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Publicly Available Published by De Gruyter Saur July 10, 2018

Dokumente für die Wissensgesellschaft – Das Urheber-Wissensgesellschafts-Gesetz und die Fernleihe: Ein Schritt für die digitale Informationsversorgung der Wissenschaft?

  • Berthold Gillitzer

    Berthold Gillitzer

    EMAIL logo
    and Karin Knaf

    Karin Knaf

From the journal Bibliotheksdienst
An erratum for this article can be found here: https://doi.org/10.1515/bd-2018-0099

Zusammenfassung

Mit dem Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz wurde ein lange gehegter Wunsch nach einer „Wissenschaftsschranke“ umgesetzt. Die neuen Bestimmungen sind zwar am Bedarf von Wissenschaft und Forschung orientiert, die Einzelheiten der Regelungen sind für die Fernleihe aber in vielerlei Hinsicht noch problematisch. Dies betrifft den elektronischen Versand von Kopien an Endnutzer und die Nutzung digitaler Ressourcen. Vor allem der Ausschluss der Lieferung von Artikeln aus Zeitungen und Publikumszeitschriften erschwert die Arbeit für Teile der Wissenschaft und Bibliotheken erheblich.

Abstract

With the “Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz” (act on copyright and related rights in a knowledge-based society), a long-cherished wish for a “Wissenschaftsschranke” (limited amount of information to be used in science and education without permission of the copyright owner) has been realised. The new regulations are orientated towards the needs of science and research but details of the regulations are still problematic in many aspects as far as the interlibrary loan system is concerned, especially the electronic dispatch of copies to final users and the use of digital resources. Above all, excluding the dispatch of newspaper and journal articles makes the work for some sciences and libraries considerably more difficult.

1 Warum eine neue Schrankenregelung für die Wissenschaft?

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft, dem Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG)[1] am 1. März 2018 wurde ein im Bibliothekswesen und der Wissenschaft lange gehegter Wunsch nach einer „Wissenschaftsschranke“ umgesetzt, der ebenso lange wie hitzig zwischen den Rechteinhabern einerseits und den Vertretern von Bibliotheken, Lehre und Forschung auf der anderen Seite diskutiert wurde.

Schrankenregelungen im Urheberrecht schränken die Urheber oder andere Rechteinhaber wie Verlage, in der ausschließlichen Verfügung über ihre Werke durch ausnahmsweise gesetzlich erlaubte Nutzungen zugunsten Dritter ein. Diese dürfen die erlaubte Nutzung durchführen ohne den Urheber oder Rechteinhaber fragen zu müssen. Eigentlich soll das Urheberrecht aber gerade diese alleinige Verfügung und Verwertung der Rechteinhaber garantieren und dafür sorgen, dass nicht Andere Nutzen – vor allem wirtschaftlichen – aus dem ziehen, was ein Autor geschaffen hat. Wenn diese Rechte beschränkt werden sollen, müssen es gute Gründe dafür sein, die – einfach gesagt – ihre Legitimation im Allgemeinwohl haben. Das UrhG kennt eine ganze Reihe solcher Schranken, z. B. der elektronische Lesesaal, elektronische Semesterapparate oder auch der Kopienversand von Bibliotheken, die auch bislang schon Möglichkeiten der Dokumentbereitstellung für die Wissenschaft garantieren sollten. Diese wurden eingeführt, weil das Gedeihen der Wissenschaft von einem einfach funktionierenden Informationsfluss abhängig ist, einem der wichtigsten Rohstoffe nicht nur der Wissenschaft sondern der ganzen Wissensgesellschaft. Aus der wissenschaftlichen Arbeit entstehen wiederum Werke, also geistige Schöpfungen, aus welchen deren Urheber und Rechteverwerter wiederum wirtschaftlichen Nutzen ziehen. Die Dokumentlieferung der Bibliotheken ist also ein Teil im Kreislauf wissenschaftlicher Wertschöpfung.[2] All diese Schranken und Regelungen waren nach und nach entstanden, sollten zum Teil festgestellte Gesetzeslücken schließen oder einem aktuellen Regelungsbedürfnis durch die technische Weiterentwicklung insbesondere durch die Digitalisierung gerecht werden. Das hatte zum einen eine komplizierte und kleinteilige Gesetzesstruktur zur Folge, die die Anwendung und Auslegung des Urheberrechts für die Bedürfnisse der Wissenschaft aufwändig und unsicher machte. Die Regelungen, stets reaktiv auf mehr oder weniger kurzfristige Anforderungen entstanden, wurden aber zum anderen auch dem Bedarf von Wissenschaft und Lehre im digitalen Zeitalter nicht wirklich gerecht.[3] Als Beispiel sei hier nur das Text und Data Mining genannt, eine wichtige Methode vor allem in den Digital Humanities, die es gestattet, mit computerlinguistischen Werkzeugen, inzwischen auch auf maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz aufbauend, aus ganzen Textkollektionen Informationen zu entnehmen, die wissenschaftliche Erkenntnisse oder auch nur eine vertiefte Erschließung ermöglichen und damit diese Texte auch in einer neuen Weise zugänglich machen. Obwohl vermutlich in den meisten Fällen durch eine solche Verarbeitung der Texte den Rechteinhabern kein wirtschaftlicher Schaden entsteht – schließlich werden die von ihnen verwerteten Texte damit auch besser gefunden –, gab es keine gesetzlich vorgesehene Möglichkeit für die Wissenschaften und Bibliotheken, die Dokumente aus ihren eigenen Sammlungen entsprechend zu nutzen, sofern sie nicht urheberrechtsfrei waren. Die Zeit war hier schlicht über das bestehende Urheberrecht technisch hinweg gegangen, ein Prozess, der sicherlich noch oft passieren wird.

