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Publicly Available Published by De Gruyter Saur January 15, 2019

Die Göttinger Urheberrechtstagung 2018

13. November 2018 in Göttingen

  • Eric W. Steinhauer
From the journal Bibliotheksdienst

Die im Jahr 2007 zum Ende der Debatte um den Zweiten Korb der Urheberrechtsreform, in dem es unter anderem um den elektronischen Leseplatz (§ 52b UrhG a.F.), die Dokumentlieferung durch Bibliotheken (§ 53a UrhG a.F.) oder um eine für den grünen Weg des Open Access problematische nachträgliche Regelung unbekannter Nutzungsarten (§ 137l UrhG) ging, ins Leben gerufene Urheberrechtstagung gehört mittlerweile zu den festen Terminen im Jahreslauf für alle, die sich für digitale Dienstleistungen in Bibliotheken interessieren. Nicht nur die Themen sind jedes Jahr aufs Neue interessant, die verschiedenen Teilnehmer aus Bibliotheken, Verlagen und Wissenschaft pflegen zudem eine muntere Debattenkultur.

Die sehr gut besuchte Tagung 2018 konnte an die ersten Anfänge der Göttinger Tagung insoweit anknüpfen, als wieder eine für Bibliotheken wichtige Gesetzesreform in ihren Auswirkungen zu diskutieren war, nämlich das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG). Darüber hinaus wurden von den sieben Referenten aber auch noch andere aktuelle Themen angesprochen.

Zu Beginn widmete sich der Berliner Emeritus Artur-Axel Wandtke ganz allgemein „Neuste[n] Entwicklungen im Urheberrecht“. So sehe er das Urheberrecht seit längerer Zeit unter einem enormen, durch die Digitalisierung ausgelösten Reformdruck. Wandtke beklagte, dass es der Politik hier an Visionen und echtem Gestaltungswillen fehle. Fast könne man von einem Sinnvakuum im Urheberrecht reden. Nicht zielführend sei es zudem, das Urheberrecht von seinen persönlichkeitsrechtlichen Aspekten zu entkleiden und rein ökonomisch aufzufassen. Zudem sei Urheberrechtspolitik auch Bildungspolitik. Wandtke sah auch die Gefahr, dass menschliche Kreativität durch Technik ersetzt zu werden drohe. Im weiteren Verlauf seines Vortrags ging er exemplarisch auf vier Problembereiche ein. Zuerst zeigte er die Probleme des heutigen Werkbegriffs auf, der durch immer neue technische Möglichkeiten herausgefordert werde. Sodann forderte er eine europäische Richtlinie auch für den Bereich der Persönlichkeitsrechte, auch um der Überbetonung des Ökonomischen im Urheberrecht zu begegnen. Sodann solle durch ein europaweites Urhebervertragsrecht die angemessene Vergütung von Urheberinnen und Urhebern gesichert werden. Schließlich müsse ein europäisches Haftungssystem dafür sorgen, dass Urheberrechte besser geachtet werden. In diesem Zusammenhang sprach sich Wandtke für eine doppelte Lizenzgebühr bei Urheberrechtsverletzungen aus. Für ihn war es auch selbstverständlich, dass Autoren und Verlage weiterhin in einer einzigen Verwertungsgesellschaft miteinander zusammenarbeiten und dass Verlage selbstverständlich einen Anteil an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaft haben sollten.

