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Publicly Available Published by De Gruyter Saur January 16, 2017

„From Collections to Connections“: Die öffentliche Bibliothek als Knotenpunkt der Kommune

  • Andreas Mittrowan

    Andreas Mittrowann

    Bibliothekarischer Direktor, ekz.bibliotheksservice GmbH, Bismarckstr. 3, 72764 Reutlingen

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From the journal Bibliotheksdienst

Zusammenfassung

Wie können sich öffentliche Bibliotheken im gesellschaftlichen und digitalen Wandel positionieren? In erfolgreichen Häusern ändert sich der Fokus weltweit von den Medien hin zum Menschen: Was sind die Bedürfnisse der Bürger in den Bereichen Kultur, Bildung und Freizeit und wie kann die Bibliothek dem Rechnung tragen? Der Autor stellt in seinem Beitrag als Antwort auf diese Fragen das dänische Modellprogramm für Bibliotheken sowie Beispiele aus Aarhus (DK), Worcester (GB), Houston und Bellingham (USA), Geelong (Australien) und Köln in Deutschland vor und präsentiert in seinem Fazit fünf zentrale Erfolgsfaktoren für den Wandel der Bibliothek hin zu einem „kommunalen Knotenpunkt“.

Abstract

How can public libraries place themselves within the social and digital change? Around the world, in successful institutions the focus shifts from media towards people: which are the citizens‘ needs in the areas of culture, education and leisure time and how can a library take this into account? As an answer to these questions, the author presents in his article the Danish pilot scheme for libraries as well as examples from Aarhus (DK), Worcester (GB), Houston and Bellingham (USA), Geelong (Australia) and Cologne in Germany and finally names five central success factors for the change of the library towards a “municipal meeting point”.

In einer Kundenbefragung der ekz.bibliothekservice GmbH im Jahr 2012 lag einer der Schwerpunkte der Untersuchung auf dem veränderten Nutzungsverhalten der Bibliothekskunden. Dabei antworteten auf die Frage „Sind auch in Ihrer Bibliothek die Ausleihen im Sachbuchbereich in den letzten fünf Jahren zurückgegangen?“ zwei Drittel der teilnehmenden Bibliotheken mit „Ja“. Innerhalb dieser Gruppe lag mit rund einem Drittel der größte Teil der Antworten bei einem „Rückgang zwischen 5 und 25 Prozent“. Dies ist einerseits wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges bei einem fundamentalen Umwälzungsprozess: Wenn heute eine unendliche Zahl von Informationen mobil abrufbar ist und für weniger spektakuläre Detailfragen wie nach der Höhe des Eiffelturms nicht unbedingt ein Buchbestand befragt werden muss – was bleiben dann die Kernaufgaben der öffentlichen Bibliothek?

Andererseits: In einer repräsentativen Befragung des Allensbach-Instituts für Demoskopie im Auftrag der ekz stellten im November 2015 rund 76 Prozent der befragten Bürger zwischen 16 und 75 Jahren an eine öffentliche Bibliothek die Forderung: „Sollte ein umfangreiches Angebot an Büchern, E-Books, Zeitschriften, Musik, Filmen usw. haben“ und machten dieses Statement damit zu der Top-Erwartung an Bibliotheken. Das Ende der Medien in Bibliotheken sollte also nicht unbedacht schon jetzt ausgerufen werden. Auf diese wichtigste Erwartung der Bürger folgen „Es sollte dort eine angenehme Atmosphäre herrschen, man sollte sich dort wohlfühlen“ mit 71 Prozent und „Gute fachliche Beratung, geschultes Personal“ mit 70 Prozent. Die (scheinbar) einfache Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Bibliotheken könnte also in einer Angebotserweiterung und Qualitätssicherung bestehen: Mehr und attraktivere Räumlichkeiten, mehr Lernplätze, ein hybrider sowie aktueller Medienbestand und schließlich: Angebote von qualfizierten Menschen für ihre Mitmenschen! Experimentieren, Gestalten, Interagieren und Begegnen – die breit angelegte Bibliothek, die sich der ganzheitlich orientierten Bildung, der Kultur im breitesten Sinne und der Begegnung verschrieben hat, wird zum Knotenpunkt der Kommune.