Der Wunsch nach einer Schrankenregelung, die die Bedürfnisse der Wissenschaft und deren gesamtgesellschaftliche Relevanz in den Blick nimmt, war dementsprechend groß und ebenso die damit verbundenen Erwartungen an eine solche Schrankenregelung.

Bei der Schaffung der „Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ setzte der Gesetzgeber auf konkrete Tatbestände und den Verzicht auf Generalklauseln, um die Anwendbarkeit zu erleichtern. In der Folge entstanden die neuen Erlaubnistatbestände, die nach Anwendergruppen gegliedert sind und so eine begrüßenswerte einfachere praktische Anwendung erlauben. So gibt es jetzt erstmalig mit § 60e UrhG eine Vorschrift, die regelt, was Bibliotheken erlaubt ist. Aber auch Regelungen der Nutzungen für Unterricht und Lehre (§ 60a UrhG), der wissenschaftlichen Forschung (§ 60c) oder das Text und Data Mining (§ 60d UrhG) wurden getroffen.

Ob diese neuen Regelungen trotz besserer Struktur ausreichen? Fraglich. In der Wirklichkeit entstehen die konkreten Ausgestaltungen der gesetzlichen Regelungen immer in einem mehr oder weniger mühsamen Prozess der Kompromissfindung, da nicht nur die Erwartungen der Wissenschaft groß sind, sondern auch die Ängste der Rechteinhaber vor dem Verlust der Verfügungsgewalt über ihre Schöpfungen und dem damit möglicherweise verbundenen (wirtschaftlichen) Schaden. Damit werden die Bestimmungen im Detail nicht selten schwierig handhabbar oder führen zu Kompromissen, die nicht geeignet sind, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen.

Noch für eine ganze Weile wird um die richtige Auslegung des Urheber-Wissensgesellschafts-Gesetzes gerungen werden, aber schon jetzt hat es den Anschein, dass diese Probleme im Detail wichtige Bereiche der gesamten gesetzlichen Neuregelung betreffen. Im Folgenden soll das exemplarisch für den Bereich der Fernleihe dargelegt werden.

