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Publicly Available Published by Oldenbourg Wissenschaftsverlag May 9, 2018

Egon W. Scherer, Entscheidung bei Maleme. Kreta 1941. Eine Insel wird aus der Luft erobert, Reinbek: Lau 2016, 560 S., EUR 38,00 [ISBN 978-3-95768-175-1]

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Egon W. Scherer, Entscheidung bei Maleme. Kreta 1941. Eine Insel wird aus der Luft erobert, Reinbek: Lau 2016, 560 S., EUR 38,00 [ISBN 978-3-95768-175-1]


Der Autor beschreibt zunächst in aller Ausführlichkeit die Strategie der kriegführenden Mächte im Mittelmeerraum und Südosteuropa in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges. Nachdem es nicht gelungen war Großbritannien niederzuringen, wollten Hitler und seine Generale alles daran setzen, um die Sowjetunion zu vernichten. Andere Eroberungen würden sich für die Deutschen in Europa und anderswo dann viel leichter realisieren lassen.

Mussolini, der Bundesgenosse Hitlers, sah hingegen seine militärischen Ziele eher in Südosteuropa und im Mittelmeerraum gelegen. Da es ihm in den Jahren 1939 bis Anfang 1941 nicht gelungen war, in Griechenland die Oberhand zu gewinnen, fühlten sich die Deutschen gezwungen – wegen der zunehmenden Stärke Großbritanniens im Mittelmeerraum –, im Südosten Europas militärisch einzugreifen.

Nach dem schnellen Sieg über Jugoslawien und Griechenland im Frühjahr 1941 stellte sich für die deutsche militärische Führung die Frage, ob sie die britisch besetzte Insel Malta oder aber Kreta erobern sollte. Aus mehreren Gründen, so der Autor, entschied sich Hitler letztlich für die Eroberung von Kreta: Diese sollte lediglich der krönende Abschluss des »Balkanfeldzuges« sein – und ein relativ risikoloses Unternehmen, wie die Wehrmachtführung glaubte. Zugleich sollte so verhindert werden, dass die britische Royal Air Force (RAF) die rumänischen Erdölfelder bombardierte.

Malta anzugreifen, schien dem Wehrmachtführungsstab indes zu riskant, obwohl sich immer mehr abzeichnete, dass die RAF von der Insel aus die italienisch-deutschen Transporte nach Nordafrika zunehmend behinderte. Den Briten kam dabei zu Hilfe, dass sie die deutschen Funksprüche (der Enigma-Maschine) oftmals entziffern konnten. So wussten sie, wo, welche Versorgungstransporte von italienischen Häfen nach Nordafrika fuhren. Deutsche Vermutungen – auch Erwin Rommel äußerte sich entsprechend –, italienische Quellen hätten dies den Briten verraten, stimmten demnach nicht. Diese Verdächtigungen und die militärische Schwäche Italiens führten zu einem recht vergifteten Verhältnis zwischen den Achsenpartnern.

Als die deutschen Luftwaffen- und Gebirgsjägereinheiten im Mai 1941 Kreta angriffen, sahen sie sich – entgegen ihren Nachrichtenmeldungen – einem unerwartet heftigen Widerstand der Verteidiger ausgesetzt. Letztlich eroberten die Deutschen die Insel, aber ihre Verluste an Personal, Kampf‑ und Transportflugzeugen waren so hoch, dass selbst Hitler meinte, die Wiederholung einer solchen Luftlandeoperation sei künftig ausgeschlossen. Auch war er, entgegen den Plänen der Kriegsmarine, danach nicht für eine Weiterführung des Krieges im östlichen Mittelmeer zu bewegen. Zuallererst sollte, wie erwähnt, die Sowjetunion vernichtet werden.

Die hohen Verluste der Wehrmacht, das macht Egon Scherer in seinem Werk deutlich, waren ebenfalls zum großen Teil auf die Entschlüsselung von Funksprüchen der deutschen Luftwaffe durch den britischen Intelligence Service zurückzuführen. Die neuseeländischen und australischen Kommandeure auf Kreta wussten genau, wo, wann und in welcher Stärke die Wehrmacht auf der Insel landen würde.

In London löste der Verlust von Kreta ziemliche Niedergeschlagenheit aus. Vor allem die hohen Verluste an Kriegsschiffen waren für Churchill äußerst schmerzhaft. Letztlich aber kam die britische Führung zu der nachvollziehbaren Meinung, dass der deutsche Einsatz auf Kreta für Großbritannien eher Vorteile gebracht habe. Die britische Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer blieb erhalten. Vereinzelte deutsche Luftangriffe konnten daran wenig ändern. Vor allem aber blieb der britische RAF-Stützpunkt auf Malta auf absehbare Zeit sicher in britischer Hand, denn London wusste, dass sich Hitler eine weitere Operation im Mittelmeerraum, aufgrund der schweren deutschen Verluste auf Kreta, nicht leisten konnte. Damit war den Briten ein enormer Vorteil zugefallen, was ihre künftigen Operationen in Nordafrika, wenn nicht sogar im gesammten Mittelmeerraum betraf.

Zudem hatten sich bis Mitte 1941 anderswo wichtige Ereignisse zugetragen, die Londons strategische Lage entscheidend verbesserten. Großbritannien behielt nicht nur in Abessinien, sondern auch im Irak und in der Levante die Oberhand. Dadurch war es in der Folge den Briten möglich, sich ganz auf den Kampf gegen Italiener und Deutsche in Nordafrika zu konzentrieren.

Aus all dem könnte man deshalb schließen, den Titel des Buches »Entscheidung Maleme« auch etwas anders zu deuten. Letztlich minderte nämlich die Eroberung von Kreta durch die Wehrmacht den strategischen Spielraum Hitlers auf diesem Kriegsschauplatz.

Verdienstvoller Weise beschreibt der Autor im zweiten Teil seines Buches auch die von der Wehrmacht begangenen Massaker an der kretischen Bevölkerung, die aufgrund gemeldeter Gräuel erfolgten, die Zivilisten begangen hatten. Dazu sollten die betroffenen Einheiten in die Ortschaften des Geschehens zurückkehren und ohne gerichtliche Urteile abzuwarten, männliche Einwohner erschießen und die Ortschaften plündern und niederbrennen.

Das Werk ist mit zahlreichen Skizzen und Fotos ausgestattet und vermittelt damit einen guten Eindruck der damaligen Ereignisse. Wenn auch die Eroberung der Insel durch die Wehrmacht schon vielfach beschrieben wurde, so ist dem Autor doch eine sehr lesenswerte Arbeit gelungen.

Published Online: 2018-05-09
Published in Print: 2018-04-30

© 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 28.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mgzs-2018-0054/html
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