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Publicly Available Published by Oldenbourg Wissenschaftsverlag October 23, 2015

Brendan Simms, Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo. Aus dem Engl. von Wiebke Meier, München: Beck 2014, 191 S., EUR 18,95 [ISBN 978-3-406-67003-9]

  • Heinz Stübig EMAIL logo

Rezensierte Publikation:

Brendan Simms, Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo. Aus dem Engl. von Wiebke Meier, München: Beck 2014, 191 S., EUR 18,95 [ISBN 978-3-406-67003-9]


In seinem Buch erzählt Brendan Simms die Geschichte einer entscheidenden Phase während der Schlacht von Waterloo, nämlich die Verteidigung des weit vor der alliierten Frontlinie gelegenen Meierhofs La Haye Sainte durch die King’s German Legion am Nachmittag des 18. Juni 1815. Dadurch, dass die Soldaten der Königlich Deutschen Legion zusammen mit einigen Verstärkungen Napoleons Streitkräfte lange genug aufhalten konnten, gelang die Vereinigung der alliierten mit den preußischen Truppen, wodurch die Schlacht letztlich entschieden wurde.

Die Königlich Deutsche Legion war Teil der regulären britischen Armee und wurde bei den Operationen stets zusammen mit anderen britischen Einheiten eingesetzt. Die Befehlssprache war im Allgemeinen Englisch, und auch die Struktur der Dienstgrade orientierte sich am englischen Vorbild. Gleichwohl war General von Alten, der Divisionskommandeur bei Waterloo, ein Hannoveraner. Was die innere Struktur der Legion anging, so waren die Beziehungen zwischen Offizieren und Mannschaften enger als in den meisten britischen Einheiten. Die Soldaten selbst verstanden sich keineswegs als Söldner des englischen Königs, »sondern als ideologische Krieger gegen Napoleon und die französische Vorherrschaft überhaupt« (S. 29).

Zu Beginn der Schlacht wurde das entscheidende Gebiet um die Straßenkreuzung und den Meierhof der 3. Britischen Infanteriedivision, insbesondere der 2. Brigade der Königlich Deutschen Legion unter Oberst Christian von Ompteda zugewiesen. Das 2. leichte Bataillon, das die Hauptlast des Kampfes tragen sollte, kommandierte Major Georg Baring.

Obwohl der Besitz des Meierhofes samt seiner Umgebung für die Verteidigung des Zentrums der alliierten Streitkräfte entscheidend war, wurde dem Gehöft anfangs wenig Beachtung geschenkt – so wurde beispielsweise in der Nacht vor der Schlacht noch das Tor verfeuert. Daher mussten die Soldaten das Anwesen zunächst für die Verteidigung notdürftig instand setzen. Baring standen zur Erfüllung seines Auftrags sechs Kompanien mit insgesamt 378 einsatzfähigen Soldaten zur Verfügung. Ein gravierendes Problem für die Verteidiger bestand darin, dass die Soldaten aufgrund von Nachschubschwierigkeiten lediglich mit der normalen Ausstattung von 60 Schuss pro Mann in den Kampf gingen.

Napoleons Kalkül zielte darauf ab, Wellington frontal anzugreifen und ihn zu schlagen, bevor dieser seine Streitmacht mit den preußischen Truppen vereinigen konnte. Die Realisierung dieses Planes hing maßgeblich davon ab, ob es den Franzosen gelang, das von den Alliierten gehaltene Gelände um den Meierhof einzunehmen. Diese Aufgabe übertrug Napoleon dem Korps d’Erlon. Allerdings scheiterte dessen mit 18 000 Mann geführter Angriff an der außergewöhnlichen Tapferkeit der deutschen Soldaten, die ihrerseits durch die 1. und 2. britische Kavalleriebrigade unterstützt wurden. Nach der ersten Kampfphase verfügte Baring noch über rund 300 Männer, die durch einige Versprengte verstärkt wurden. Napoleon, der von dem Widerstand der Verteidiger völlig überrascht wurde, vermutete auf der Gegenseite Truppen in Divisionsstärke.