2 Die Fernleihe im UrhWissG

Der Begriff der Fernleihe wird im UrhWissG, welches jetzt als Unterabschnitt 4 ins UrhG Eingang gefunden hat, wie übrigens im gesamten Urheberrecht, nirgends erwähnt. Geregelt wird die Fernleihe aber dennoch: Maßgeblich ist § 60e Abs. 5 UrhG, der den bisherigen § 53a UrhG ersetzt, in dem es um die Übermittlung von Vervielfältigungen durch Bibliotheken an Nutzer geht. Es gibt im UrhG also keinen Unterschied zwischen einer kostenpflichtigen Direktlieferung von Kopien durch Bibliotheken und der Fernleihe, für letztere (eine inzwischen schon sehr alte und im Bibliothekswesen tief verwurzelte Dienstleistung) auch keine besondere Privilegierung. Schaut man zunächst auf die Struktur des neuen Gesetzes und die Regelung im Ganzen, erscheint sich eine deutliche Vereinfachung zu ergeben, genauso wie ein erweiterter Handlungsspielraum für die Bibliotheken: Während bisher § 53a UrhG kompliziert auf § 53 UrhG Bezug nahm und die Versandhandlung der Bibliothek an einen privilegierten Zweck des Nutzers gebunden wurde, regelt § 60e Abs. 5 UrhG den Kopienversand von Bibliotheken eigenständig. Als größte Errungenschaft aus der Warte der Bibliotheken und ihrer Nutzer darf gelten, dass die komplizierten Bestimmungen aus § 53a UrhG bezüglich Format und Lieferweg bei der elektronischen Lieferung weggefallen sind, genauso wie nun nach § 60 Abs. 1 UrhG auch lizenzierte elektronische Dokumente als Grundlage für den Kopienversand in der Fernleihe genutzt werden können.

Die Regelung zur Lieferung von Kopien durch Bibliotheken ist im Gesetz knapp in einem Satz zusammengefasst:

„(5) Auf Einzelbestellung an Nutzer zu nicht kommerziellen Zwecken übermitteln dürfen Bibliotheken Vervielfältigungen von bis zu 10 Prozent eines erschienenen Werkes sowie einzelne Beiträge, die in Fachzeitschriften oder wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind.“

Schaut man nun im Detail auf diese Bestimmung, vor allem auch in ihrer Einbettung in den Kontext der gesamten Neuregelung, ergeben sich eine Reihe von Schwierigkeiten, die im Folgenden erläutert werden sollen.

2.1 Begrenzung der Lieferung von Kopien auf Einzelbestellung aus einem erschienenen Werk auf 10 %

Die Lieferung von Kopien aus erschienen Werken, also aus Monographien ist nun klar gesetzlich auf 10 % des Umfangs beschränkt. Einzelne Beiträge aus Fachzeitschriften oder wissenschaftlichen Zeitschriften dürfen, so wie bislang auch, unabhängig vom Anteil am gesamten Umfang geliefert werden. Bislang war eine solche konkrete Umfangsbegrenzung nicht in dieser Form gesetzlich verankert, die Lieferung vielmehr auf den unbestimmten „kleinen Teil“ eines erschienen Werkes festgelegt. Im Gesamtvertrag „Kopiendirektversand“ wurden diese kleinen Teile mit 15 % des Werkes angegeben, in Kommentaren und Gerichtsurteilen wurden die kleinen Teile mit einer ganzen Bandbreite zwischen 10 % und 20 % gehandelt. Durch die klare gesetzliche Einschränkung auf den bislang untersten Auslegungswert von 10 % erhält diese Bestimmung eine neue Qualität. Sie erlaubt keine Auslegung und ist zwingend von den Bibliotheken einzuhalten. Es ist beim Bestellvorgang derzeit technisch nicht realisierbar, anhand der bibliographischen Informationen und der Bestellangaben des Nutzers zu prüfen, ob mit der Kopienbestellung der zulässige Bestellumfang überschritten wird. Der Umfang muss von der gebenden Bibliothek also genau überprüft werden. Zugleich müssen die Nutzer schon bei der Bestellung von Kopien aus Büchern möglichst verständlich auf diese Begrenzung hingewiesen werden, um die Zahl der nicht erfüllbaren Bestellungen und Rückfragen zu reduzieren. Wünscht der Nutzer eine Lieferung, die nicht mit dieser Grenze zu vereinbaren ist, kann die Bibliothek ersatzweise das ganze Buch zur Entleihung verschicken, was dem Bestandsschutz nicht zuträglich, aber oft die einzige Lösung ist. Grundsätzlich sieht das Gesetz vor, dass mit einer Bestellung nur 10 % geliefert werden dürfen. Da für jede Lieferung dann eine Tantieme als gerechter Ausgleich für den Rechteinhaber anfällt, läge der Gedanke nahe, dass der Nutzer für Kopienlieferungen größeren Umfangs eben mehrere Bestellungen absetzen müsste. Z. B. bis zu dem Umfang, in der er selbst die Kopien etwa nach § 60 c Abs. 2 UrhG (Wissenschaftliche Forschung) für sich anfertigen dürfte – hier 75 %. Dies wird allerdings aktuell als unzulässige kumulative Bestellung und Umgehung der Vorschrift zu betrachten sein. Ob sich diese Auffassung, vielleicht auch in der Folge klärender Tantiemeverhandlungen ändern wird, ist nicht abzusehen. Derzeit muss sich der Nutzer strikt auf die 10 % beschränken; sofern nicht ersatzweise das ganze Buch zur Ausleihe verschickt werden kann, muss eine Bestellung abgesagt werden oder der Nutzer muss eine Bibliotheksreise antreten.

