Zusammenfassung
Es soll die Frage geprüft werden, ob Webers Modell kausaler Zurechnung - die von G. Radbruch und J. v. Kries übernommene Theorie der objektiven Möglichkeit und adäquaten Verursachung - mit denjenigen Elementen neukantianischen Denkens, die Weber von H. Rickert übernimmt, kompatibel sind. Dazu werden die Grundzüge der Philosophie und Begriffsbildungslehre Rickerts entwickelt. Eine Analyse von Webers Übertragung der juristischen Kausaltheorie auf das Feld der Kulturwissenschaften zeigt sodann die Schwierigkeiten auf, die Weber bei der Integration dieses kontrafaktisch verfahrenden Kausalmodells in seinen neukantianischen Bezugsrahmen überwinden muß. Dabei vertreten wir die These, daß Weber, will er mit „objektiven Möglichkeiten“ arbeiten, das Explanandum der Forschung, das „historische Individuum“, mit Hilfe einer Referenztheorie für Eigennamen bestimmen muß. Anhand der Diskussion des Referenzproblems wird gezeigt, daß Weber über eine solche, von Rickerts Begriffsbildungslehre abweichende Eigennamentheorie implizit verfügt. Die Rekonstruktion dieser möglichen Lösung des Referenzproblems macht aber auch deutlich, daß die zur Anwendung der Theorie der objektiven Möglichkeit notwendige Bestimmung des Explanandums durch einen Eigennamen einen Wirklichkeitsbegriff erfordert, der die transzendentalistische Wirklichkeitsauffassung des Neukantianismus unterläuft.
© 1985 by Lucius & Lucius, Stuttgart