Wie gesagt: Eine scheinbar einfache Antwort, denn faktisch handelt es sich um einen komplexen Paradigmenwandel, in dessen Mittelpunkt wie Frage steht: Wie kann der Übergangsprozess, die Transformation hin zu einer „Bibliothek der Begegnungen“ gestaltet werden? Welche guten Beispiele gibt es dafür? Der Verfasser lädt auf seiner Suche nach möglichen Antworten auf diese Frage im Folgenden zu einer kleinen Reise ein.

Einen guten Ausgangspunkt bildet dabei das dänische Projekt „Modellprogramm für Bibliotheken“ der dortigen Kulturagentur.[1] Im Kern dieses neuartigen Modells mit einem konsequenten Fokus auf den Menschen stehen im Wesentlichen die Zieldimensionen „Erlebnis“, „Befähigung“, „Einbezug“ und „Innovation“, denen die Raumfunktionen „Lernen“, „Begegnung“, „Ausführung“ und „Inspiration“ zugeordnet sind.[2] Dieses neuartige Konzept als Antwort auf die Herausforderungen in der digitalen Gesellschaft hat sich schnell in den nordischen Ländern verbreitet, denn es löst sich von der Vorstellung der Bibliothek als „Medienausleihstation“ und wendet sich konsequent dem Bürger und seinen Bedürfnissen im Kontext von Kultur, Bildung und Gemeinschaft zu. Das Modell fand seine deutlichste und umfängliche Realisierung im neuen DOKK1 in Aarhus, das im Sommer 2016 eröffnet wurde. Dort hat man verstanden, dass die „Bibliothek der Bürger“ nur mit diesen gemeinsam gestaltet werden kann. In einem Prozess über einen Zeitraum von rund 15 Jahren hat das Team der öffentlichen Bibliothek in Aarhus eine Vielzahl von Projekten unter der Überschrift „Kollaboration und Partizpation“ durchgeführt. So wurden unter anderem mit Bürgergruppen „Personas“ kreiert. Dabei handelt es sich um eine aus dem Marketing bereits bestens bekannte Methode, um in einer Art Verdichtung „modellhafte Personen“ zu schaffen. Das könnte beispielsweise ein Herr von 81 Jahren mit dem Namen Johannes sein, der zum Lesen größere Schrift benötigt, mit einer Gehhilfe unterwegs ist, aufgrund seines Hörgerätes unsicher auf laute, dynamische Geräuschkulissen reagiert und außerdem gern mit seinen Enkeln via Videoconferencing in Verbindung bleiben würde. Dazu benötigt er jedoch eine Einführung und in seiner Wohnung hat er keine entsprechenden technischen Möglichkeiten. Außerdem fühlt sich Johannes trotz seiner körperlichen Einschränkungen noch „topfit“ und würde sich gern ehrenamtlich betätigen, allerdings fehlt ihm eine Übersicht der entsprechenden Möglichkeiten in seiner Kommune. Das sind nur ein paar Facetten für diese „Persona“, die konsequent weiter zum „fast lebendigen Menschen“ entwickelt werden kann. Nach Fertigstellung lässt man die Persona – mittels Imagination durch eine Arbeitsgruppe aus Bürgern – beispielsweise durch einen groben Grundriss des Gebäudes mit bereits festgelegten Funktionsbereichen wie dem Eingang, dem Café, dem Sachbuchbereich, den Computerplätzen oder den Sanitäranlagen wandern und erkennt recht schnell die Stärken und Schwächen der aktuell vorgelegten Planung. Mit dieser Methodik hat man in Aarhus sehr erfolgreich das neue Gebäude vorbereitet. Darüber hinaus hat sich die Bibliothek in Aarhus intensiv am europäischen Mindspot-Projekt beteiligt[3] , bei dem es um die Beteiligung von Jugendlichen an Planungprozessen ging. Klar war bereits in der Planungsphase für das DOKK1, das dort auch das Bürgerbüro für Meldeangelegenheiten und weitere Services integriert werden würde. Hervorragend für das neue DOKK1, denn so gibt es immer wieder Anlässe für die Bürger, das Gebäude der Bibliothek zu besuchen und somit die Chance, auch deren Angebote zu nutzen. Besonders wichtig sind dabei zwei Punkte. Erstens ist Rolf Hapel, der Direktor des DOKK1, gleichzeitig auch Leiter der Behörde für Bürgerservices und konnte eine zielgerichtete Integration der Dienste in das neue Gebäude steuern. Zweitens sind die Bürgerservices in Dänemark sehr viel weiter in ihrer digitalen Servicedimension als in Deutschland (Stichwort E-Government) und staatlich zentral gesteuert. Ein weiteres Beispiel für den Einbezug der (kleineren) Bürger: Die Außenterrassen der neuen Gebäudes sind als Kinderspielplätze gestaltet, die gemeinsam mit ihnen entwickelt wurden und es nimmt nach diesen Informationen auch nicht wunder, dass der Name „DOKK1“ im Rahmen eines Vorschlagswettbewerbes ermittelt wurde. Das Bibliotheksteam blieb jedoch immer am „Steuer“ dieses strategisch gestalteten Prozesses und erhielt auf dem jüngsten World Library and Information Congress in Columbus/Ohio für ihre Arbeit den „Library of the Year Award“.