Auch Lieferungen aus digitalen Ressourcen können in dieser Hinsicht problematisch sein, da elektronische Dokumente normalerweise von den Verlagen nicht in 10 %igen Portionen zur Verfügung gestellt werden. Hier ist entweder eine aufwändige Nachbearbeitung für die Auslieferung notwendig oder auch solche Bestellungen müssen abgesagt werden. Sinnvoller wäre es hier gewesen, wenn z. B. die Lieferung einzelner Kapitel erlaubt worden wären.

2.2 Neuerungen im Digitalen

Als die größte Errungenschaft des UrhWissG für die Fernleihe wird die Tatsache betrachtet, dass es in § 60e Abs. 5 UrhG für die Lieferung in sonstiger elektronischer Form (Zustellung einer Kopie als digitales Dokument im Mailanhang oder als Download) keine verklausulierten Beschränkungen mehr gibt, wie sie in § 53a zu finden waren. Die zweite allgemein begrüßte Neuerung betrifft die Vorlage. Es werden keine Einschränkungen im Hinblick auf die Vorlage, ob analog oder digital vorgenommen. Flankiert wird die Regelung mit § 60g UrhG, der festlegt, dass diesbezügliche vertragliche Vereinbarungen gegenüber der gesetzlichen Regelung nachrangig sind, soweit sie nicht ausschließlich im vorliegenden Fall den Kopienversand zum Vertragsgegenstand haben. Das Verbot von Fernleihe oder Dokumentlieferung in Lizenzverträgen könnte somit nicht dafür herangezogen werden, Fernleihlieferungen aus lizenzierten elektronischen Zeitschriften zu untersagen. Auf den ersten Blick scheint es so, als könnten nun alle E-Zeitschriften für die Kopienlieferung im Leihverkehr herangezogen werden, unabhängig von der jeweiligen Regelung im Lizenzvertrag, die bislang als Grundlage für solche Lieferungen diente und nur in ca. 10 % der Fälle die elektronische Belieferung des Endkunden gestattete. Die elektronische Belieferung des Endkunden könnte damit in der Fernleihe endlich der Regelfall sein. Der facto wird dieses wünschenswerte Ergebnis aber nicht erreicht. Einerseits gibt es Verträge, wie die Vereinbarung von Subito mit den Verlagen, die eben nichts anderes regeln als ausschließlich die Kopienlieferung der Mitgliedsbibliotheken und damit vorgehen, andererseits ist zu bedenken, dass die Regelung erst seit 1. März 2018 gilt, es aber viele Verträge gibt, die früher abgeschlossen worden sind.

