Skip to content
Publicly Available Published by De Gruyter March 14, 2018

Die Trump-Präsidentschaft – Jahr 2

  • Uwe Nerlich EMAIL logo

1 Einleitung

Kluge Beobachter der amerikanischen Republik wie George Kennan und Arthur Schlesinger urteilten schon vor Jahrzehnten, in den Worten John Steinbecks: „Wir geben dem Präsidenten mehr Arbeit, als ein Mann tun kann, mehr Verantwortung als ein Mann tragen sollte, mehr Druck als ein Mann aushalten kann... er gehört uns, und wir üben das Recht aus, ihn zu zerstören.“[1] Die Verantwortung eines Präsidenten der Vereinigten Staaten ist so groß, dass er sich selbst unter normalen Umständen nur auf eine Handvoll Großprojekte gleichzeitig konzentrieren kann. Seine einzige Chance, erfolgreich zu sein, besteht darin, ohne Rücksicht Prioritäten zu setzen und sich auf die Bürokratie der Exekutive zu verlassen, die von fähigen Stellvertretern überwacht wird. Aber Donald Trump hat dieses präsidentielle Dilemma ganz bewusst verschärft.

Nach einem Jahr mit Donald Trump im Weißen Haus muss man mehr denn je zwischen der Bürde des Amtes und dem Druck, den eine irrationale Persönlichkeit mit sich bringt, unterscheiden. Die meisten Sorgen, die die Trump-Präsidentschaft hervorruft, rühren jedoch von seinen bewussten Bemühungen her, an zwei Fronten Krieg zu führen – einerseits gegen das nationale politische Establishment und andererseits gegen den internationalen Multilateralismus.

2 Trump's System

Trump hat nicht nur Nominierungen (für politische Beamte) zurückgehalten, die es dem höheren Dienst der Regierungsverwaltung erlauben würde, wieder arbeitsfähig zu werden, sondern er hat auch Haushaltskürzungen vorgenommen, um wichtige Behörden auszubremsen oder aus dem Verkehr zu ziehen – in erster Linie das Außenministerium (30 %). Wichtige Positionen, auch in Schlüsselbotschaften, blieben bisher unbesetzt. So gibt es beispielsweise mitten in einer Nuklearkrise mit Nordkorea noch keinen US-Botschafter in Seoul.

Während sich zwischen Präsident Trump und Außenminister Rex Tillerson ernsthafte Meinungsverschiedenheiten über Verhandlungen mit Nordkorea oder das Atomabkommen mit dem Iran entwickelt haben, sollte betont werden, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass sie sich nicht darin einig sind, das diplomatische Korps zu reduzieren. Es war schließlich Tillerson, der das Außenministerium effektiv auseinandernahm, obwohl er im Ausland eher als eine etwas beruhigende Figur angesehen wird, als ein moderierender „Erwachsener“ im Trump-Team.

Amerikanische Präsidenten haben immer eine bestimmende Rolle in auswärtigen Angelegenheiten. In Trumps einzigartigem System dominiert er ohne ein starkes institutionelles Gegengewicht, hauptsächlich durch tägliche Tweets, von denen es heißt, dass sie 40 Millionen Amerikaner direkt und ein weitaus größeres internationales Publikum durch die globalen Medien erreichen. Diese Kommunikation ist allerdings nicht gerade auf die konstruktive Gestaltung der internationalen Ordnung ausgelegt, die sich derzeit im Zustand der Unordnung befindet.