In Aarhus können wir also getrost davon sprechen, dass die Funktion eines „kommunalen Knotenpunktes“ erreicht wurde. Einige der wichtigsten Ingredienzien: Klare Vision, Fokus auf den Menschen, konsequenter Einbezug der Bürger, Einbindung in einen städtebaulichen Gesamtprozess und ein weltweites Netzwerk von „Bibliotheksfreunden“, von denen man die besten und überzeugendsten Ideen übernommen hat.

Abb. 1:  Das DOKK1 im dänischen Aarhus gehört zu den herausragenden Beispielen in Europa für die Bibliothek als kommunaler Knotenpunkt.
Abb. 1:

Das DOKK1 im dänischen Aarhus gehört zu den herausragenden Beispielen in Europa für die Bibliothek als kommunaler Knotenpunkt.

Ist dies auch bereits an anderen Orten der Fall? Beim Blick nach Großbritannien rückte in den vergangenen Jahren natürlich besonders die Birmingham Public Library mit ihrem spektakulären Neubau in das Blickfeld. Spannender hinsichtlich der Funktion eines Knotenpunktes in der Kommune ist jedoch die Bibliothek „The Hive“ in Worcester – der Stadt mit der bekannten scharfen Sauce. Der dort im Jahr 2012 eröffnete Neubau macht seiner Bezeichnung eines „Bienenstocks“ alle Ehre: Nicht nur die moderne, mit goldenen Elementen kombinierte und durch geometrische Schachtelung auffallende Fassade zieht sofort die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, sondern auch die offene, skandinavisch anmutende Innenraumgestaltung mit ihrem einladenden Charakter führt zu einer hohen Publikumsfrequenz und somit einem betriebsamen „Summen“. Auch hier findet sich – ähnlich wie in Aarhus – eine gezielte Erweiterung der klassischen Bibliotheksfunktionen faktisch in der vertikalen sowie der horizontalen Ebene. Horizontal platziert sich neben der klassischen Funktion der öffentlichen, kommunalen Bibliothek auch die einer Universitätsbibliothek: beide wurden hier in einem Gebäude kombiniert und sogar die Präsentation der Bestände beider Funktionsbereiche erfolgt vollintegriert. Hinzu kommen ein Medienzentrum für Lehrende sowie das Stadtarchiv mit seinem historischen Beständen und Datenbanken lokaler Zeitschriften. Auf der vertikalen Ebene wird das Haus durch ein Bürgerbüro wie in Aarhus sowie ein Business-Center ergänzt – damit existiert für die Bürger eine Vielzahl von Anlässen, um das Haus und seine vielfältigen Angebote im besten Sinne des Wortes als „Zentrum der Bürger“ zu nutzen. Auch in Worcester steht konzeptionell nicht die „Medienversorgung“ als klassische Bibliotheksfunktion im Vordergrund, sondern – ähnlich wie im dänischen Modellprogramm für Bibliotheken – Werte wie „Inspiration“, „Connection“ oder „Aspiration“.[4] Nichtsdestotrotz finden sich nach wie vor viele gedruckte und audiovisuelle Medien in den Regalen – auch dies eine Parallele zu Aarhus.