Damit zeigt sich die gravierende Problematik, die sich aus der Übergangsregelung des § 137o UrhG ergibt: Danach gilt § 60e UrhG nur für Neuverträge ab dem 1. März 2018. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes liegen solche Verträge kaum vor und diese werden erst nach und nach geschlossen. Ob einfache Vertragsverlängerungen (egal ob automatisch oder in einer expliziten Form) als Neuverträge zu bewerten sind, sofern sich mit der Verlängerung nicht auch der Vertragsgegenstand ändert – z. B. durch ein erweitertes E-Book-Paket oder einen veränderten Lizenzzeitraum bei Zeitschriften – ist fraglich und jeweils im Detail zu prüfen. Damit bleiben jedoch faktisch für einen längeren Zeitraum die Lieferungen aus elektronischen Ressourcen von den entsprechenden Lizenzvereinbarungen abhängig. Hinzu kommt die Frage, wie sich eine mögliche Rechtswahlvereinbarung bzw. eine Vereinbarung zur Geltung ausländischen Urheberrechts in den Lizenzverträgen auf die Möglichkeit der Nutzung gesetzlicher Schranken auswirkt. Optimalerweise sollte nicht nur die Rechtswahl für deutsches Recht, sondern auch für deutsches Urheberrecht im Vertrag explizit geregelt sein, damit davon ausgegangen werden kann, dass die Schrankenregelung des deutschen Urheberrechts auch greift.

Die Lieferung aus elektronischen Ressourcen wird deshalb weiterhin zunächst auf der Basis der in der EZB dafür vorgehaltenen Informationen erfolgen müssen. Bei Neuverträgen wird man entsprechend der gesetzlichen Möglichkeiten in der Regel die elektronische Lieferung an den Endkunden eintragen können, was aber nur nach und nach zu einer Ausweitung dieser Liefermöglichkeit führen wird. Dadurch ergibt sich für die Fernleihe nach dem neuen Recht ein paradoxes Bild: Aus Printzeitschriften kann der Nutzer komfortabel und schnell elektronisch beliefert werden. Wird jedoch die elektronische Vorlage genutzt erhält er in den allermeisten Fällen weiterhin nur Papier.

Für den Anfang muss aber jetzt auch die elektronische Lieferung aus der Printvorlage in der Fernleihe ausgesetzt werden, weil dafür keine geeignete Regelung im Rahmen eines Gesamtvertrags mit der VG Wort vorhanden ist.

2.3 Der Ausschluss kommerzieller Nutzung

In § 60e Abs. 5 UrhG ist festgelegt, dass die Lieferung nur zu nicht kommerziellen Zwecken erfolgen darf. Auch der bisherige § 53a UrhG, der durch § 60e Abs. 5 UrhG abgelöst wird, sah eine Differenzierung zwischen kommerzieller Nutzung und nicht kommerzieller Nutzung hinsichtlich der Lieferung in sonstiger elektronischer Form vor. Diese spielte aber in der Fernleihe bislang keine Rolle, weil keine Lieferung in sonstiger elektronischer Form erfolgte. Die neue Begrenzung würde die Bibliotheken vor große Probleme stellen, wenn der Ausschluss des kommerziellen Zwecks über die Zuordnung der Besteller zu Nutzergruppen sichergestellt werden müsste. Nur in den wenigsten Bibliotheken sind für kommerzielle Nutzer eigene Nutzergruppen eingerichtet, die Fernleihsysteme auf die Auswertung von Nutzergruppeninformationen technisch auch nicht ausgelegt. Eine entsprechende Änderung der Technik und eine manuelle Nachbearbeitung aller Nutzer hätte unübersehbare Aufwände zur Folge. Die Bibliotheken sind deshalb aktuell für diese Regelung den Weg gegangen vom Benutzer zwingend eine Selbstauskunft über den nichtkommerziellen Zweck seiner Bestellung in den Bestellsystemen zu verankern, was als ausreichend gelten dürfte. Dies wurde in allen Bibliotheksverbünden einheitlich zum Inkrafttreten des Gesetzes umgesetzt.