Auffallend ist auch die Neigung von Präsident Trump, sich in schwierigen Fällen vor umstrittenen Entscheidungen zu scheuen und diese an Dritte zu delegieren, sei es wie im Falle des Iran-Abkommens an den Senat oder gar an globale Konkurrenten wie China und Russland als es darum ging, den notwendigen Druck auf Nordkorea auszuüben, was überaus schwierig ist, weil die Interessen Chinas und Russlands komplex und ambivalent sind: Beide sind viel mehr daran interessiert, den Einfluss der USA im Pazifik einzuschränken als bei der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen behilflich zu sein. Es ist bezeichnend, dass Russland offenbar die nordkoreanische Raketentechnologie größtenteils bereitgestellt hat. Präsident Trumps Kombination von Unbesonnenheit und Vorsicht wurde vielleicht am einfühlsamsten von Kolumnist Roger Cohen beschrieben: „Er ist ein in New York aufgewachsener Immobilien-Typ. Eigentum ist ein konservatives Geschäft. Das ist auch in Trump so verankert: Er geht bis an den Rand, aber nicht darüber.“[2]

Im U.S. Regierungssystem ist die Stimme des Präsidenten entscheidend. Das Trumpsche Paradox ist jedoch, dass er nur an das „ich“ glaubt. Wie er Fox News gesagt hat, „der einzige, der zählt, das bin ich. Ich bin der Einzige, der zählt, denn wenn es darauf ankommt, wird das die Politik sein.“[3] Mit anderen Worten hat für Präsident Trump die Außenpolitik im traditionellen, institutionellen Sinn aufgehört zu existieren. Zu Beginn des Jahres 2018 verliert die USA nicht nur international an Boden, sondern verzichtet bewusst auf Möglichkeiten, im eigenen Interesse eine konstruktive Rolle zu spielen.

In der Regel wenden sich Präsidenten außenpolitischen Angelegenheiten zu, wenn sie in eine innenpolitische Sackgasse geraten. Präsident Trump hat die traditionelle Trennung von Innen- und Außenpolitik verfolgt, hält aber an seinen innenpolitischen Prioritäten fest, auch wenn das bedeutet, schädliche Folgen im Ausland zu akzeptieren.

3 Keine Hilfe vom Kongress

All dies geschieht zu einer Zeit, in der der Kongress seine traditionelle Kompetenz in auswärtigen Angelegenheiten verloren hat, gerade weil Unordnung im Ausland das Bedürfnis nach Führung erhöht. Beide Seiten im Senat und im Repräsentantenhaus haben ihre Macht verloren, die Politik zu bestimmen, um internationale Krisen zu bewältigen, ganz zu schweigen von der Verfolgung langfristiger amerikanischer Interessen. Das wäre nicht so schlimm, wenn Präsident Trump nicht beschlossen hätte, dem Senat das letzte Wort über unangenehme Entscheidungen wie die Sanktionen gegen Russland und den Iran zu geben.

Der Neustart in den Beziehungen zu Russland, den Trump ursprünglich angestrebt hatte, wurde durch den Skandal um die russische Einmischung in den Präsidentschaftswahlkampf, der auch Kontakte zwischen seinem Übergangsteam und dem russischen Botschafter einschließt, zum Entgleisen gebracht. Infolgedessen verhängte der Kongress Sanktionen gegen Russland, die vor allem nahen Verbündeten der USA schaden könnten, insbesondere aufgrund der Auswirkungen der extraterritorialen Gesetzgebung.

Wenn der Senat beschließt, das internationale Abkommen, das das iranische Atom-programm beschränkt, aufzuheben, wird es den Nahen Osten in ein noch größeres Chaos stürzen und Vertragspartner in Moskau, Peking, Berlin und Brüssel vor den Kopf stoßen. Die Auswirkungen auf die iranische Innenpolitik wären unberechenbar, insbesondere angesichts der saudisch-iranischen Spannungen und der vermittelnden Rolle, die Europa zu spielen hofft. Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie der Kongress aufgefordert werden könnte, sich in die eskalierende nordkoreanische Krise einzumischen, von der Präsident Trump anscheinend immer noch erwartet, dass China bei der Lösung behilflich ist.