Abb. 2:  Bürgerservice in Worcester als Teil des Bibliotheksgebäudes und der Konzeption.
Abb. 2:

Bürgerservice in Worcester als Teil des Bibliotheksgebäudes und der Konzeption.

Von Worcester aus nehmen wir den Flieger nach Westen und erreichen in der „Neuen Welt“ das texanische Houston als ein weiteres Beispiel für innovative Bibliotheksarbeit im 21. Jahrhundert. Die Bibliotheksdirektorin Rhea Brown Lawson – der auf dem World Library and Information Congress 2016 in Columbus/Ohio ich die Freude hatte zu begegnen – und ihr Team haben in den vergangenen Jahren viel dafür getan, um die klassischen Bibliotheksfunktionen für die Bürgerinnen und Bürger zu erweitern. So wurden im Jahr 2012 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Team der Initiative „Project for Public Spaces“ trainiert, um die Rolle der öffentlichen Bibliothek in der Kommune zu „maximieren“[5] . In der Folge wurde die „Bibliotheksplaza“ des Hauses in ihrer Funktion als öffentlicher Raum beträchtlich gestärkt. Nicht nur dem Wochenmarkt vor der Haustür wurden die Pforten zu diesem öffentlichen Raum geöffnet, sondern auch Festivals wie dem LibroFEST, der Houston Arts Alliance und dem Projekt „Green Houston“ – alles mit dem Ziel, die Rolle der Bibliothek im öffentlichen Raum und als Anlaufpunkt für die Bürger zu stärken. Die Bibliothek verfügt darüber hinaus ähnlich wie Aarhus über einen „Passport Service“ für die Bürger, ein Zentrum für Existenzgründer und bietet regelmäßige Workshops für Nonprofi-Organisationen an.[6] Ein Adult Gaming Room, ein Computer Lab, Studienräume und eine Snack Bar runden das in den vergangenen Jahren sehr stark gewachsene Angebot in Richtung einer echten Begegnungsstätte für die Bürger Houstons ab, die das durchaus zu schätzen wissen.[7]