Einen aktuellen Überblick zu laufenden politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen auf dem Gebiet des Urheberrechts gab Matthias Schmid vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Hier war zunächst die DSM-Richtlinie (Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt) zu erwähnen, die sich gerade in den Trilog-Verhandlungen befindet und deren Verabschiedung auch auf Bibliotheken und ihre Dienstleistungen Auswirkungen haben wird. Zu nennen wären hier u. a. Regelungen zu Text- und Datamining oder zu vergriffenen Werken. Auch soll ein EU-Pflichtexemplarrecht eingeführt werden. Sollte es bis zur Europawahl noch zu einer Verabschiedung der Richtlinie kommen, sei mit einer Umsetzung bis 2021 in deutsches Recht zu rechnen. Ähnlich wie Wandtke sah auch Schmid keinen echten Gestaltungswillen beim europäischen Gesetzgeber. Als Folge dieser gesetzgeberischen Zurückhaltung werde der EuGH mit seiner Rechtsprechung mehr und mehr zu einer Art Ersatzgesetzgeber. Für die Bundesebene berichtete Schmid von der fast abgeschlossenen Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie über einen verbesserten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken zugunsten von Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung. Weiterhin sei als Folge der Verabschiedung des UrhWissG nunmehr ein Dialogprozess zu Lizenzierungsplattformen zwischen Wissenschaft, Bibliothek und Verlagen angelaufen mit dem Ziel, die Arbeitsweise des jeweils anderen zu verstehen und vor diesem Hintergrund in den nächsten fünf Jahren zu einer alle Interessen möglichst berücksichtigenden Lösung des Verhältnisses von Lizenzangeboten und Schrankennutzungen im Urheberrecht zu finden. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt sei zudem das E-Lending in Öffentlichen Bibliotheken, das nach der Rechtsprechung des EuGH zwar zulässig, hierzulande aber noch nicht gesetzlich als verbindliches Recht eingeführt ist. Zudem müsse die Frage der Verlegerbeteiligung an den Einnahmen der VG Wort geklärt werden, die in der DSM-Richtlinie ja wieder eingeführt werden soll. Abschließend resümierte Schmid, dass viele Fragen des Urheberrechts in der digitalen Welt immer noch ungeklärt seien und die urheberrechtspolitische Diskussion die sozialen Realitäten leider zu wenig in den Blick nehme.

Mit den geplanten Regelungen zum Text-Datamining in der DSM-Richtlinie befasste sich Maria Elisabeth Rehbinder von der Aalto-Universität in Helsinki. Sie ist auch für LIBER Association of European Research Libraries tätig. Rehbinder konnte eindrucksvoll aufzeigen, dass das europäische Urheberrecht hier ein viel zu kleinteiliges Schutzniveau habe, das zunehmend hinderlich für technische Innovationen sei. So könnte zwar die wissenschaftliche Forschung recht gut arbeiten, kommerzielle Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) etwa könnten derzeit nur in Asien oder in den USA wirklich vorankommen, da ein Training von KI etwa durch frei zugänglich Online-Inhalte an fehlenden Schrankenbestimmungen für die Industrie scheitert. In diesem Zusammenhang betonte sie auch, dass das Vervielfältigungsrecht im europäischen Rechtskreis zu weitgehend verstanden werde, wodurch sich nachfolgend viele unnötige Schrankenkonflikte ergeben, die in andern Jurisdiktionen in dieser Form gar nicht existieren.

Der Verfasser gab einen Überblick zum neuen Urheberrecht und seine Auswirkungen in den Bibliotheken. Im Detail sei das Recht doch nicht so klar und einfach anzuwenden, wie es eigentlich Absicht des Gesetzgebers war. Illustriert wurde dies an dem in § 60e Abs. 5 UrhG durch massives Lobbying der Presse eingeführte Verbote, aus Zeitungen und Kioskzeitschriften Kopien im Rahmen der Fernleihe und der Dokumentlieferung durch Bibliotheken zu übermitteln. Es konnte gezeigt werden, dass solche Kopien mit guten Gründen auch nach der neuen Rechtslage weiterhin möglich seien, sofern sie analog erfolgen und verschickt werden. Bibliotheken können sich hier auf den sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 Abs. 2 S. 1. Nr. 4a UrhG berufen, der bis zum Erlass des Zweiten Korbes die auch höchstrichterlich akzeptierte Grundlage für die Fernleihkopie war. Abschließend gab es ein Plädoyer für eine Urheberrechtsform mit Augenmaß. Ein bürokratisches und kompliziertes Urheberrecht führe am Ende nur dazu, dass Lehre und Forschung an den Hochschulen auf vermehrt freie Netzinhalte auswichen. Gerade Verlage könnten hier am Ende nur verlieren.

Robert Staats, der Geschäftsführer der VG Wort, schilderte die Reform des UrhWissG aus Sicht der Verwertungsgesellschaft. Er ging die einzelnen Normen durch und zeigte auf, wo aktuell Verhandlungsbedarf für neue Tarife oder Tarifanpassungen bestehe. In seinem Beitrag machte Staats deutlich, dass er eine möglichst einzelfallbezogene Vergütung, der der Gesetzgeber gerade jedoch eine Absage erteilt hat, für die gerechteste und beste Lösung halte. Zudem sprach er sich für eine Wiedereinführung der Verlegerbeteiligung aus. Was die Höhe einer angemessenen Schrankenvergütung betrifft, so solle sich diese an den marktüblichen Lizenzpreisen orientieren. Ob freilich mit diesem Vergütungsmaximalismus noch eine vernünftige Schrankenpolitik möglich sei, stehe auf einem anderen Blatt und sei kritisch angemerkt. Die vergütungsfreie (!) Fair-Use-Doktrin in den USA zeige freilich, dass auch ganz andere Nutzungsmodalitäten denkbar sind.