Die Art und Weise, wie Trump und der jetzige Kongress operieren, legt nahe, dass es wenig Spielraum für Außenpolitik geben wird, sobald die innenpolitischen Probleme der Trump-Administration weiter zu wachsen beginnen. Die Umfragewerte des Präsidenten sind derzeit peinlich niedrig und die Stimmung im Land wird schlechter und wütender, was in gewisser Weise genau die Atmosphäre ist, die Präsident Trump und seine Entourage hervorbringen wollten. Vor allem findet eine Verschiebung in den Medien hin zu einem sehr ideologischen Konservatismus statt, der sogar über das hinausgeht, was Mr. Trumps Unterstützer auf Fox News – seiner beliebtesten Plattform – normalerweise proklamieren. Die kürzliche Übernahme von Time Inc. durch die Meredith Corporation, die zum Teil durch Private Equity der Gebrüder Koch finanziert wird, ist ein typisches Beispiel dafür.

4 Schwerpunkt Wirtschaft

Die Steuergesetzgebung des Präsidenten ist wohl das Kernstück seiner Agenda. Sie wurde zu seinen eigenen Bedingungen akzeptiert, was mehr ist, als die meisten seiner Vorgänger in ihrem ersten Amtsjahr erreicht haben. Aber die fiskalischen Auswirkungen und die daraus resultierenden Budgetkürzungen dürften die sozialen Spannungen auf Kosten von Trumps treuesten Anhängern verstärken. Der jetzige Haushaltskompromiss mit den Demokraten wurde bis zum 19. Januar verlängert, aber es ist unwahrscheinlich, dass diese die Gelegenheit verstreichen lassen werden, mit der Drohung eines Regierungsstillstands Druck auf die Republikaner und die Regierung auszuüben.

Die Steuergesetzgebung ist offensichtlich ein großer politischer Erfolg für Präsident Trump. Es wird Sache des republikanischen Kongresses sein, die daraus resultierende Verschuldung einzudämmen. Doch die drohende Kürzung der Sozialausgaben wird nur die Demokraten mobilisieren, die bei den Zwischenwahlen im November Gewinne erwarten können, während Kürzungen beim Verteidigungshaushalt, den Trump dramatisch erhöhen möchte, unter den Republikanern unpopulär sein dürften. Vor diesem Hintergrund ist eine parteienübergreifende Übereinkunft über die Schuldenobergrenze für den Haushalt des nächsten Jahres unerlässlich, um eine Sequestrierung zu vermeiden. Zusätzliche Deregulierung ist ebenfalls zu erwarten, wird aber das Budgetproblem nicht erleichtern.

Dieses finanzpolitische Dilemma wird durch einen weiteren zentralen Punkt der Trump-Agenda erschwert – die Verringerung des Handelsdefizits. Die jüngsten Erfahrungen mit Kanada, einschließlich der Strafzölle für Flugzeuge der Bombardier C-Serie, und die vorgeschlagenen Steuern auf schweres Rohöl aus Kanada zeigen, dass stumpfe Instrumente zur Begrenzung der Importe tendenziell die USA schädigen: Kanada reagierte mit der Drohung, ein Boeing Angebot zur Lieferung von Kampfflugzeugen abzulehnen, US-Raffinerien und US-Benzin-Exporte wären die Leidtragenden, wenn sie kein kanadisches Öl mehr erhielten.

Wichtige US-Verbündete wie Japan und Deutschland stehen ebenfalls auf der Liste der Kandidaten für Antidumpingmaßnahmen oder Grenzausgleichszölle. Während diese Strafen kaum dazu beitragen werden, das Handelsdefizit zu verringern, könnten sie den US-Arbeitsmarkt negativ beeinflussen, ganz zu schweigen von den möglichen politischen Schäden. Dennoch ist es durchaus möglich, dass der Präsident damit fortfährt, um zum Beispiel die heimische Stahlindustrie zu unterstützen.

