompetenzzentrum Bestandserhaltung für Archive und Bibliotheken in Berlin und Brandenburg (KBE)
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