Als problematische Folge der Regelung ist anzumerken, dass damit für kommerzielle Nutzer im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch die Lieferung von Material unzulässig ist, für das es gar kein anderes Angebot als die Dokumentbereitstellung von Bibliotheken gibt, vor allem kein konkurrierendes Angebot der Rechteinhaber wie z. B. der Verlage. Hinzu kommt die Tatsache, dass die neuen Regelungen des § 60e nur öffentlich zugängliche Bibliotheken trifft, die selbst keinen kommerziellen Zweck verfolgen. Kommerzielle Bibliotheken oder kommerzielle Dokumentlieferdienste arbeiten weiterhin auf Basis des noch gültigen § 53 UrhG, der keine entsprechende Einschränkung vorsieht. Sie dürfen also noch immer auch kommerzielle Kunden im gesetzlichen Rahmen beliefern. Dabei bleibt die Tatsache bestehen, dass eine Vielzahl vornehmlich älterer Dokumente nur bei öffentlichen nicht kommerziellen Bibliotheken erhältlich sein werden.

Der einzig gangbare Ausweg ist hier eine vertragliche Regelung, die Bibliotheken von dieser Begrenzung freistellt und wie sie z. B. von subito für deren Mitgliedsbibliotheken im Rahmen des Dokumentlieferdienstes erreicht wurde oder wie sie auch der neue Tarif der VG Wort für den Kopiendirektversand der Bibliotheken in Deutschland vorsieht. Aus der Fernleihe bleiben kommerzielle Nutzer für die Belieferung mit Kopien allerdings ausgeschlossen.

2.4 Wissenschaftliche- und Fachzeitschriften

Der wohl schwerwiegendste Eingriff in die bislang üblichen Liefermöglichkeiten wurde erst in letzter Minute mit der Empfehlung des Rechtsausschusses eingebracht. Hieß es im Referentenentwurf noch, dass einzelne Beiträge, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen sind, geliefert werden dürfen, erfolgte mit dem verabschiedeten Gesetz hier ein signifikanter Eingriff in die bisherige Praxis. Nun wird die Liefermöglichkeit auf Beiträge aus Fachzeitschriften oder wissenschaftlichen Zeitschriften eingeschränkt. In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucksache 18/13014)[4] wird zur Begründung auf die besondere Situation der Tages- und Publikumspresse abgehoben, die sich, anders als Fachzeitschriften und wissenschaftliche Zeitschriften, allein aus ihrem eigenen Geschäftsmodell finanzieren müssten und damit darauf angewiesen seien, dass ihre Inhalte vollständig nur auf Lizenzbasis genutzt werden können. Vom Grundsatz her ist die Argumentation verständlich: Zeitungen und die in den Kommentaren des DBV sogenannten Kioskzeitschriften sind mit ihren niedrigen Kosten je Exemplar oder pro elektronischem Zugriff auf eine breite Kundenschicht angewiesen, die nicht dadurch wegfallen darf, dass die Inhalte frei durch öffentliche Institutionen konkurrierend bereitgestellt werden. Die Annahme, dass die Lieferdienste der Bibliotheken, egal ob durch Fernleihe oder Direktlieferdienste hier tatsächlich eine relevante wirtschaftliche Bedrohung für die Verlage darstellen, muss aus den Erfahrungen der letzten Jahre durchaus bezweifelt werden. Ein Artikel, der am Kiosk noch erhältlich oder online beim Verlag (mit oder ohne Entgelt) abrufbar war, wurde in aller Regel gar nicht bestellt und, falls er bestellt wurde, fast kaum je geliefert. Von daher könnte man die gegenwärtige Regelung als unproblematisch betrachten, beträfe sie nicht unterschiedslos auch die gesamte vergriffene Produktion in diesem Bereich, die der Wissenschaft über die Verlage grundsätzlich gar nicht zugänglich gemacht werden kann. Vor allem in der geisteswissenschaftlichen, insbesondere der historischen und soziologischen Forschung, sind diese Dokumente ein unverzichtbarer Forschungsgegenstand, der nun nur noch vor Ort in der Bibliothek eingesehen werden kann. Angesichts des oben dargestellten Umstands, dass hier ohnehin keine relevante Konkurrenz zwischen Bibliotheken und Verlagsangebot vorhanden war, hat dies aus Warte der Wissenschaft absurde Konsequenzen. Ein Forscher müsste nun für die Einsichtnahme eines einzigen Artikels oder eine Kopie von demselben tatsächlich ggf. eine Bibliotheksreise antreten, falls nicht der gesamte Zeitungsband zur Entleihung versandt werden kann. Dass aus der genannten Regelung nicht wenigstens die vergriffene Verlagsproduktion ausgenommen wurde, ist unverständlich und hat Konsequenzen, die nun aber die Wissenschaft tragen muss. Selbst die Bereitschaft, hier zu vertraglichen Regelungen mit den Rechteinhabern zu kommen, wird kaum zu einer Lösung führen. Vom unleistbaren Aufwand abgesehen, mit einer Vielzahl von Verlagen entsprechende Verträge zu schließen, wären oftmals auch die Rechteinhaber kaum zu ermitteln. Kleinere Lokalpresse wurde teilweise eingestellt, ohne dass die Rechtsnachfolger bekannt wären usw. Möglicherweise könnten Freistellungen im Rahmen einer Regelung mit der VG Wort im Gesamtvertrag hier helfen. Ob es dazu kommt, ist aber noch ungewiss.