Insgesamt bewerten die US-Bürger ihre Bibliotheken auch knapp zehn Jahre nach dem Beginn der mobilen, digitalen Revolution durch die Einführung des iPhone im Jahr 2007 als sehr wichtig für ihre Kommunen: In einer Befragung des Pew Research Center vom September 2016 gaben zwei Drittel der Befragten ab 16 Jahren an, eine Schließung der lokalen, öffentlichen Bibliothek würde ihre Kommune in einem größeren Maße beschädigen („hurt“ im englischen Original), weitere 25 Prozent sähen in einer Schließung immerhin noch einen „kleineren Schaden“.[8] Was erwarten die Teilnehmer positiv formuliert als wesentliche Funktionen einer Bibliothek in der Kommune? An der Spitze stehen dabei „Ein sicherer Ort für Menschen, um dort Zeit zu verbringen“, „Das Schaffen von Bildungschancen für alle Altersgruppen“ und „Die Vermittlung eines Gemeinsinns unter den verschiedenen Gruppen im lokalen Umfeld“[9] . Auffallend: In der Spitzengruppe finden sich also keine expliziten Aussagen zur ursprünglichen, klassischen Kernaufgabe der Bibliotheken: dem Bereitstellen und Ausleihen von Medien. Auch hier bildet nunmehr der konsequente Fokus auf die Bürger und ihre Wünsche im Bildungs- sowie Kulturbereich eine veränderte Grundlage, um sich als feste Wirkungskraft in der Kommune zu etablieren.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss die jeweilige Bibliothek allerdings eine entsprechende Strategie entwickeln! Dass es dazu auch in den USA nicht unbedingt einer Großstadtbibliothek bedarf, zeigt das Beispiel der Bellingham Public Library im Staat Washington, eine Mittelstadt mit rund 81.000 Einwohnern, die in ihrem Strategieplan ausführt „Our fresh new mission reflects the guiding principles READ, LEARN, MEET, DISCOVER and the goals focus on the library’s role in connecting our community with one another and the world.“ Die Ziele im Strategieplan wie bspw. „Create thriving spaces where the community connects, accesses library resources, and shares their stories“werden mit konkreten Maßnahmen wie der Erweiterung der Öffnungszeiten oder der Verbesserung des Personaleinsatzplans verknüpft.[10] Selbstverständlich bilden Medien weiterhin einen zentralen Baustein der Bibliotheksarbeit, aber sie befinden sich nunmehr in einem „Mehrklang“ mit anderen Angeboten wie Makerspaces, Repair Cafés, kommunalen Workshops oder einem digitalen Tonstudio. Ob die öffentlichen Bibliotheken in den USA diesen Weg vor dem Hintergrund des fundamentalen politischen Wandels ungehindert weiter beschreiten können, bleibt abzuwarten.[11]

Weiter geht die Reise: Auf nach „Down Under“! In Australien, unserer nächsten Station, gibt es seit mehreren Jahrzehnten ein ausgeprägtes Bewusstsein für die zentrale Rolle der Bibliotheken als Bildungs- und Kulturmotor in der Kommune. Das zeigt unter anderem eine Befragung der Victorian Public Libraries bei mehr als 1.300 Mitarbeitern im Netzwerk und bei deren Leiterinnen und Leitern. Gefragt nach den wichtigsten Fähigkeiten des Personals in fünf Jahren, benannten die Bibliotheksmanagerinnen und -manager mit jeweils rund 90 Prozent Zustimmung auf den ersten drei Plätzen „Community Needs Analysis“, „Community Engagement“ und „Community Relationships“[12] – ein klares Bekenntnis zur Zukunft der Bibliothek als einem Ort, an dem es (stärker als in der Vergangenheit) um den Menschen als Ausgangspunkt aller Aktivitäten geht und wo bei den Medien der Fokus auf ihrer Rolle als Mittel zum Zweck liegt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Projektleiterin für das DOKK1 in Aarhus, Marie Østergård, die Tätigkeitsbezeichnung „Head of Community Engagement“ trägt.

Ein schönes, konkretes Beispiel für die „neue Konzentration auf die Bürger“ in australischen Bibliotheken ist das Geelong Library and Heritage Centre (GLHC), das auf dem vergangenen World Library and Information Congress in Columbus/Ohio im Rennen um die „Library of the Year“ nach dem DOKK1 in Aarhus gemeinsam mit der China Town Branch der Chicago Public Library und der ebenfalls in Australien beheimateten Success Library als Zweite ins Ziel ging. Das GLHC hat für seine Kommune ein klare und eindeutige Vision entwickelt: „A strong, vibrant connected community: Enriched by reading, empowered by learning, inspired by information and ideas“.[13] Bemerkenswert erscheint an dieser Stelle besonders die Tatsache, dass die Bibliotheksstrategie hier explizit aus Sicht der Kommune (und nicht der Bibliothek) definiert wird. Dieser Prozess wurde so konsequent gestaltet, dass die Bürger im Rahmen einer Kundenbefragung ihre Wahrnehmung dieser veränderten Rolle auch deutlich artikulierten: „In particular, library users valued the library as a safe community place, being easy to get to, attracting users from all walks of life and making their life more enjoyable. Library staff are rated highly for their service, knowledge and professionalism.“[14] Eine perfekte Ausgangslage für Bibliotheksleiterin Patti Manolis, ihr Haus auch weiterhin zukunftsfest aufzustellen.