5 Flüchtige Win-Wins

Unter dem Strich scheint Präsident Trump wenig Möglichkeiten für Win-Win-Strategien zu haben. Dies ist derzeit nicht schädlich, solange die US-Wirtschaftsindikatoren (insbesondere das BIP-Wachstum und die Beschäftigungszahlen) positiv sind. Auch wenn das langfristige Potenzial für soziale Spannungen zunimmt, wird Trumps Wirtschaftspolitik seine politische Position zumindest vorübergehend stärken, zumal die konservative Stimmung im Land steigt. Darüber hinaus haben die internen Meinungsverschiedenheiten, die beide Parteien im Kongress und insbesondere die Republikaner geplagt haben, einen Teil des Drucks vom Präsidenten genommen und seine Handlungsfreiheit erweitert. In den letzten Wochen hat Präsident Trump sogar demokratische Führer im Weißen Haus empfangen und Unterstützung für wichtige Entscheidungen über den Bundeshaushalt gefunden.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, das Einwanderungsverbot von Präsident Trump in Kraft treten zu lassen, wird die fortschreitenden Veränderungen in Richtung eines mehr konservativen Mainstreams verstärken, ebenso wie die wachsende Akzeptanz der Entschlossenheit des Präsidenten, nationale und internationale Tabus zu ignorieren oder zu brechen. Aber mittelfristig werden diese Veränderungen die Herausforderungen für die amerikanische Gesellschaft nur verschärfen. In diesem Zusammenhang hallt die Warnung des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton nach: „Die Amerikaner müssen entscheiden, wer sie wirklich sind.“[4] Ein erster Test werden die Zwischenwahlen im November 2018 sein.

Die Nachwahl von Alabama am 12. Dezember 2017 zeigte die Dimensionen der aktuellen Kongresspolitik. Der Verlust eines von einem Republikaner seit 25 Jahren besetzten Sitzes verringerte die Senatsmehrheit der Republikaner auf 51 zu 49. Der Stimmenanteil der Partei in einem solide „roten“ Staat sank von 62 Prozent auf 48 Prozent. Roy Moore, der Verlierer, war ein politisch weit rechtsstehender Konservativer, der trotz öffentlicher Empörung und Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs vom ehemaligen Strategen des Weißen Hauses, Stephen Bannon, und schließlich von Präsident Trump selbst unterstützt wurde. Dieses Ergebnis wird die Demokraten nur ermutigen.

Wichtiger ist jedoch, dass Moore das republikanische Establishment in die Knie zwang – und verlor. Zuvor hatte der Senatsmehrheitsführer Mitch McConnell ihn aufgefordert, sich zurückzuziehen, und angekündigt, dass eine ethische Untersuchung zu seinem Ausschluss führen könnte. Die Niederlage Moores bestärkt die Parteiführung und schwächt Aufrührer wie Bannon auf der extrem rechten Seite. Dies könnte dazu beitragen, die Spannungen innerhalb der republikanischen Partei zu beruhigen und Präsident Trump sogar die Gelegenheit geben, die Partei wieder zu vereinen. In diesem Fall kann der Verlust eines Sitzes im Senat durch die verbesserten Kompromissmöglichkeiten mit konservativen Demokraten mehr als ausgeglichen werden.

6 Amerikanische Stimmung

Zu Beginn des Jahres 2018 könnten die USA aber vor einer viel breiteren internen Krise stehen, als ihre Führungskapazität zu bewältigen vermag. Es gibt keine Persönlichkeiten in Reserve, die helfen könnten, das Land von den sich verschlechternden innenpolitischen Problemen abzulenken, und keine Partei bietet ein politisches Programm an, das einen realistischen Ausweg bietet – egal wie oft das Roosevelt-Modell heraufbeschworen wird. Dabei stehen dieses Jahr die Zwischenwahlen im November 2018 im Mittelpunkt.

Um die Kontrolle über den Senat zu gewinnen, müssen die Demokraten 25 der 33 Sitze, die zur Wiederwahl stehen, halten und den Republikanern weitere zwei Sitze entringen. Im Repräsentantenhaus müssten sie mindestens 24 Sitze gewinnen, um eine Mehrheit zu erreichen. Angesichts der demographischen Aufteilung der Repräsentantenhaus-Distrikte müssten die Demokraten in der nationalen Stimmverteilung mit mehr als 7 Prozentpunkten Abstand gewinnen, um eine schmale Mehrheit in der unteren Kammer zu gewährleisten.