Mit Stanislaus Jaworski konnte ein auf Urheberrecht spezialisierter Rechtsanwalt für einen spannenden Vortrag zu dem etwas trocken formulieren Thema „Praxisprobleme in der Rechtsdurchsetzung“ gewonnen werden. Im Kern ging es um die Frage, wie man wirkungsvoll gegen Piraterie-Seiten vorgehen kann. Ein direktes Vorgehen gegen die meist im Ausland sitzenden Betreiber sei aussichtslos. Auch ein möglicherweise abschreckendes Vorgehen gegen die Konsumenten und Nutzer dieser Seiten sei wenig erfolgversprechend, zumal beim reinen Streaming die Nachverfolgung sehr schwer sei. Da Webseiten sehr schnell ihren Standort wechseln können, sei auch ein Vorgehen gegen den Hostprovider wenig sinnvoll. Jaworski erläuterte recht anschaulich das Geschäftsmodell von Piraterie-Seiten, die gerade durch Werbung gute Einnahmen erzielen können. Je seriöser die Werbung sei, desto mehr Besucher könne eine Seite anziehen, da sie damit einen legalen Anstrich bekomme. Wenn man hier gegen seriöse Werbende, die meist über irgendwelche Agenturen auf die Piratenseiten geschaltet werden, vorgehe, so könne man die Rentabilität der betreffenden Seite erheblich beeinträchtigen, was einige Seiten sogar schon zum Verschwinden gebracht hat. Das wirkungsvollste Vorgehen sei aber gegen die großen Zugangsprovider gerichtet. Wenn über die Provider die Seiten nicht mehr aufgerufen werden können, gingen Rechtsverletzungen schlagartig und spürbar zurück. Jaworski sprach hier von einem Einbruch der Nutzung von bis zu 70 %, obwohl das Webseitenblocking relativ leicht umgangen werden könne. Abschließend ging er noch auf die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung zu diesem Thema ein. Angemerkt sei, dass auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen Zugangsprovider seien und daher mit Blick auf diverse Piraterie-Seiten auch sie von möglichen Forderungen nach Webseitenblocking betroffen sein könnten.

Am Ende der Tagung gab Andreas Wiebe einen Überblicksvortrag zu „Datenschutz an Hochschulen“. Wiebe, der selbst neben seiner Göttinger Professur auch der Datenschutzbeauftragte der Universität ist, stellte die Gemeinsamkeiten von Urheberrecht und Datenschutzrecht heraus, denn in beiden Rechtsgebieten gehe es um Information. Vor der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) freilich habe kaum einer das Datenschutzrecht ernst genommen. Das ändere sich jetzt. Wiebe stellte die DSGVO in knappen Grundzügen vor. Dabei stellte er heraus, dass vor allem die Informations- und Transparenzpflichten neu seien. Was die Rechtfertigungsgründe für eine erlaubte Datenverarbeitung betrifft, so könnten Hochschulen, die auch Behörden sind, sich nicht auf Art. 6 I Buchstabe f) DSGVO berufen. Besonders wichtig sei daher in der Praxis Art. 6 I Buchstabe e) in Verbindung mit passenden landesrechtlichen Bestimmungen. Für Publikationslisten an Hochschulen sei etwa die regelmäßig in den Hochschulgesetzen zu findende Aufgabe, die Öffentlichkeit über die Arbeit der Hochschule zu unterrichten, eine wichtige Norm. Die Nennung von Plagiaten in Bibliothekskatalogen sah Wiebe ebenfalls als eine öffentliche Aufgabe an. Generell betonte Wiebe, dass die Pflichten aus der DSGVO nicht überspannt werden dürften, mehr als ein „angemessener Aufwand“ könne nicht gefordert werden.

Übersieht man die Fülle der auf der diesjährigen Urheberrechtstagung angesprochenen Themen, so dürfte auch im kommenden Jahr der Stoff für interessante Vorträge in Göttingen nicht fehlen. Es ist sehr zu wünschen, dass künftig auch das Datenschutzrecht einen festen Platz in der Göttinger Tagung bekommt, denn beide Rechtsgebiete lassen sich in der digitalen Praxis in Hochschulen und Bibliotheken nicht mehr trennen und sollten daher auch stets zusammen diskutiert werden.

Published Online: 2019-01-15
Published in Print: 2019-01-10

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2019-0016/html
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