Zurück nach Deutschland – finden sich hierzulande ähnliche Beispiele wie die genannten? Fast automatisch richtet sich beim Nachdenken und bei der Suche nach guten Beispielen der Blick auf die Stadtbibliothek Köln, die im Jahr 2015 als Bibliothek des Jahres ausgezeichnet wurde. Auch hier finden sich bereits wesentliche Elemente der Bibliothek als Bürgerzentrum in der Zentralbibliothek am Haubrichhof. Neben der klassischen Medien-, Informations und Beratungsfunktion ist man hier einen ähnlichen Weg wie in Aarhus gegangen: Der Weg zum kommunalen Knotenpunkt durch konsequenten Einbezug der Bürger, beispielsweise durch neue Veranstaltungformate. Mit der Reihe „Geeks@Cologne“ ist es Bibliotheksleiterin Hannelore Vogt gelungen, die digitale Elite in ihr Haus zu holen. Alle Veranstaltungen dieser Reihe finden ohne zwingende Beteiligung der Bibliothek, mit hoher fachlicher Qualität und großem Publikumsandrang statt. Die Bibliothek lernt dabei für ihre eigenen, digitalen Angebote, nähert sich einer wichtigen Zielgruppe und kann auch vom Image her kräftig profitieren. Nach einem ähnlichen Prinzip gestaltet sich der „TravelSlam“: Reisende stellen ihre touristischen Erlebnisse im Rahmen eines Wettbewerbes vor, der beste Vortrag wird vom Publikum ausgezeichnet. Auch hier fungiert die Bibliothek als Impuls und mit ihren Räumlichkeiten als „Hebel“ für die Veranstaltung, muss aber ansonsten keinen inhaltlichen Beitrag leisten. Fazit: Mehr als 200 Teilnehmer pro Veranstaltung, eine großartige Stimmung und im Ergebnis eine hervorragende Vernetzung mit der Kölner Stadtgesellschaft. Hinzu kommen im vierten Obergeschoss der Bibliothek unter anderem ein Makerspace, ein digitales Tonstudio und die technischen Möglichkeiten für die Besucher, ihre alten, analogen Medien durch entsprechende Geräte zu digitalisieren. Es soll ausdrücklich unterstrichen werden, dass sich die Kölner Kollegen diese Vorgehensweise nicht einfach „aus dem Gelenk geschüttelt“, sondern auf Basis einer durchdachten Strategie entwickelt haben, die neben anderen Grundlagen ausschlaggebend für die Auszeichnung „Bibliothek des Jahres 2015“ war. Und auch in Deutschland ist strategisches Denken in und für Bibliotheken keinesfalls nur den „Großen“ vorbehalten. Im Projekt „Bibliothekskonzeption“ von Meinhard Motzko in Zusammenarbeit mit der ekz und ähnlichen Projekten in anderen Bundesländern haben rund 300 Bibliotheken aller Größen bewiesen, wie überzeugend und gewinnbringend eine Strategie sein kann, die in vielen Fällen auch den stärkeren Fokus auf die Bürgerbedürfnisse und die Funktion als „Knotenpunkt der Kommune“ beinhaltet.[15] Ein weiterer, wichtiger Punkt: Die Stadtgesellschaft der Zukunft in den westlichen Demokratien wird vielerorts eine Gesellschaft diverser Nationen und Herkünfte sein. Alle in diesem Text genannten Bibliotheken tragen dem mit entsprechenden Angeboten Rechnung, in Köln wurde beispielsweise am 31. Oktober 2015 als eines der vorbildlichen Projekte in Deutschland der „sprachraum“ eröffnet und fand viel positive Beachtung.[16]