Während der Trump-Faktor in engen Rennen stark ins Gewicht fallen kann, begünstigt die vorherrschende Stimmung kaum einen demokratischen Sieg. Unsicherheiten darüber, wer im nächsten Präsidentschaftswahlkampf der Standartenträger der Partei sein wird, sind schädlich, insbesondere, weil die Ambitionen von Bernie Sanders geeignet sind, die Demokratische Partei zu spalten. Außerdem würde Senator Sanders am Einführungstag im Januar 2021 79 Jahre alt sein; sein erwarteter Hauptkonkurrent, der ehemalige Vizepräsident Joe Biden, würde 78 Jahre alt sein. Mögliche Konkurrenten wie Philip Murphy, Gouverneur von New Jersey, sind noch nicht national bekannt.

Für die USA läuft derzeit vieles schlecht. Die derzeit in Washington und von internationalen Partnern genutzten Zwischenlösungen werden kaum die guten alten Zeiten zurückbringen. Die USA werden niemals wieder das sein, woran sich die Welt seit den späten 1940er Jahren gewöhnt hat. Der gegenwärtige Zustand des Landes ist das Produkt langfristiger Unterströmungen, die mit dem Trumpismus offen zu Tage traten, und resultiert auch aus seiner Reaktion auf ein sich veränderndes globales Umfeld, das die USA zunehmend nicht mehr in ihrem eigenen Interesse gestalten können.

Einer der scharfsinnigsten Beobachter der USA, Tyler Cowen, schrieb, dass die amerikanische Gesellschaft in einen Zustand der Stagnation und Selbstgefälligkeit geraten sei; Mr. Trumps „making America great again“ war „vor allem ein Versprechen, dass die Wähler bei seiner Wahl die Kräfte des Wandels vermeiden konnten, die über den Rest der Welt hinwegfegen, sei es der Verlust von Arbeitsplätzen in der Produktion, eine zunehmende Abhängigkeit von Einwanderer oder den Verlust der politischen und kulturellen Dominanz weißer Männer. “[5]

Die amerikanische Politik ist somit in einer zutiefst konservativen Dynamik gefangen, die stärker ist als die Trump-Präsidentschaft. Oftmals handelt es sich um eine wachsende und seltsam beruhigende Missachtung der internationalen Ordnung, die Peter Zeihan, ein weiterer amerikanischer Bestseller-Autor, in „The Accident Superpower“ so zusammenfasste: „Um es einfach zu sagen, die Welt fährt wirklich zur Hölle, aber die Amerikaner werden das schlicht aussitzen.“[6]

7 Partner und Rivalen

Viel hängt jetzt davon ab, wie die internationalen Reaktionen ausfallen. Der offensichtliche Verlust globaler U.S.-Macht vollzieht sich dosiert und die US Macht verbleibt auf einem sehr hohen Niveau, welches die amerikanische Vorherrschaft und deren globale Reichweite für die kommenden Jahre sichern wird. Anders als das Chaos nach dem Zweiten Weltkrieg, als die USA eintraten, um die Ordnung wiederherzustellen, wird es diesmal vor allem den befähigten ausländischen Nationen überlassen sein, globale Bedingungen zu schaffen, in denen das amerikanische System gedeihen und positive Auswirkungen haben kann.

In gewisser Weise hatte der Verlass der US-amerikanischen Verbündeten auf ihren Supermacht-Partner immer den einen Nachteil: Das oftmals disruptive Potenzial der amerikanischen Macht musste eingedämmt werden, um einen Rahmen für globale Zusammenarbeit zu schaffen. Dies ist weiterhin richtig. Auf ihre eigene einzigartige Art und Weise bleiben die USA für die internationale Ordnung unverzichtbar, auch wenn sie beginnen, mehr wie ein gewöhnliches Land zu funktionieren.