In der bibliothekarischen Alltagspraxis kommt noch das Problem der Abgrenzung der lieferbaren Artikel von den urheberrechtlich ausgeschlossenen Dokumenten dazu. Eine feste Liste der Zeitungen und Publikumszeitschriften, die auch in einem auswertbaren bibliothekarischen Katalogsystem verankert wäre, gibt es derzeit nicht. Schon bei der Bestellung können diese Bestände also nicht ausgeschlossen werden. So bleibt es eine Aufgabe für den Fernleihbibliothekar, aus den vorliegenden Bestellungen diese Bereiche intellektuell herauszufiltern. Nach und nach werden Arbeitshilfen in Form von Listen bereitgestellt und auch an zentrale katalogtechnische Verfahren wird gedacht. Grundsätzlich verbleibt bei den Mitarbeitern der Fernleihe aber die Aufgabe, darauf zu achten, dass nur Artikel aus Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Zeitschriften geliefert werden. Rein inhaltliche oder formale Kriterien, die die Wissenschaftlichkeit oder fachliche Relevanz eines Artikels oder einer Zeitschrift betreffen, helfen hier alleine aber auch nicht weiter und die Entscheidung muss auf der Basis der Einschätzung einer Zeitschrift als Kioskzeitschrift erfolgen.

Sofern eine Bestellung als in diesen Bereich fallend festgestellt wird, wird der Nutzer auf das entsprechende Verlagsangebot verwiesen, falls hier der gewünschte Artikel z. B. online noch erhältlich ist. In einzelnen Fällen kann auch ein ganzer Zeitungs- oder Zeitschriftenband oder eine mikroverfilmte Ausgabe davon zur Entleihung verschickt werden. Aber schon dies ist vor allem bei Zeitungen aus konservatorischen Gründen nur dringenden Ausnahmefällen vorbehalten und oftmals gar nicht möglich. Eine ebenso nur Ausnahmefällen vorbehaltene Lösung kann auch die Erstellung einer Kopie des ganzen Bandes oder wenigstens des ganzen Heftes zur Entleihung sein, was nach § 60e Abs. 2 UrhG nun möglich ist. Der Aufwand hierfür ist sehr groß und nur selten zu rechtfertigen. Gegenwärtig müssen daher Bestellungen auf diesen Bestand in den meisten Fällen zum Nachteil der betroffenen Wissenschaftler abgesagt werden, auch wenn sie sonst gar nicht erhältlich sind.