Die entscheidende Auseinandersetzung um das Gehöft wurde durch einen Angriff von 3000 Mann unter Marschall Ney eröffnet. Kennzeichnend für die überaus verlustreichen Kämpfe war das enge Zusammenspiel von Infanterie und Kavallerie mit schnellen taktischen Umstellungen. Die Infanterie, welche die feindlichen Fußtruppen in Linie bekämpfte, musste bei Kavallerieattacken sofort Karrees bilden, um die Reiter abzuwehren. Diese dauernden Wechsel stellten erhebliche Anforderungen an die Offiziere und Soldaten.

Den gesamten Nachmittag attackierten die Franzosen den Meierhof, wobei es ihnen gelang, eine Scheune in Brand zu setzen. Gegen 6 Uhr abends näherte sich die Schlacht ihrem Höhepunkt. Die Lage der Deutschen war inzwischen verzweifelt, da sie kaum noch über Munition verfügten und durch die ständigen Kämpfe stark dezimiert worden waren. Nachdem alle seine Bitten um Munition vergeblich waren, gab Baring schließlich den Befehl zur Räumung des Gehöfts. Simms kommentiert das Verhalten der Soldaten mit den Worten: »Der Heldenmut der Garnison von La Haye Sainte war rational, nicht selbstmörderisch; sie kämpften zwar bis zur letzten Kugel, aber nicht bis zum letzten Mann« (S. 146).

Nun stand den vorwärts drängenden französischen Truppen nichts mehr im Wege, und es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann das geschwächte Zentrum durchbrochen würde und Napoleon zum entscheidenden Schlag gegen Wellington ausholen konnte. Doch genau in diesem Augenblick erschienen die preußischen Truppen. Die hartnäckige Verteidigung des Meierhofes hatte Napoleon lange genug aufgehalten, um Blüchers Ankunft auf dem Kampfplatz zu ermöglichen. Zehntausende Preußen drangen nun von Osten und Nordosten vor: Napoleons Armee trat den Rückzug an. Der Kampf um La Haye Sainte und seine Umgebung war von daher nicht bloß »eine Schlacht in der Schlacht«, sondern bestimmte maßgeblich den Verlauf der Schlacht von Waterloo.

Am Ende seiner Darstellung stellt Simms die Frage nach der Bedeutung der Kampfhandlungen um den Meierhof für die Traditionsdebatte in der Bundeswehr und schreibt dazu: »Mehr als fünfzig Jahre hat sich die deutsche Armee, die Bundeswehr, mit dem Problem der ›Tradition‹ herumgeschlagen, ohne das vor ihren Augen stehende Vorbild zu erkennen. Es ist an der Zeit, dass Barings Leistung und die seiner Männer die Anerkennung erfährt, die sie verdient, besonders von Seiten der Deutschen« (S. 147) – durchaus ein interessanter Gedanke!

Das vorliegende Buch enthält eine dichte Beschreibung der alliierten und französischen Kampfhandlungen am Nachmittag und Abend des 18. Juni 1815. Durch die Auswertung zahlreicher Quellen und der Einbeziehung von Ego-Dokumenten gelingt es dem Verfasser, die einzelnen Phasen dieser militärischen Auseinandersetzung, die Entscheidungen der Kommandeure sowie die Anstrengungen und den Mut der Soldaten aus unterschiedlichen Perspektiven zu schildern. Der Fokus der Erzählung liegt auf dem militärischen Geschehen im Meierhof selbst und auf den Anstrengungen, die von den Angehörigen der Königlich Deutschen Legion zu seiner Verteidigung unternommen wurden. Dabei leisteten die Soldaten auf beiden Seiten Außerordentliches. Wenn man allerdings ihre Verluste in Relationen setzt, so zeigt sich, dass die Deutschen die Hauptlast des Kampfes trugen.

Online erschienen: 2015-10-23
Erschienen im Druck: 2015-10-1

© 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 28.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mgzs-2015-0030/html
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