Das Jahr 2018 bietet reichlich Gelegenheit, neue Formen der internationalen Zusammenarbeit und vor allem der Zusammenarbeit mit den USA zu entwickeln. Die anderen globalen Mächte, insbesondere Europa, werden Flexibilität und Standfestigkeit kombinieren müssen, wenn sich kritische Situationen im Nahen Osten oder West-Pazifik entwickeln. In unterschiedlicher Weise werden China, Russland und Europa den Gang der Ereignisse entscheidend beeinflussen – aber auch Staaten mit weniger globaler Reichweite wie Japan, Indien, Australien oder Argentinien. Sie dürften gut beraten sein, die Fesseln um die amerikanische Außenpolitik nicht zu überstrapazieren, um Stanley Hoffmanns Metapher in „Gullivers Troubles“ zu benutzen.[7]

Europa ist wieder süchtig nach Stereotypen, besonders in Bezug auf Russlands Suche nach seiner Identität und globalen Rolle. Aber das Schlimmste, was Europa, den USA und der Welt passieren könnte, wäre, dass der Anti-Amerikanismus, der vom Anti-Trumpismus forciert wird, triumphiert. Europa hat nicht die Möglichkeit, einfach auf genehme Veränderungen in den USA zu warten. Donald Trump könnte auch ein Präsident mit zwei Amtszeiten sein. Europa muss sein eigenes Regierungsmodell stärken, reformieren und verfeinern und damit das erneuern, was sich so oft als seine Stärke erwiesen hat – enge Zusammenarbeit und Ko-Entwicklung mit den USA. Tiefgreifende Veränderungen auf beiden Seiten des Atlantiks machen dies zu einer schwierigen Herausforderung. Aber um Stanley Hoffmann noch einmal zu zitieren: „Weltordnungspolitik ist ein Bildungsmuster.“[8]

Dieser umsichtige Ratschlag könnte jedoch bei einem Präsidenten versagen, der darauf bedacht ist, von der herkömmlichen Meinung – auch auf schockierende Art und Weise – abzuweichen. Mr. Trumps launisches Temperament trifft mit seinem offensichtlichen Stolz zusammen, als „unberechenbar“ anerkannt zu werden. Es ist möglich, dass seine heimische Basis zu einem moderierenden Einfluss wird, wenn politische Erfolge und eine sich verändernde Stimmungslage ihn dem Mainstream näherbringen. Dies würde dazu führen, dass das internationale Verhalten des Präsidenten weniger durch die Bemühungen zur Kompensation innerstaatlicher Unzulänglichkeiten – ein vertrautes Muster bei vielen seiner Vorgänger – als durch die Notwendigkeit beeinflusst wird, auf künftige Krisen zu reagieren.

8 Rückzug und Erneuerung

Solange der Präsident der vorherrschenden Weltmacht stolz darauf ist, unvorhersehbar unter turbulenten Bedingungen zu handeln, bleibt es schwierig, verlässliche Prognosen zu machen. Am 18. Dezember 2017 hat Trump eine neue Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) herausgegeben – ein grundlegendes deklaratorisches Politik-dokument, das sich in der Regel aus umfangreichen internen Bottom-up-Koordinierungsprozessen ergibt. Aber dieses Mal gab es kaum eine intakte Regie-rungsverwaltung. Es war ein White-House-Dokument.[9] Außerdem wich Trump in seiner Präsentationsrede bereits von dem ab, was sich nur wenig von den Positionen seiner Vorgänger unterschied – abgesehen von der Rolle der Volkswirtschaft als integraler Bestandteil der nationalen Sicherheitsstrategie. Die USA werden wahrscheinlich Konflikte mit anderen Großmächten vermeiden, wenn sie nicht gerade in die Enge getrieben werden – was allerdings unwahrscheinlich ist. Tatsächlich könnte Präsident Trump durchaus die Unterstützung globaler Konkurrenten suchen, um Risiken zu reduzieren und regionale Krisen zu lösen.