2.5 Vergütungspflicht – Tantiemenverhandlungen

Den Rechteinhabern steht nach wie vor für Nutzungen im Rahmen des § 60e UrhG eine Vergütung zu, die über die Verwertungsgesellschaften geltend zu machen ist (§ 60h UrhG). Positiv ist dabei hervorzuheben, dass hierfür grundsätzlich nach § 60 h Abs. 3 UrhG eine pauschale Vergütung oder eine repräsentative Stichprobe für die Berechnung der nutzungsabhängigen Vergütung genügt. Aber: Gerade die Nutzungen nach § 60e Abs. 5 UrhG, zu denen die Fernleihe gehört, sind davon leider ausdrücklich ausgenommen (§ 60h Abs. 3 Satz 2 UrhG). Hier ist ggf. bei Neuverhandlungen mit höheren Kosten zu rechnen. Zudem könnte auch für die Fernleihe, anders als bisher, eine Einzelfallabrechnung drohen.

Eine weitere Konsequenz wurde schon angedeutet: Die VG Wort und die Verlage sehen die elektronische Belieferung des Endkunden nur durch den Gesamtvertrag zum Kopiendirektversand bzw. durch den dazu momentan von der VG Wort bestimmten Tarif abgedeckt, nicht aber durch den bestehenden Gesamtvertrag zum innerbibliothekarischen Leihverkehr. Lieferungen im Rahmen der Fernleihe können aber aktuell schon aus technischen Gründen nicht über den Vertrag zum Kopiendirektversand abgerechnet werden. Das hat bislang die Aufnahme der elektronischen Lieferung an den Endkunden in der Fernleihe verhindert, obwohl sonst die technischen und organisatorischen Voraussetzungen dafür vorhanden sind.

Es kann daher nur appelliert werden, die Verhandlungen zu den Gesamtverträgen zu nutzen, um die bestehenden Defizite der Regelung zugunsten einer funktionierenden, dem Gedanken der Wissensgesellschaft verpflichtenden Lösung auszugleichen: als wirklich erfolgreich können die Tantiemeverhandlungen zum innerbibliothekarischen Leihverkehr nur dann betrachtet werden, wenn die Bestimmungen eine rationelle Abwicklung im Sinne einer Pauschalvergütung durch Bund und Länder wie bisher gestatten; zugleich sollten zur Nutzung von vergriffenen Zeitungen und Publikumszeitschriften sowie durch Regelungen zur kommerziellen Nutzung die deutlichen Schwächen des neuen Urheberrechtes in diesem Bereich ausgeglichen werden und auch die elektronische Belieferung des Endnutzers berücksichtigen.

3 Fazit

Die lange erwarteten neuen Regelungen im Urheberrecht sind erfreulicherweise in ihrer Ausrichtung am Bedarf von Wissenschaft und Forschung orientiert. Die Einzelheiten der Regelungen zum Kopienversand sind für die Fernleihe aber zumindest zur Zeit noch nicht hilfreich: Die zwar gute Absicht führt nicht zu Erleichterungen sondern zu Behinderungen. Von der Möglichkeit der elektronischen Belieferung des Endkunden kann mangels eines gültigen Tarifvertrags, der dies berücksichtigt, praktisch noch nicht Gebrauch gemacht werden. Und selbst wenn eine solche Regelung vorhanden ist, wird sie in der Praxis technisch aufwändig und für den Nutzer nur schwer durchschaubar umzusetzen sein – dank der komplizierten Regelungen zur Lieferung aus elektronischen Dokumenten. Die Einschränkungen auf 10 % eines erschienenen Werks, der Ausschluss kommerzieller Nutzer und der pauschale Ausschluss von Zeitungen und Publikumszeitschriften führen zu deutlichen Einschränkungen gegenüber der bisherigen Praxis. Wie immer man die übrigen Regelungen für die Wissenschaft einschätzen mag: für die Fernleihe bedeuten die neuen Bestimmungen nicht nur keinen großen Wurf, sondern momentan in vielerlei Hinsicht sogar einen Rückschritt.

About the authors

Berthold Gillitzer

Berthold Gillitzer

Karin Knaf

Karin Knaf

Published Online: 2018-07-10
Published in Print: 2018-07-26

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Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2018-0072/html
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