Nicht sehr weit von Köln entfernt endet unsere Reise im Medienzentrum Ratingen. Dort wurde vor einiger Zeit mangels anderer Möglichkeiten der Bürgerservice der Stadtverwaltung in die Bibliothek verlagert. Konzeptionell eigentlich eine gute Idee, doch die Leiterin Erika Münster-Schröer und ihr Stellvertreter Ludger Macher sind damit nicht zufrieden: Wichtiger Platz für die bibliothekarischen Angebote ging verloren, die Bürger denken bei diesem neuen Angebot eher an Wartezeiten sowie entsprechende Verwaltungsvorgänge und haben selten Zeit, auch die Angebote der Bibliothek zu nutzen.[17] Dieses Beispiel unterstreicht die weiter oben erwähnte Notwendigkeit einer Gesamtstrategie der Bibliothek hin zu einem Knotenpunkt in der Kommune, bei dem die Stimme der Bürger (und der Bibliothek in der Politik) jederzeit gehört werden muss. Auch sind in Deutschland die Angebote im Bereich E-Government weiterhin im Anfangsstadium, die neue Vereinbarung von Bund und Ländern in diesem Bereich lässt allerdings hoffen.[18]

Was also können wir lernen von den verschiedenen spannenden Möglichkeiten, die sich beim genannten Paradigmenwandel für Bibliotheken am Horizont abzeichnen?

  1. Eine ganzheitliche Strategie sichert den Erfolg der Bibliothek auf dem Weg zu einem „kommunalen Knotenpunkt“ und unterstützt die Kommunikation mit den Bürgern sowie der Politik.

  2. Kollaboration und Partizipation tragen zur zielgenauen Ausrichtung der Bibliothek auf die Kommune und ihre Bedarfe bei. Neue Methoden wie „Design Thinking for Libraries“[19] zeigen, dass der konsequente Fokus auf den Menschen erfolgversprechend ist.

  3. Medienangebote bleiben ein zentraler Baustein der Bibliotheksarbeit. Sie werden mehr und mehr hybrid und bewegen sich auf Augenhöhe mit kommunikativen, erlebnisorientierten, ganzheitlich an Lerntypen orientierten und partizipativen Angeboten. Lese- und Sprachförderung sind und bleiben unbedingt notwendige Klassiker der Bibliotheksarbeit.

  4. Nicht nur die Bürger müssen mitgenommen werden, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Die Bereitschaft des Bibliothekspersonals zu neuem Denken, kreativer Teamarbeit und Offenheit für Technologien wie E-Books, E-Learning, Social Media oder Gaming stellen vielleicht die größte Herausforderung für einen erfolgreichen Wandel und den nachhaltigen gesellschaftlichen Erfolg von Bibliotheken dar.

  5. Erfolgreiche Bibliotheken in den westlichen Demokratien haben bereits Lösungen entwickelt, die sich in angepasster Form auch in Deutschland nutzen lassen. Der Blick über den Tellerrand – und sei es „nur“ in den Westen nach Holland und in den Norden nach Dänemark – ist außerordentlich lohnend!

Abschließend können wir zusammenfassen: Die Entwicklung hin zum „Knotenpunkt in der Kommune“ ist sowohl für kleine als auch große Bibliotheken machbar, sinnvoll und erfolgversprechend für die Positionierung im gesellschaftlichen und digitalen Wandel. Sie erfordert allerdings eine klare Strategie, ein Konzept zur Personalentwicklung und den Willen zu einer zielgerichteten sowie klaren Kommunikation durch die Bibliotheksleitung an die kommunalen Entscheider, die Bürgergeschaft und das Bibliotheksteam.

About the author

Andreas Mittrowan

Andreas Mittrowann

Bibliothekarischer Direktor, ekz.bibliotheksservice GmbH, Bismarckstr. 3, 72764 Reutlingen

Published Online: 2017-01-16
Published in Print: 2017-02-01

© 2017 by De Gruyter

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2017-0017/html
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