Mit dem Rückzug der USA aus dem Multilateralismus werden nationale Interessen immer mehr das Verhalten ihrer Wettbewerber bestimmen. China ist wohl ein erklärter globaler Rivale, aber es wird mit einer langfristigen Perspektive handeln und vorsichtig vorgehen. Anders als das heutige Washington verfolgt Peking eine globale Strategie, unterstützt durch den jüngsten Kongress der Kommunistischen Partei Chinas. Russland hat auf einen zunehmend selbstbewussten Einsatz militärischer Macht zurückgegriffen – das einzige Gut, das es noch zur Unterstützung seiner globalen Diplomatie besitzt. Syrien zeigt, dass eine solche Kraftprojektion erfolgreich sein kann, wenn die Vereinigten Staaten sich davon nicht herausgefordert fühlen. Auch Europa könnte ein US-Konkurrent werden, aber seine sanfte Macht – die eine ernsthafte Herausforderung für Russland darstellt – wird von den Amerikanern wahrscheinlich mit Achselzucken quittiert werden, selbst wenn es ihnen zum Nachteil gereicht.

Die nationalen Strategien dieser realen oder potenziellen Rivalen werden wahrscheinlich 2018 mit ernsthaften Konsequenzen für die USA getestet. Die eskalierende Krise in Nordkorea wird für China und Russland schwere Entscheidungen provozieren. Politische Unruhen in der Ukraine könnten das Konfliktpotential zwischen den nuklearen Supermächten wieder aufleben lassen, obwohl Präsident Trump im Umgang mit Russland einige Überraschungen aus dem Hut zaubern könnte. Europa scheint auf kurze Sicht der komplexeste Fall zu sein. Seine Beziehungen zu den USA werden besonders davon betroffen sein, wie Präsident Trump die Handelsbeziehungen und den Nahen Osten, insbesondere den iranischen Nuklearvertrag und die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt, behandelt.

Die USA können sich weiterhin von ihren Verbündeten und Konkurrenten gleichermaßen entfremden und damit an Boden verlieren, den andere Nationen zu füllen versuchen werden. Aus der Sicht von Präsident Trump kann dies jedoch Amerikas hartnäckige Selbstvergewisserung nur verstärken. Während er versuchen wird, extremere Risiken zu vermeiden, werden Fehlkalkulation und Überreaktion immer wahrscheinlicher, da die globale Arena prekärer wird. Die Bedingungen sind anders als in der Vergangenheit, als die USA als ultimativer Vermittler dienten.

Im Jahr 2018 und in den folgenden Jahren werden die USA weniger zuverlässig sein, wenn sie sich von ihrer globalen Rolle zurückziehen. Die Innenpolitik wird vor allem konservativer und die düstere Seite amerikanischer Politik – die schon immer existiert hat – wird sich offener zeigen. Obwohl dies in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, wird der amerikanische Liberalismus in der Innen- und Außenpolitik irgendwann wieder wirksam werden. Das bedeutet keine Rückkehr zu den goldenen Tagen des Transatlantismus. Aber wenn Amerikas Partner mit Maß und Vorsicht reagieren, könnten die USA mit ihrem Humankapital immer noch ihren Platz als ein „Bildungsmuster“ in der Weltpolitik wiederaufnehmen.

Literatur

Hoffmann, Stanley (1968): Gulliver‘s Troubles, or: The Setting of American Foreign Policy. New York; McGraw-Hill.Search in Google Scholar

Hoffmann, Stanley (1978): Primacy of World Order. New York; McGraw-Hill.Search in Google Scholar

Cowen, Tyler (2017): The Complacent Class. The Self-Defeating Quest for the American Dream. New York; St. Martin's Press.Search in Google Scholar

Zeihan, Peter (2014): The Accidental Superpower: The Next Generation of American Preeminence and the Coming Global Disorder. New York; Twelve.Search in Google Scholar

Published Online: 2018-3-14

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 19.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2018-0006/html
Scroll to top button