Dieses Heft hat als Schwerpunkt das Thema „Abschreckung“. Das mag für viele Deutsche, Österreicher und Schweizer ungewöhnlich klingen, aber wir leben in einer Zeit, in der strategische Konflikte erneut die internationalen Beziehungen prägen und wo man nicht einfach eine Politik der guten Partnerschaft in alle Richtungen fortsetzen kann. Es ist vor allem die weiterhin aggressive und militarisierte Politik Russlands, die die westliche Staatengemeinschaft dazu zwingt in Richtung Abschreckung zu denken. Aber auch in Ostasien wird mehr und mehr in diese Richtung gedacht, je mehr die VR China ihre Politik mit militärischen Mitteln zu untermauern beginnt. Die Idee zu einem Schwerpunktheft der Zeitschrift SIRIUS zu diesem Thema geht auf eine Konferenz zurück, die das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und die RAND Corporation gemeinsam im März 2017 in Berlin veranstaltet hatten. Von den damals vorgestellten Referaten finden sich drei im heutigen Heft (Bergeron, Thomson und Rühle), zwei weitere in Heft 2/2018. Die Herausgeber danken in diesem Zusammenhang Dr. Sarah Kirchberger vom ISPK, die sich erfolgreich darum bemüht hatte, die Autoren bei der Stange zu halten.
Das Heft beginnt mit einem Artikel des führenden niederländischen Strategieforschers und Gründungsdirektors des Haager Zentrums für Strategische Studien, Rob de Wijk, über die Rolle strategischer Abschreckung im neuen strategischen Umfeld Europas. Seine Ausgangsthese ist, dass die neue russische Militärdoktrin Europa keine andere Wahl lässt als Konzepte der Abschreckung von Aggressionen erneut zu diskutieren und anzuwenden. Allerdings könne auf die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht allein unter Rückgriff auf alte Abschreckungskonzepte aus der Zeit des Kalten Krieges begegnet werden. Die heutigen Bedrohungen erfordern eine neu formulierte Abschreckung, mit der nicht nur der Bestand der baltischen Staaten oder die Unversehrtheit der transatlantischen Datenübertragung gesichert werden kann. Europa muss sich auch der russischen Absichten, über Falschinformationen Chaos zu stiften, erwehren sowie sich der Frage stellen, wie die eigene Energiesicherheit herzustellen ist.
Der Beitrag von James Bergeron geht davon aus, dass zur Zeit des Kalten Krieges die wechselseitige nuklearstrategische Abschreckung eine direkte konventionelle Konfrontation ausschloss, andererseits aber beide Seiten unterhalb einer gewissen Schwelle Machtpolitik und Konkurrenz betrieben. Das waren die Rüstungskonkurrenz, die Stellvertreterkriege, das Auf-die-Probe-Stellen der politischen Willensstärke der jeweils anderen Seite sowie das Ausnutzen von Schwächen der anderen Seite oder von Gelegenheiten. Dieser Wettstreit unterhalb der Schwelle stellt – wenngleich unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen – auch die Bedingung dar, unter denen die strategische Konkurrenz zwischen Russland und der NATO ablaufen wird. Es bedeutet, dass vor allem westliche Politik lernen muss, sich in einem konfrontativen Umfeld zu bewegen und auf die essentials einer funktionierenden Abschreckungspolitik zu achten. Entscheidend für eine glaubwürdige Abschreckungsstrategie sind der politische Wille und die Fähigkeit, effektiv mit der anderen Seite zu kommunizieren.
Der Beitrag von dem früheren Präsidenten der RAND Corporation, James A. Thomson, vergleicht Abschreckung zur Zeit des Kalten Krieges mit der von heute. Er argumentiert, dass sich zwar die politischen Umstände erheblich gewandelt haben, dass sich dennoch das zentrale Anliegen von Abschreckung nicht geändert hat: wie man angesichts eines Gegners, der seinerseits mit verheerenden Atomangriffen Vergeltungsschläge gegen die Vereinigten Staaten ausführen kann, die Glaubwürdigkeit der US-amerikanischen Drohung aufrechterhält, auch zur Verteidigung von Alliierten Atomwaffen einzusetzen.
Der Artikel von Michael Rühle lenkt den Blick auf Ostasien, wo die erweiterte Abschreckung der USA für ihre Verbündeten angesichts der nuklearen Ambitionen Nordkoreas sowie die zunehmend militärisch unterfütterte Außenpolitik Chinas unter Druck gerät. Die aktuelle Diskussion in Asien zeige – nach einer Phase des Herunterspielens der nuklearen Dimension in der Sicherheits- und Bündnispolitik – erneut die bedeutende Rolle der erweiterten Abschreckung als Instrument zur Rückversicherung für die Verbündeten und damit zugleich zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen. Für Europa, dessen nukleare Kooperation mit den USA im Rahmen der NATO institutionalisiert ist, bietet diese Debatte, so der Verfasser, zahlreiche Lehren.
Die weiteren Artikel beziehen sich mehr oder weniger direkt auch auf das Thema Abschreckung. Dazu gehören vor allem zwei Artikel, die sich mit der zentralen Person befassen, an der der Erfolg oder Nichterfolg westlicher Abschreckungspolitik hängt: dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Der Beitrag von Uwe Nerlich versucht eine Bilanz des ersten Jahres Trump mit einem vorsichtigen Ausblick auf das zweite Amtsjahr zu verbinden. Er endet eher mit einer leicht pessimistischen Prognose. Der Artikel von Anthony Cordesman über die Nationale Sicherheitsstrategie von Präsident Trump klingt da hoffnungsvoller, da er in der im Dezember 2017 vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie Ansätze für ein klares Bekenntnis zu Allianzen (insbesondere die NATO) herausliest und dafür, dass der Präsident langsam in die Spur kommt.
Der Kurzbeitrag von Hannes Adomeit zur russischen Marinedoktrin zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist auch unter Aspekten der Abschreckungspolitik wichtig, weil er zum einen die strategische Zielsetzung der russischen Marinerüstung vermittelt, andererseits aber auch aufzeigt, dass Russland derzeit nur begrenzt in der Lage ist seine ambitionierten Pläne auch tatsächlich umzusetzen.
Die Ergebnisse strategischer Studien betreffen vor allem Untersuchungen, die sich mit der Anpassung der NATO an die russische Herausforderung befassen. Ebenso werden die russischen Sondereinsatzkräfte in Syrien thematisiert sowie die Lage in Asien-Pazifik. Auch werden der Bericht der Vereinten Nationen über Drogen und eine RUSI Studie über die Bekämpfung des Menschenschmuggels behandelt.
Bei den Buchbesprechungen stehen zwei Bücher im Vordergrund, die sich mit der Rolle von Kernwaffen befassen: zum einen das Buch von Brad Roberts, welches ein realistisches Bild der Herausforderungen entwirft, denen sich die amerikanische Politik der erweiterten Abschreckung sowohl in Europa wie in Ostasien oder anderen Teilen der Welt zu stellen hat. Zum anderen die Kritik von Christine M. Leah an der Politik des Global Zero. Zwei weitere Bücher („World of War 2020“) „Rebooting Clausewitz“) behandeln die Frage, auf welche Arten von bewaffneten Konflikten man sich in den kommenden Jahrzehnten einstellen muss. Abgeschlossen wird das Heft durch eine Buchrezension, die sich mit der maritimen Bedeutung der sino-amerikanischen Rivalität befasst.
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