Zusammenfassung
Seit Jahrzehnten sinkt die Heiratsneigung in Deutschland und das Erstheiratsalter steigt. Gleichzeitig etablieren sich zunehmend Lebensformen jenseits der Ehe wie nichteheliche Lebensgemeinschaften und Paarbeziehungen auf Distanz. Diese Entwicklungen werden individualisierungstheoretisch als „Pluralisierung der Lebensformen“ und als empirische Belege für eine wachsende Abkehr von der Institution Ehe gedeutet. Aus nutzentheoretischer Perspektive wird der Rückgang der Heiratsrate durch den im Zuge sozialen Wandels abnehmenden Nutzen der Eheschließung im Vergleich zu anderen Handlungsalternativen erklärt. Zudem, so wird aus dieser Sicht argumentiert, steigen besonders für gut ausgebildete junge Frauen die Opportunitätskosten einer Heirat wegen der damit verbundenen Einbußen an Handlungsautonomie.
Bei aller theoretischen und empirischen Evidenz dieser Deutungen ist jedoch festzustellen, dass annährend vier von fünf Angehörigen der um 1965 geborenen Kohorten mindestens einmal in ihrem Leben heiraten werden. Es stellen sich die Fragen, warum sich diese Personen für eine Heirat entscheiden und welchen subjektiven Sinn sie der Ehe beimessen. Mit den Daten einer standardisierten Befragung beider Partner (n = 754) von Paaren, die zwischen 1999 und 2005 geheiratet haben, wurden explorative Clusteranalysen durchgeführt. Die Ergebnisse verweisen auf eine hohe individuelle Wertschätzung der kirchlichen Ehe bei einem erheblichen Teil der Verheirateten und auf eine beträchtliche Bedeutung traditioneller Einstellungen zur Ehe. Gleichzeitig relativieren sie den Stellenwert der „Liebesheirat“.
Summary
For decades the marriage rate in Germany has been declining and the age of first marriage has been increasing. At the same time non-traditional living arrangements like cohabitation and long-distance relationships have been spreading. From the perspective of the theory of individualization these developments are viewed as empirical evidence for pluralization and for a rejection of the institution of marriage. Considerations from the perspective of utility theory come to the conclusion that marriage is losing in relevance because its utility is declining in comparison to other alternatives due to social change. Moreover, it is argued that especially for well-educated young women the opportunity costs of a marriage are rising because of the loss of autonomy and flexibility of married women. In spite of the theoretical and empirical evidence for these interpretations it is also true that almost four out of five members of the mid-1960’s birth cohorts in Germany marry at least once in their lives. The questions are: Why do these people marry and what subjective meaning do they ascribe to marriage? With data from a standardized survey of both partners (N = 754) of couples who married between 1999 and 2005 explorative cluster analyses have been conducted. The findings show the substantial importance of traditional attitudes toward marriage, and they indicate a high individual evaluation of church marriages. Moreover, they relativize the significance of the “love match”.
© 2007 by Lucius & Lucius, Stuttgart